Der mondhelle Pfad. Petra Wagner

Der mondhelle Pfad - Petra Wagner


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und weil sie so weit oben sind, schneiden sie das Korn gleich unter der Ähre ab. Die Ähren fallen nach hinten in den großen Kasten und den braucht ihr nur ausleeren. Ohne großen Aufwand bekommt ihr schnell viele Säcke voll und stapelt sie auf einem anderen Wagen. Wenn ihr es richtig anstellt, seid ihr so hurtig mit der Getreideernte fertig, wie der Ochse das Mähwerk vor sich herschiebt.“

      „Korrekt, Loranthus“, rief Silvanus, trabte auf der Stelle und wischte sich hechelnd über die Stirn, als würden dort Bäche von Schweiß rinnen. „Wenn der Ochse schneller gehen täte, würde ich alle Getreidefelder an einem Tag schaffen! Aber ich darf ihn ja nicht überfordern. Schließlich bin ich der beste Ochsenführer weit und breit. Einen Wettkampf im Getreideernten würde ich garantiert gewinnen, vorausgesetzt meine Helfer kommen hinter mir her.“

      Loranthus nickte eifrig und bemühte sich um eine ehrfürchtige Miene. „Aber wie hast du dieses Riesending den Hang hinauf befördert, Silvanus? Du warst doch damals noch klein?!“

      „Nur ein Stückchen kleiner!“, korrigierte Silvanus und hörte auf zu traben. „Aber wozu habe ich ältere Brüder!? Viviane und ich hatten gewettet, wer von uns schneller den Hang wieder unten ist. Sie, wenn sie rennt oder ich mit dem Mähwerk. Noeira war damals auch schon mit von der Partie und hätte Conall das Mähwerk am liebsten auf den Rücken gehievt, wenn wir dadurch schneller den Berg hochgekommen wären. Weil das schlecht ging, haben wir es abwechselnd mit unseren Freunden hochgezerrt.“

      „Naschu und Ninive waren also auch mit dabei?“

      „Sogar noch viele mehr! Beth, Harthu, Nora, Oen, Susanne, Mirja … sogar Nion und Medan sind uns hinterher geschlichen, obwohl beide damals kaum über die Tischplatte gucken konnten, Medan jedenfalls nicht.“

      „Gar nicht wahr!“, kam es von draußen, aber Medan hatte wohl gerade etwas anderes zu tun, als die Angelegenheit richtig zu stellen.

      „Ich kann euch förmlich vor mir sehen …“, feixte Loranthus und drückte mit aller Kraft gegen das große Mähwerk. „ … wie ihr alle zusammen den Berg hinauf keucht. Als die Griechen das hölzerne Pferd vor Trojas Tore gezerrt haben, ging es ihnen bestimmt genauso.“

      Loranthus musste über seinen eigenen Vergleich lachen und entdeckte dabei ein technisches Problem.

      „Aber es hat ja nur zwei Räder! Wie bist du denn damit einen Hang runter gefahren, Silvanus? Das kippt doch sofort!“

      „Ach, ich habe ein paar Bretter zurecht gezimmert und eine Achse mit kleinen Rädern festgemacht. Du weißt doch, Loranthus: Die Räder, die wir unter die Eggen machen, um sie auf die Felder zu fahren. Die Konstruktion habe ich mit Stricken am Mähwerk festgebunden. Auf dem Brett konnte ich gut stehen und mit den Stricken sogar lenken.“

      Loranthus musterte Silvanus nachdenklich und begann zu kichern. Er wurde immer lauter. „Kein Wunder …“ quietschte er die ersten verständlichen Wörter. „ … wenn dich dein Großvater ‚Ochse‘ genannt hat! Du warst ja wirklich der Ochse!“

      Loranthus imitierte Stierhörner, muhte und alle lachten, bis auf Silvanus.

      „Ja, ja! Lacht ihr nur! Bald habt ihr keine Luft mehr dafür, wenn ich den Ochsen führe und ihr hinter mir her rennen müsst! In drei Tagen könnt ihr nur noch japsen und keuchen! Und euer Gemuhe schrumpft zu einem kläglichen quaaak!“

      Loranthus klatschte ihm versöhnlich die Hand auf die Schulter.

      „Das kann ich mir vorstellen, oh erhabenster Führer aller Ochsenfrösche!“, säuselte er und sprang schnell hinter Arminius in Deckung. „Was macht ihr eigentlich mit den Halmen, die stehen bleiben?“

      Silvanus tat so, als hätte er nichts gehört, drehte sich um und prüfte die Schärfe des Messerbalkens mit einem Strohhalm, während sich Arminius der Frage von Loranthus widmete.

