Highcliffe Moon - Seelenflüsterer. Susanne Stelzner

Highcliffe Moon - Seelenflüsterer - Susanne Stelzner


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erwartungsvoll an. Also ergänzte ich noch mal in aller Ausführlichkeit Charlies Bericht.

      »Das hört sich alles so an, als wenn ich unbedingt auch mal über den großen Teich müsste«, schloss er meine Berichterstattung gedankenvoll ab und schielte wieder rüber zum Bildschirm. Ich kommentierte es nicht und nickte nur. Wir beide wussten, dass es in nächster Zeit nichts werden würde. Es war mit der Witwenrente von Mr Cummings und dem, was sie sich als Schreibkraft im Büro dazuverdiente, finanziell nicht mal eben locker drin.

      »Und was ist hier so passiert?«, wechselte ich das Thema und angelte nun nach der angebrochenen Chipstüte auf seinem kleinen Holztisch, der vor Magazinen überquoll.

      Ben warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Fragst du das im Ernst?«

      »Klar«, sagte ich, unsicher, ob ich wirklich eine Antwort erwartete.

      »Und wenn du drei Wochen weg gewesen wärst … nichts … wie immer.«

      Am nächsten Morgen verhüllten noch immer graue Wolken die Sonne, was mir nicht gerade dabei half, mein Vitamin D-Depot aufzufüllen, um den Jetlag abzuschütteln. An der Bushaltestelle traf ich Ben, der ebenfalls ausgiebig gähnte, aber keine entsprechende Entschuldigung parat hatte. Er war einfach zu lange auf gewesen. Statt der üblichen Stille im Bus auf dem Weg zur Schule herrschte heute ein lautstarker Austausch von Ferienerlebnissen. Nur Ben, mit mir im Gedränge des Mittelganges stehend, sagte kaum etwas und nickte immer wieder ein.

      Unsere Highschool befand sich in einem sehr stattlichen, historischen Gebäude von 1380, war aus grauem Stein, mit hohen Fassaden, gotischen Fenstern und einigen kleinen spitzen Türmchen, die über den Dächern emporragten. Es war umgeben von weitläufigen Rasenflächen, die wiederum umsäumt waren von sehr alten Bäumen. Dazwischen waren Sand- und Kieselwege angelegt, die in westlicher und nördlicher Richtung zu den großen Parkplätzen führten. In südlicher Richtung konnte man, über den abschüssigen Rasen hinweg, in der Ferne das Meer sehen.

      Ich mochte alte Gemäuer, weil ich glaubte, dass sie mir Geschichten erzählen konnten. Das klang vielleicht verrückt, aber so war es nun mal. Manchmal berührte ich ehrfürchtig die jahrhundertealten, großen Steinquader im Kreuzgang und stellte mir all die Menschen aus den verschiedenen Epochen vor, die hier schon entlanggegangen waren und vielleicht dasselbe getan hatten wie ich, die Steine berührt und über vergangene Generationen nachgedacht. Ich konnte mich so in diesen Gedanken verlieren, dass ich mir einbildete, die Körperlichkeit von Menschen, die hier vor langer Zeit gelebt hatten, zu spüren, als wäre etwas von ihnen hiergeblieben. Und manchmal meinte ich sogar, in Schatten oder Lichtspiegelungen Silhouetten von Menschen erkennen zu können.

      Ich behielt meine Gedanken inzwischen aber lieber für mich, seit ich vor vielen Jahren meiner Mitschülerin Keira leichtfertig davon erzählt hatte. Ein Riesenfehler. Sie war durch die Gänge gehüpft und hatte lauthals »Val glaubt an Geister, Val glaubt an Geister« gerufen und ich hatte dagestanden wie der letzte Depp, als alle mit dem Finger auf mich gezeigt und mich verhöhnt hatten. So richtig hatte ich ihr das nie verziehen, was die Wertigkeit unserer Bekanntschaft erklärte, die langjährig, aber nicht besonders intensiv war.

      Nach dem Registrieren traf ich die zierliche Desiree im Flur, die viel strahlender wirkte als vor den Ferien. Ihr aschblondes Haar war von Sonne und Salzwasser ausgeblichen und umrahmte, mit fast weißen Strähnen durchzogen, effektvoll das gebräunte Gesicht. Sie war ebenfalls auf dem Weg zum Geschichtskurs von Mr Collins.

      Der Doc, wie wir ihn nannten, weil der würdevoll schreitende Mann mit der randlosen, runden Brille und der stets korrekt gebundenen karierten Fliege wie ein Wissenschaftler wirkte, begrüßte uns freundlich zum neuen Trimester und ließ DIN-A4-Zettel verteilen, auf denen die Themen aufgelistet waren, die er zu behandeln beabsichtigte, sowie einige Buchvorschläge. Es kostete mich einige Mühe, die Augen offen zu halten, geschweige denn, mich an der nun folgenden Diskussion über Wandel und Konsolidierung zu beteiligen.

