Mitternachtsnotar. Bettina Kerwien

Mitternachtsnotar - Bettina Kerwien


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warm. Der Alkohol wirkt. Und wenn ich ehrlich bin, ich möchte wirklich darüber reden. »Er ist immer da, wenn ich ihn brauch, wissen Sie«, sag ich.

      »Och, Kindchen, Details! Nun machen Sie sich doch mal locker!« Helen verdreht die Augen. »Ich will ihn dir doch nicht wegnehmen. Nur mal drüber reden.« Sie seufzt. »Ach, junge Männer, es gibt nichts Rührenderes – finden Sie nicht auch?«

      Ich wehr mich noch ein bisschen. »Er ist nicht mehr zwanzig. Ich auch nicht. Der Hormonrausch ist vorbei.«

      »Wie heißt er denn?« Doktor Helen spitzt den dunkelrot geschminkten Mund.

      Ich atme tief durch. »Sanders«, sag ich. »Ich glaub, er hat vergessen, dass er einen Vornamen hat.«

      »Sehr geheimnisvoll, was?« Fast scheint es, als stellte sie unter ihrem Flammenhaar die Ohren auf.

      Ich fasse zusammen: »Er ist still, sanft, aber absolut konsequent.« Ich lass den bernsteinfarbenen Cognac im Glas kreisen. »Er ist Privatdetektiv.«

      »Romantisch«, seufzt Doktor Helen genüsslich. »Klingt nicht sehr verheiratet.«

      »Traumatisiert«, sag ich, halb gegen meinen Willen, »oder wie das im Fachjargon heißt.«

      Helen nickt. »Mein liebes Fräulein Libby …«, sie beugt sich vor, »… wenn Sie mal ganz allgemein darüber nachdenken: Was interessiert Sie an einem Mann?«

      »Die netten Körperteile, die Frauen nicht haben.« Ich muss an diese Körperteile denken. Mir wird in etwa so, als wäre mir eine Schale zartschmelzende Crème brûlée über den Bauch in die Hose gerutscht, die nun dort flambiert würde.

      Doktor Helen schaut mir direkt in mein vor Aufregung bebendes limbisches System. »Falsche Antwort. Was eine Frau eigentlich braucht, ist jemand mit einer faszinierenden Persönlichkeit. Weißt du was?« Helen Sturm tippt mit dem Finger auf die lackrote Visitenkarte auf dem Tisch. »Komm doch morgen mal in meiner Sprechstunde vorbei.«

      Hannes Neuhaus ist so etwas wie ein Freund. Als Sanders an der Selbstbedienungstheke des »La Moncanza« nach Espresso, Pinot Grigio und Pizza ansteht, muss er sich das eingestehen. Denn nur für einen Freund betritt er dieses Etablissement mit seinen klebrigen Aromen auf der türkischen Seite der Turmstraße.

      Der Gastraum sieht aus wie das Refektorium eines italienischen Provinzklosters. Das Ambiente ist so echt wie ein Glasauge. Aus unerfindlichen Gründen ist das »La Moncanza« schon seit Jahrzehnten die Lieblingspizzeria von Neuhaus. Der Leiter des LKA 6 sitzt auf seinem Stammplatz in der Ecke, dreht wie selbstverständlich den Pfefferstreuer auf und zu.

      Bis vor ein paar Jahren war Neuhaus Sanders’ Chef bei den Personenschützern. Und jetzt ist Neuhaus der neue Mann von Sanders’ Exfrau Silke. Sanders kann das sportlich sehen. Meistens. Zum Beispiel, wenn er Informationen braucht. Dann kann er sogar Pizza vom Blech mit Champignons, Peperoni und Käse für 1,20 Euro pro Stück bestellen. Ob er sie auch isst, wird sich zeigen.

      Wein und Kaffee werden schwungvoll über den fleckigen Tresen geschoben. Während Sanders die Getränke zu Neuhaus trägt, sieht er sein eigenes Gesicht in den mit Muscheln eingefassten Wandspiegeln leuchten wie Schnee in einer hellen Novembernacht. Der rosige Neuhaus hingegen scheint aus einer Meditation über den Oreganogeruch aus der Küche zu erwachen. Er quittiert die Ankunft der Getränke mit einem seligen Grunzen.

      Seit Neuhaus mit Silke verheiratet ist, ist er nicht mehr so hager wie früher. Es scheint ein bisschen so, als sei der Leiter des LKA 6 von einer leuchtenden Aura umgeben, wie eine Marienerscheinung. Denn gegen jede Wahrscheinlichkeit ist Silke wieder schwanger.

      Die Pizzaquadrate, die der Wirt vor Sanders auf den Tresen klatscht, ziehen billige Käsefäden. Sanders braucht eine ganze Handvoll Servietten, um die durchgesuppten Pappdeckel bis zum Tisch zu balancieren. Er setzt sich Neuhaus gegenüber und riecht am Espresso. Nichts, woran man sich auf dem Totenbett erinnert.

