Der mondhelle Pfad. Petra Wagner

Der mondhelle Pfad - Petra Wagner


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meinst, so wie Lew, euer Barde? Der kann ja auch nicht mehr wie alles.“

      „Lew? Der natürlich auch, aber ich dachte eigentlich an unseren Gott Lugh.“

      „Euer Gott Lugh? Wegen dem ihr Lugnasad feiert?“

      „Ganz genau“, gluckste Lavinia und lächelte süffisant. „Kennst du schon die Geschichte von Lugh?“

      Loranthus überlegte.

      „Nicht, dass ich wüsste.“

      Lavinia rieb sich die Hände und rutschte näher heran.

      „Soll ich sie dir mal erzählen?“

      „Ich bestehe darauf.“

      Wie auf Kommando legten sie sich Seite an Seite und verschränkten synchron die Hände im Nacken.

      „Also, das war so“, begann Lavinia und versicherte sich mit einem Seitenblick, dass ihr Zuhörer noch nicht eingeschlafen war.

      „Lugh ist ja auf ganz sonderbare Weise gezeugt worden. Seinem Großvater ist nämlich geweissagt worden, dass er durch seinen Enkel zu Tode kommt. Das wollte er natürlich verhindern und deshalb sperrte er seine Tochter schleunigst in einem Turm ein. Dem Druiden Cian gelang es aber dennoch, in diesen Turm einzudringen und ein paar Monde später wurde Lugh geboren. An dieser Stelle gehen die Geschichten auseinander. Eine berichtet davon, dass sein Großvater das hilflose Baby ins Meer schleudert. Ich glaube aber eher der Version, wo sie das Baby aus dem Turm herausschmuggeln und zu einer Amme bringen. Rein logisch gesehen, hatten Lughs Eltern genug Zeit, sich einen Plan zu überlegen; wer in den Turm hineinkam, der musste schließlich auch wieder heraus kommen.

      So oder so kommt Lugh Jahre später nach Tara und will in die Königsburg eintreten. Der Wächter will ihn aber nur dann hereinlassen, wenn er eine besondere Fähigkeit vorweisen kann. Lugh ruft also nach oben: ‚Ich bin ein guter Bauer!‘ Doch der Wächter winkt ab, so einen Mann hätten sie schon auf der Burg. Da ruft Lugh hinauf: ‚Ich bin auch ein kunstfertiger Schmied!‘ Aber der Wächter winkt wieder ab und sagt, den hätten sie auch schon. Nun geht es immer hin und her: Lugh ruft hinauf, er sei ein guter Kämpfer mit einer einzigartigen Schwerthand, er könne lieblich Harfe spielen, er sei ein Poet, ein Historiker, ein Astronom, ein Magier, ein kunstfertiger Schuster und beherrsche noch viele andere Handwerke … Doch der Wächter winkt jedes Mal ab und ruft nach unten, so einen hätten sie schon. Da fragt Lugh, ob sie denn auch einen hätten, der all diese Fähigkeiten auf sich vereint. Da muss der Wächter passen und lässt ihn endlich eintreten.“

      Lavinia schaute noch einmal nach, ob ihr Zuhörer die Augen offen hatte und sagte feierlich: „So wird Lugh, dank seiner besonderen Fähigkeiten, der neue König von Tara und wir feiern ihm zu Ehren Lugnasad. Lugh hat diese Feier extra für seine Ziehmutter festgelegt, weil er ihr so viel zu verdanken hat.“

      „Das war aber eine schöne Geschichte“, seufzte Loranthus. „Noch ein Viertel Mond, dann beginnt Lugnasad.“

      „Fährst du danach wieder nach Hause?“, fragte Lavinia und wischte sich verstohlen über die Augen.

      Loranthus holte tief Luft, doch sie ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen.

      „Gästen gibt man immer ein Abschiedsgeschenk. Eines, was einem selbst viel bedeutet. Daran erkennt man die tiefe Freundschaft und Verbundenheit. Auch ich möchte dir ein Geschenk machen, Loranthus. Hier, guck mal!“ Sie griff hinter sich und zog etwas aus ihrem Gürtel. „Meine Puppe! Viviane und Hanibu haben sie mir genäht. Siehst du die grünen Augen? Das sind die beiden Perlen, die wir zur Sonnenwendfeier noch gerettet haben! Innen drin ist sie mit Duftkräutern gefüllt! Riecht absolut prima!“

      Loranthus setzte sich ganz langsam auf und nahm die Puppe in die Hand. Nachdenklich strich er über die Zöpfe aus nussbrauner Wolle und sah Lavinia in die Augen.