      Ich hatte meinen Kopf auf den Arm gestützt und als dieser das zweite Mal wegsackte, weil ich für eine Sekunde eingeschlafen war, läutete es endlich. Eilig schmiss ich meine Notizen in den Rucksack, bedeutete Keira, die ebenfalls gerade aufwachte, dass ich schon vorginge, und lief zügig durch die altehrwürdigen Gänge in Richtung der Gartenanlagen südlich des Gebäudes.

      Als ich ins Freie kam, sah ich Ben schon im Schneidersitz auf dem Rasen bei der alten Rotbuche sitzen, unserem Stammplatz bei gutem Wetter. Er schälte sich gerade eine Banane. Ich ließ mich neben ihn auf den Rasen fallen, stützte mich mit den Ellenbogen auf, warf den Kopf nach hinten und stöhnte unwillig. »Oah, noch nicht mal Mittag und ich bin jetzt schon total im Eimer.« Wie lange konnte so ein Jetlag dauern?

      Ben biss ungerührt in seine Banane und warf mir einen kurzen Blick zu. »Die ersten Tage nach den Ferien sind immer die schwersten«, schmatzte er tiefsinnig. Er wirkte ausgeruht, schien auch etwas Schlaf im Unterricht nachgeholt zu haben.

      Nic und Keira gesellten sich zu uns auf den Rasen. »Hey, Leute«, riefen sie im Duett.

      »Hey«, gab ich den Gruß zurück.

      »Also, wie war es in New York, Val? Wann bist du zurückgekommen?«, fragte Keira nun, die normalerweise schon während der Geschichtsstunde darauf gebrannt hätte, mich auszuhorchen, wäre sie nicht selbst zu müde gewesen.

      »Gestern Morgen. Es war so cool!« Ich nickte wie ein Wackeldackel, als müsste ich es mir selbst noch mal bestätigen.

      Beide waren mit ihren Eltern schon mal dort gewesen, daher forderten sie glücklicherweise keinen detaillierten Reisebericht. Sie nickten nur, warfen sich einen wissenden Blick zu und bedachten mich mit einem anerkennenden Lächeln, so als wäre ich nun in den Kreis der Übersee-Connaisseure aufgenommen worden. »Stimmt, es ist cool da«, stellte Keira noch mal mit Nachdruck fest und Nic fügte hinzu: »Absolut cool, ja.« Nachdem die Coolness meines Kurztrips nun ausreichend dokumentiert war, widmeten sich beide ihren Lunchpaketen.

      »Warst du im Boathouse?«, fragte Keira gespannt.

      Autsch. Ein Stich schoss schmerzend durch meine Eingeweide. »Hmm.« Ich nickte.

      »Haselnusskaffee probiert?«

      »Klar. Echt lecker.«

      »Und, warst du in dieser Bar auf der Siebten?«, fragte Keira neugierig weiter, bevor sie in ihr Sandwich biss.

      »Ja. Das war ein echt guter Tipp«, gab ich zu.

      »Kein Problem, ein Bier zu kriegen, oder?«, grinste sie schmatzend.

      »Nee, war alles super, auch die Stimmung, gute Musik. Woher kanntest du den Laden eigentlich?«, fragte ich, dankbar, dass ich gedanklich den Park verlassen konnte.

      Sie wischte sich den Mund ab. »Mein großer Bruder hatte den Tipp von einem Freund. Ich bin mit ihm da gewesen, als meine Eltern einen Abend zum Essen bei Bekannten eingeladen waren. Wir waren natürlich offiziell nur Burger essen.« Sie grinste breit und zwinkerte. Dann fiel ihr Blick auf Nics Sandwich, das vor Eiersalatfüllung fast überquoll. »Hmmm, darf ich?« Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern biss ein ordentliches Stück ab. Nic schaute mit undefinierbarem Gesichtsausdruck auf seinen um mehr als die Hälfte geschrumpften Snack.

      Keira Harding und Nic Moreno waren jetzt seit einem knappen halben Jahr ein Paar und ich fand, sie wirkten, als wären sie ihr Leben lang zusammen gewesen. Wie Topf und Deckel. Selbst ihre kunstvoll geglätteten, aber wie vom Wind verwuschelten Kurzhaarfrisuren mit langen Ponyfransen ähnelten sich.

      Ich zog eine Tüte aus meinem Rucksack hervor, die unter meinen Büchern gelegen hatte. Darin war ein völlig zermatschter Muffin. Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse und begann, die Krumen mit den Fingern aufzunehmen.

      »Ey, wisst ihr schon das Neueste?« Keira kicherte und sah uns mit bedeutungsvoll aufgerissenen Augen an. »Hasenzahn und Dr. Mops haben sich in den Ferien verlobt. Na, wenn das keine schönen Kinder gibt.« Sie kringelte sich vor Lachen.

      Hasenzahn war Miss Henderson, die Englischlehrerin, die einen kräftigen Überbiss hatte. Sie war einen halben Kopf größer als Dr. Mops, ein kleiner, rundlicher Mann Ende dreißig, der eigentlich


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