Liebe und Tod im Grenzland. Ruth Malten

Liebe und Tod im Grenzland - Ruth Malten


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Saum gab sie einem Rock einen modischen Anstrich. Den weichen Wildledergürtel, großer Luxus in ihrer Lage, hatte ihr Gustav zum Geburtstag geschenkt. Gern nahm sie den Gürtel in die Hand oder legte ihn an die Wange. Das samtige Wildleder schmeichelte ihrer Haut. Auch der feine Ledergeruch gefiel ihr.

      Die Kinder hatten sich in der Schule eingewöhnt. Ungeachtet seines verschlossenen Wesens gewann Arthur einen Klassenkameraden als Freund. Wolfgang, gesprächig und kontaktfreudig, schätzte an Arthur, dass er seinen Geschichten gern zuhörte, gelegentlich darauf einging, aber meistens selber schwieg.

      Der elfjährige Sohn von Lore und Arno, Johannes, war Pauls neuer Freund; sie hatten sich bei der Einweihungsfeier kennengelernt. Mit seinem sanften, freundlichen und liebenswürdigen Wesen passte er gut zu Pauls sensibler Art und half ihm, wenn Paul wegen seiner Sehschwäche bei einer sehr feinen Arbeit Unterstützung gut gebrauchen konnte.

      Ilse musste sich daran gewöhnen, in der Schule nicht ständig den Kasper geben zu können, wie von zu Hause gewöhnt. Sie hatte sich neben Hilde setzen dürfen, die sie von der Feier kannte. Die beiden Mädchen, einander ähnlich wie Zwillinge, verstanden sich in vielfältiger Weise. Da Hilde ebenso gern handarbeitete wie Ilse, verband sie ein feines gemeinsames Hobby.

      Während Hermine mit Ronja den Feldweg entlangspazierte und die hinter ihnen liegende Zeit an sich vorüberziehen ließ, dachte sie an den harten Winter und ihr Herzchenhaus, das ihnen bei ihrem Einzug so viel Spaß gemacht hatte. Die Kinderzimmer waren nicht heizbar, aber das kannten sie von ihrer Breslauer Wohnung. Wenn bei eisiger Winterkälte phantastische Eisblumen die Aussicht aus ihren Kinderzimmerfenstern versperrten, wussten sie abends dick in Zeitungspapier eingewickelte heiße Ziegelsteine am Fußende ihres Bettes als Aufwärmhilfe zu würdigen. Hausaufgaben erledigten sie in der Küche am großen Familientisch. Schwierig war zuweilen, Vokabeln, Gedichte oder Geschichtszahlen laut zu üben. Hin und wieder gab es deshalb Streit, aber sie lernten, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Lernstoff konnte man auch auf Spaziergängen mit Ronja einstudieren.

      Dass nachts in den Kinderzimmern ein Töpfchen stand, war ebenfalls nicht neu. War das Töpfchen ungeeignet wegen eines größeren Geschäfts, blieb der Gang auf das Häuschen bei eisigen Temperaturen etwas für winterharte Naturen.

      Das Wasserholen war auf mehrere Schultern verteilt. Von Woche zu Woche wechselte der Wasserdienst zwischen den Jungen: Wasser für die Küche in einer großen Kanne, Wasser für den Wasserkrug auf den Waschtischen in den Schlafstuben. Neben einem solchen Wasserkrug stand jeweils die Waschschüssel, die morgens von Hermine entleert wurde.

      Die Jungen wuschen sich so lange wie möglich draußen, auch Gustav liebte seine Freilandwäsche. Er hatte neben den Brunnen eine kleine Holzkabine gebaut, in der er sich morgens im Adamskostüm einen Eimer kalten Wassers über den Kopf goss.

      Einmal in der Woche war Badetag, und die Jungen füllten den Kessel in der Waschküche, aus dem später heißes Wasser in die Zinkbadewanne gefüllt wurde. Nach jedem Bad wurde Seifenschaum abgeschöpft und erneut ein Töpfchen heißes Wasser nachgefüllt.

      Schwerarbeit waren die Waschtage, wenn große Wäsche anstand. Die Jungen füllten schon morgens vor der Schule die Badewanne voll Wasser sowie mehrere Eimer und Gefäße. Am Vortag hatte die Mutter die Wäsche bereits in Bleichsodawasser eingeweicht und nach dem Einweichen, wenn das Wetter schön war, auf der Bleiche, einem Teil ihrer Gartenwiese, ausgelegt. Nach dem Ausspülen beförderte Hermine die Wäscheteile in die halbautomatische Waschmaschine, die die Wäsche mit einem Metallkreuz im Wechsel nach rechts und links bewegte. Stark verschmutzte Wäsche schrubbte sie auf dem Waschbrett mit einer Bürste nach. Dann wurde alles ausgespült, wofür wieder viel Wasser benötigt wurde. Entweder wurde das Wasser vom Brunnen in die Waschküche oder die Wäsche aus der Waschküche zum Brunnen getragen, dann aber wieder runterbefördert zum Auswringen mit der Wringvorrichtung an der Waschmaschine. Jedes Wäscheteil wurde einzeln zwischen zwei gegeneinander laufende Rollen geschoben. Aufgehängt wurde die Wäsche im Garten, auch im Winter. Der Waschtag wurde so gelegt, dass das Wetter passte. Die Wäsche konnte bei längeren Regenperioden auch auf dem Boden aufgehängt werden. Draußen jedoch und bei Sonne bleichte sie zusätzlich. Die noch leicht feuchte Wäsche bügelte Hermine von Hand mit einem Eisen, dessen inneres heißes Eisenteil jeweils im Ofenfeuer erhitzt und ins Bügeleisen eingeschoben wurde.