      „Kommt drauf an. Das Vieh kann es abweiden oder es wird mit der Sense abgeschnitten. Für Strohmatten, Körbe, Seile, Schuhe, Einstreu für die Tiere im Winter, für unsere Betten und was man sonst noch so alles gebrauchen kann. Es eignet sich auch hervorragend als Dämmstoff, wenn ein Haus gebaut wird. Das Stroh kommt zusammen mit Mist in den Lehm für die Flechtwände und auch mit Laub und Astwerk ins Fundament unter die Dielenbretter. Weil Viviane und Silvanus bald ihr Haus bauen, werden wir also diesmal alles absensen.“

      „Ihr könntet auch eure Häuser damit decken. Anderswo machen sie das auch.“

      Arminius schüttelte den Kopf.

      „Hierzulande sind Tannenschindeln besser. Und jetzt auf, an die Arbeit! Vom Schwatzten trägt sich das Korn nicht in die Scheune! Es muss alles ordentlich gewogen sein und die Wagen müssen wir auch noch schmücken, wenn wir die Abgaben zur Burg hochfahren.“

      „Schon wieder Blumen pflücken“, maulte Tarian.

      Conall tätschelte ihm mitfühlend die Schulter.

      „Diesmal sind es nur Kornblumen, das geht doch schnell. Und da ist noch das Gastmahl beim König!“

      Tarians Augen leuchteten auf.

      „Braten, Musik, Tanz … und Met bis zum Umfallen. Ich seh schon Medans Gesicht vor mir.“

      Medan lugte zum Tor herein und kicherte höchst belustigt.

      Tarian hatte erwartet, er würde sich über seinen Spott ärgern und zumindest auf ein störrisches Aufstampfen mit dem Fuß gehofft. Leider fehlten bei Medan jegliche Anzeichen von Wut und das ließ ihn seine jüngsten Bruder ins Visier nehmen.

      „Was gibt’s denn da zu lachen?“, fragte er argwöhnisch und kniff die Augen zusammen. Medan grinste von einem Ohr zum anderen.

      „Ich habe für Mutter die Schere geschliffen.“

      „Die hatte es ja auch nötig nach der letzten Schafschur“, meinte Arminius. „Und ich bin sicher, dass sie nun wieder schön scharf ist, bei deinem Talent, mein Sohn.“

      Medans Augen leuchteten über das Lob, aber Tarian konnte sich gar nicht für seinen kleinen Bruder freuen. Er wusste jetzt Bescheid und überprüfte seinen geflochtenen Zopf auf herausragende Haare.

      „Ich wollte heute Abend mal zu … Onkel Wadi. Genau. Onkel Wadi.“

      Arminius sah ihn verblüfft an.

      „Heute Abend noch so weit weg? Was willst du denn bei Wadi?“

      „Er hat … gerade eben eine Taube geschickt, weil … bei ihm ein Tischbein kaputt gegangen ist. Das will ich schnell reparieren.“

      Arminius sah Tarian immer noch mit hochgezogenen Augenbrauen an.

      „Ein Tischbein? Das schafft Wadi bestimmt auch alleine!“

      „Nein!“, schrie Tarian und schob sich seinen Zopf unters Hemd. „Nein, das war doch eines von meinen, die ich für ihn gedrechselt habe! Da muss ja schließlich … das Muster zu den anderen Tischbeinen passen. Muster sind wichtig. Was sollen die Leute denken, wenn sie bei Wadi am Tisch sitzen und die Flechtmuster passen nicht.“

      „Tarian.“ Arminius legte seinem zweitältesten Sohn schwer die Hände auf beide Schultern und setzte eine mitleidvolle Miene auf. „Nimm lieber noch ein Tischbein als Ersatz mit, sollte eins zerbrechen. Deine Mutter wollte nämlich heute Abend auch in Wadis Haus, zu Fanar. Weiberkram. Du verstehst? Die neuesten Frisuren und so.“

      Er zog ganz langsam Tarians Zopf wieder aus dem Hemd und seufzte.

      „Also würde ich mir das mit dem Tischbein reparieren lieber noch mal gut überlegen. Wenn du Pech hast, verbünden sich die Weiber womöglich noch. Stell dir bloß vor, Flora und Fanar fallen gemeinsam über dich her. Du weißt: Meine Schwester, deine Tante, Fanar, ist nicht gerade zimperlich. Noch schlimmer wird es für dich, wenn Rivus Weib auch da ist. Störrische Männer erledigt die mit einem Schlag.“

      Tarian stöhnte auf und jammerte vor sich hin.

      Arminius tätschelte mitfühlend seinem Sohn den Kopf und ein verschmitztes Lächeln huschte über sein Gesicht.


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