      „Sie sieht aus wie du“, murmelte er leise und schüttelte entschieden den Kopf. „Lavinia, ich bitte dich! Dieses Geschenk kann ich unmöglich annehmen.“

      Lavinia lächelte hoch erfreut.

      „Soll mir recht sein! Gleich morgen früh gehe ich mit Viviane und Robin zu Ninive. Sie bekommt bald ihr Baby und Viviane hat uns versprochen, dass wir mal das Hörrohr an ihren Bauch halten dürfen. Dann lauf ich gleich zu Sünna.“

      „So, so. Um was willst du unsere Quellgöttin bitten?“

      Lavinia lächelte verschwörerisch und stand auf. Er hatte ‚unsere‘ Quellgöttin gesagt. Damit kam sie der Erfüllung ihrer Bitte schon ein Stückchen näher.

      „Das darf man doch nicht verraten, Loranthus. Sonst ist Sünna beleidigt und stellt sich quer. Aber dafür lüften heute Medan und Hanibu endlich ihr Geheimnis. Immerzu stecken die beiden ihre Köpfe zusammen, und wer weiß was noch! Hanibu hat bei der Quellgöttin auf Medan gewartet und sie haben sich zusammen bei ihr bedankt, weil sie ihnen geholfen hat. Jetzt sind sie endlich da und nach dem Abendbrot kann es losgehen. Also, aufgehört mit der Träumerei!“

      Lavinia sprang auf und wollte Loranthus hinter sich herziehen, aber er war schon auf den Füßen, schnappte sie und schwang sie auf seinen Rücken. Lavinia quietschte hocherfreut und rief: „Hüa, Loranthus, mein stolzes Ross! Der Braten ruft!“

      „Hm, Ziegenbraten! Den Bock habe ich selbst abgezogen, Lavinia!“

      „Ja, ich weiß, dass du beim Schlachten auf dem Abort gesessen hast!“

      „Die Blätter zum Abwischen waren alle und keiner hat mich rufen hören!“

      „So ein Zufall! Nun aber schnell! Schwing die Hufe, mein edles Ross! Sonst isst uns der König noch alles weg!“

      Loranthus erstarrte mitten im Schritt.

      „Was will denn der König bei uns?“

      „Amaturix hat ihm von dem Geheimnis erzählt, weil er Medan doch dabei geholfen hat. Königin Elsbeth und Elektra sind natürlich genauso neugierig.“

      „Ha!“, japste Loranthus, knickte kurz ein und rannte los.

      So schnell war Lavinia noch nie geritten, außer auf Dina.

      Der Bratenduft füllte das ganze Langhaus aus, doch alle standen auf dem Vorbau und warteten auf Arminius, der am äußeren Tor die Königsfamilie empfing.

      Loranthus bekam Bauchkrämpfe vor Aufregung und rannte zum Abort. Zum Glück war der gleich hinter dem Haus. Schnell wie der Wind war er wieder da, am Brunnen Hände waschen, zurück auf den Vorbau springen, da kam auch schon der Besuch durchs Torhaus geschlendert.

      Ein Abendessen mit der Königsfamilie hatte er sich viel gezwungener und langweiliger vorgestellt, mit Gerede und überschwänglicher Gastfreundschaft. König Gort bedankte sich aber nur sehr höflich bei Arminius und Flora für die Einladung, alle umarmten sich auf dem Vorbau, Loranthus erwischte Elektra sogar zwei Mal, und schon ließen sie sich den Braten schmecken.

      Einhellig lobte der Besuch das saftige Fleisch und die wohlschmeckenden Kräuter, das zarte Gemüse und das frische Brot. Wahedon war auch mitgekommen und Loranthus stellte fest, dass er im Gegensatz zu manch anderem Krieger perfekte Essmanieren hatte. Es sah sogar gediegen aus, als er wie die anderen mit einem langen Holzstab das Mark aus den Knochen pulte und so lange schlürfte, bis nichts mehr raus kam.

      Nach dem Essen verteilten Lavinia und Robin die Tonbecher, nun wurde erzählt.

      Den König interessierte alles: Gesundheit, Viehzeug, Felder … die bevorstehende Getreideernte. Er stakste sogar mit Vivianes Stelzen durch den Raum und wettete mit Amaturix, wer wohl länger darauf balancieren konnte. Natürlich traten auch Königin Elsbeth und Elektra in Wettstreit. Danach saßen sie japsend vor Lachen auf den Bänken und tranken noch einen Becher Tee.

      Loranthus hob seinen Becher in die Höhe und rief laut: „Hast du Ackerschachtelhalm im Tee, sind alle Runzeln schnell passé!“

      Elektra wäre vor Lachen fast von der Bank gerutscht, wenn sie der König nicht festgehalten hätte, und Flora musste noch eine neue Kanne Tee kochen, weil


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