      Bei dem Gedanken an die Waschtage seufzte Hermine ungewollt, aber allein auf dem Feldweg, hatte niemand sie hören können. Nur Ronja schaute kurz und leicht irritiert zu ihr auf. Dann setzte sie zu einem hohen Sprung auf eine Maus an, deren Piepsen sie aus einem Mauseloch erlauscht hatte.

      Ein solcher Waschtag war Schwerarbeit für die ganze Familie, besonders aber die Mutter. Das Haus roch nach Waschpulver, der Dampf stieg in alle Räume, von dem Dampf waren Haare und die Kleidung aller Beteiligten feucht und verklebt. Bis zum Abend schwanden die Kräfte, besonders bei Hermine. Sie war froh, dass ihr die beiden Jungen halfen.

      Ein Fest, in ein Bett steigen zu können, das nach sauberer, luftgetrockneter, handgebügelter Wäsche roch. Wer geholfen hatte, wusste dieses Vergnügen doppelt zu schätzen. Hermine sowie ihre neue Freundin Lore, aber auch alle anderen Frauen, die sie inzwischen kennengelernt hatte, ließen die Wäsche so lange wie möglich auf den Betten. Manche gaben an, sie alle zwei Wochen zu beziehen, hatten aber tatsächlich eine Waschfrau, was sie verschwiegen, oder sie hatten fließendes Wasser in der Waschküche und brachten die Wäsche nach dem Trocknen in die Heißmangel.

      Hermine war froh, dass die Familie Fuß gefasst hatte: Gustav hatte in letzter Zeit in kürzeren Intervallen jeweils einen größeren Auftrag ergattert.

      An die Unbequemlichkeiten, insbesondere im Winter, hatte sich die Familie gewöhnt. Glücklicherweise waren alle gesund geblieben trotz eisgekühlter Wege zum gewissen Häuschen bei Minustemperaturen und Schneetreiben. Die Kinder waren in alle Schwierigkeiten einbezogen, stellten keine Ansprüche und waren hilfsbereit, von altersbedingter, gelegentlicher Unlust abgesehen.

      Als Hermine ihren Freien-Tag-Spaziergang mit Ronja antrat, drückte sie noch die zurückliegende Zeit wie eine große Bürde. Nunmehr, nach dem ausgiebigen Fußweg entlang der Felder, hin zum See und auf dem Rückweg, leuchtete, was sie geleistet hatten, in weitaus günstigerem Licht. Auch die ersten kleinen Rückzahlungen an die Bank begannen in ihrem Kopf nach zehn Monaten Selbständigkeit als achtbare Leistung zu glänzen. Sie beschloss, künftig die Dinge zuversichtlicher zu sehen und, statt sich von Gustav immer und immer wieder ermutigen zu lassen, nun ihrerseits Gustav öfter aufzumuntern.

      Hermine fühlte sich von der Sonne, dem Feldweg, dem Lerchen-Jubilieren, dem niedlichen Mausezirkus und Ronjas Lebensfreude glücklich verwandelt. Anfängliche Verzagtheit und Ängstlichkeit waren neuer, entschiedener Lebenszuversicht gewichen.

      Belebt trat Hermine den Rückweg an. Kumuluswolken waren am Himmel aufgezogen und türmten sich zu weißen, wildbewegten Wolkengebirgen. Hermine erwog einen Luxus, auf den sie in Allenstein bisher verzichtet hatte. Sie überlegte, ihren Ruhetag und ihre neu gewonnene, bejahende innere Einstellung mit dem Genuss einer Tasse Kaffee zu krönen. Das könnte sie zwar auch zu Hause tun, wollte jedoch das Gefühl erleben, sich nach langer Zeit wieder einmal fein bedienen zu lassen und sich dem Gedanken hinzugeben, sie seien weit über den Berg. Bergauf ging es zwar, wenn auch langsam, aber immerhin bergauf.

      Auch hier war ein kleines Cafe am Marktplatz. Die Sonne hatte den Tag weiter erwärmt. Sie konnte draußen sitzen. Ringsherum blühten Geranien und Petunien in Kästen, wie zuletzt in ihrem Breslauer Cafe, in dem sie öfter zusammen mit Ilse gesessen hatte.

      Die Kellnerin stellte die Tasse Kaffee vor sie hin. Der heiße, der Tasse entsteigende Dampf duftete aromatisch und erlesen, nach gutem Leben, dachte Hermine. Sie bestellte eine Kugel Schokoladeneis in einer muschelförmigen Waffel. Gustav hatte ihr zum Geburtstag ein Geldstück geschenkt, das sie aufbewahren wollte, bis eines ihrer Kinder etwas Neues zum Anziehen oder Material für die Schule benötigen würde. Dennoch spendierte sie sich den Kaffee und das Eis.

      Sie genoss die wärmende Sonne auf der Haut, ihre Augen erfreuten sich an den Farben der roten und weißen Geranien sowie der Petunien in ihren hauchzarten, vielfältigen Fliedertönen. Der heiße Kaffee durchrieselte ihre Glieder und belebte sie wohltuend; das Eis schmolz auf ihrer


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