      »Hör mal, Sanders …« Neuhaus faltet ansatzlos ein Stück Pizza mit den Fingern. »Was auch immer du von mir willst, vergiss es! Ich brauch meinen Job. Gerade jetzt.«

      Sanders mustert die Wasserflecke auf dem zerkratzten Aluminiumbesteck. »Konrad Trasseur«, sagt er. »Schon mal gehört?«

      Neuhaus’ fettglänzende Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Entspannt schüttelt er den Kopf.

      »Ein Notar mit Kanzlei in Westend. Mein Vater glaubt, Trasseur hat ihm ein faules Investment aufgeschwatzt.« Es fällt Sanders schwer, sich auf Ermitteln und Essen gleichzeitig zu konzentrieren. Eine Pizza ist chaotisch, unordentlich. Ermitteln bedeutet, Ordnung in die Dinge zu bringen. »Ich wüsste gern, ob ihr was über Trasseur habt.«

      »Betrug? Nicht mein Ressort. LKA 2. Gothaer Straße.« Neuhaus genießt es, am Drücker zu sein.

      »Ich frage nicht für mich«, erinnert ihn Sanders, vielleicht mit einem Hauch Schärfe zu viel.

      »Hey, jetzt stress mal nicht rum!« Neuhaus zeigt mit einem Pizzastück auf Sanders’ Brust. »Überhaupt, du siehst schlecht aus, Sanders. Ausgebrannt. Du arbeitest zu viel.«

      Sanders geht darüber hinweg. Er weiß, im Grunde ist Neuhaus ein anständiger Kerl mit einem ungeheuer schlechten Gewissen. »Und wenn du schon dabei bist, kannst du auch den Sohn abfragen. Oliver Trasseur. Ebenfalls im Immobiliengeschäft.«

      »Du musst auch mal an was Schönes denken, nicht immer nur an das Leben der anderen, Junge. Geh doch mal wieder weg. Silke sagt, ihr seid früher ganz gern ins Kino gegangen?«

      Sanders hört nur halb zu. Auf keinen Fall kann er diese Pizza einfach so essen. Seine Regel lautet: Man schaut auf der Speisekarte nach, in welcher Reihenfolge die Zutaten aufgeführt sind. Blechpizza mit Champignons, Peperoni und Käse bedeutet: Zuerst isst man die braunen Champignons, dann die grünen Peperoni, dann den gelben Käse und erst ganz zum Schluss den Boden mit der roten Tomatensoße.

      »Hast du noch Kontakt zu dieser Verrückten?«, fragt Neuhaus.

      »Liberty? Wenig.«

      Sanders’ Gabel sucht und findet die Champignons.

      »Schade.« Neuhaus legt die Stirn in Falten, knabbert an einer Peperoni. »Wahnsinnsfrau! Da würde sich jeder die Finger nach lecken, Alter.«

      »Ich will nicht unhöflich sein, Hannes.« Sanders lässt den Wein im Glas rotieren. »Aber mir wär’s lieber, wenn du nicht an jeder Frau lecken wollen würdest, die mir gefällt. Wird langsam zur Gewohnheit.«

      Neuhaus boxt ihm mit der olivenölverschmierten Hand gegen die Schulter. »Sie gefällt dir, was?«

      Sanders sortiert die Peperoni. »Sie hat ein wildes Herz.«

      Neuhaus’ klebrige Finger fühlen sich warm an auf Sanders’ Handrücken. »Bisschen frischer Wind tut dir gut. Glaub mir.«

      Sanders hebt den gelben Käse von der Tomatensoße, faltet ihn mit der Gabel beiseite. Der Teig weiß wie Schnee, die Tomatensoße rot wie Blut. Sie nehmen das Blut deiner Frau, wie Pawel Krawczyk es ausgedrückt hat. Das darf nie mehr passieren. Er kann niemanden mehr lieben und verlieren, in diesem Leben nicht mehr, erst recht keine schöne Frau.

      Außerdem kann sich Sanders nicht so einfach in die Hände von jemand anderem begeben. Wieso sollte sich ein Mann einem anderen Menschen ausliefern? Trotzdem muss er lächeln, wenn er an Libby denkt.

      »Junge«, kommentiert Hannes, »du bist so verklemmt, du wirst ja schon rot, wenn du ’n Ausziehtisch siehst.«

      Sanders legt das zerkratzte Alubesteck beiseite und steht auf. »Wenn du mir helfen willst, Hannes, besorg mir die Informationen.« Er gönnt jedem Glücklichen sein Glück. Selbst Neuhaus. Aber es gibt Grenzen. Sanders wirft seine Serviette auf den Tisch und seinen Trenchcoat über den Arm. »Meine Empfehlung an die Frau Gemahlin.«

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