Chronik von Eden. D.J. Franzen

Chronik von Eden - D.J. Franzen


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vor?«

      Frank sah zu der Armee der Untoten, die etwas langsamer geworden war und das Schauspiel auf der anderen Rheinseite mit dumpfer Fassungslosigkeit beobachtete. Sie waren noch etwa sechshundert Meter entfernt.

      »Ein Versprechen einlösen. Lauft. Holt die Kinder, und dann lauft weiter. Das da drüben ist bestimmt erst der Anfang.«

      »Aber …«, setzte Sandra an. Frank schnitt ihr das Wort mit einem Kuss ab.

      »Und ich kann doch spontan sein«, sagte er mit einem schiefen Lächeln. »Pass auf die Kinder auf, hörst du? Wir treffen uns in Weiden. Immer die Aachener runter. Vor dem Einkaufszentrum.«

      Frank strich Sandra zärtlich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht.

      »Frank, du … das schaffst du nicht!«

      Frank zwinkerte ihr zu.

      »Wetten? Ich habe noch ein paar Asse im Ärmel. Und jetzt lauft, holt die Kinder und dann lauft weiter. Wenn ihr irgendwo ein Fahrzeug ans Laufen bekommt, nehmt es. Geschwindigkeit ist alles. Ich habe keine Ahnung, wann die nächsten Bomber kommen.«

      Die Masse der Zombies wandte sich ihnen langsam wieder zu. Bevor Sandra oder Stark reagieren konnten, lief Frank den Zombies entgegen und wedelte mit den Armen.

      »He, ihr Penner! Habt ihr Hunger? Dann kommt her! Na los, macht schon, ihr lahmen Enten! Hier gibt es fangfrischen Frank zu verkosten!«

      »FRAAANK!«, rief Sandra, aber er drehte sich nicht mehr um, lief immer weiter auf die Zombies zu und rief seine Schmähungen.

      »Wir sollten los, damit seine Tat nicht umsonst ist«, sagte Stark. Sandra schluckte.

      »Ja, Sie haben recht.«

      Nach einem letzten Blick auf Frank, der jetzt etwa hundert Meter vor den Zombies nach rechts in Richtung Innenstadt abbog, wandte sie sich um und lief los. Der Regen kaschierte ihre Tränen, das Heulen der Sirenen übertönte …

      *

      … ihr leises Weinen.

      Weinen?

      Rosi weinte?

      Jonas öffnete die Augen, blickte sich orientierungslos um und sah IHN.

      Gerhards Vater.

      Er war noch etwa fünf Schritte von Rosi entfernt, hatte schon seine Hände gierig nach ihrem zarten Fleisch ausgestreckt, während aus seinen Mundwinkeln Speichelfäden herabhingen. Die Muskeln seiner Arme hingen als blutige Fetzen von den Knochen, die erschreckend weiß aus dem roten und grünen Durcheinander von Fleisch, Muskeln und den Resten seiner Uniform baumelten.

      »NEEEEIIIIIN!«

      Jonas Schrei hallte durch die Kirche. Der Zombie hielt inne, erzitterte, seine Wangen schlugen plötzlich Wellen, so als würden sich unter seiner Gesichtshaut dicke Würmer durch das Fleisch fressen. Jonas schrie weiter, ohne Atempause. Das Kreuz über dem Altar wackelte, die Wellen unter der Gesichtshaut des Zombies wurden stärker. Er zuckte wie unter schweren Krämpfen und taumelte einige Schritte rückwärts. Rauch stieg aus seinen Augen.

      Jonas Schrei endete abrupt.

      *

      Sandra erreichte den Haupteingang der Kirche, als sie den Schrei eines Kindes hörte. Sie hastete durch das Halbdunkel des Portals, sah einen Zombie, der zuckte, als würde er unter Strom stehen, bemerkte vor dem Zombie eine Gruppe Kinder, die bewusstlos am Boden lagen. Sie zog im Laufen ihre Pistole, bremste ab, um eine ruhige Schusshand zu haben, als der Schrei abrupt abbrach.

      Bevor sie reagieren konnte wurde sie von einem Regen aus Hirnmasse, halb getrocknetem Blut und Knochensplittern überschüttet. Erschrocken sprang sie einen Schritt zurück. Als sich ihr Blick wieder klärte, sah sie den Torso des Zombies auf den Boden sacken, wie eine Vogelscheuche, der man den Ständer weggezogen hatte.

      Fassungslos starrte sie auf einen Jungen, der zwischen den anderen Kindern aufrecht saß. Sie fasste sich, suchte mit vorgehaltener Waffe die Kirche nach dem Schützen ab, der mit einer schallgedämpften Waffe hier irgendwo sitzen musste.

      »Wir sind Lebende! Nicht schießen!«, rief sie.

      »Das war ich.«

      Die Stimme des Jungen klang heiser und kläglich. Sandra sah ihn stirnrunzelnd an, entdeckte aber keine Waffe in der Hand des Jungen.

      »Du bist Sandra, stimmt´s?«

      Sandra nickte. Stark drängte sich an ihr vorbei und beugte sich zu Rosi hinunter.

      »Wo ist Frank?«

      Sandra schluckte und ging ebenfalls zu den Kindern. Sie versuchte, alle Ecken gleichzeitig im Auge zu behalten. Auf Höhe des Altars bemerkte sie etliche Reanimierte, die mit verdrehten Gliedmaßen, eingedrückten Gesichtern und Brustkörben wie achtlos weggeworfene Puppen eines Riesen herumlagen ... aber keiner der endgültig toten Untoten wies Schussverletzungen auf.

      »Wir treffen uns später.«

      Stark hatte die Kinder inzwischen flüchtig untersucht.

      »Sie sind bewusstlos. Wahrscheinlich unterernährt und fast ausgetrocknet. Wir werden es nicht zu Fuß schaffen.« Er sah sich um und bekreuzigte sich. Mit einem zitternden Finger deutete er auf Rosi. »Ich weiß nicht, was mit ihr geschehen ist. Aber sie atmet gleichmäßig und ihr Puls scheint ebenfalls in Ordnung zu sein. Herr im Himmel, was für ein Inferno hat hier gewütet?«

      »Hinter der Kirche steht ein Armeelaster«, sagte Jonas.

      »Ein Armeelaster?«

      »Ja. Die Schlüssel hat … der da.« Der Finger des Jungen zeigte auf den kopflosen Zombie in Armeeuniform. Sandra ging zu der Leiche und griff in eine Hosentasche. Sie zog einen großen Schlüsselbund heraus.

      »Ich sehe nach dem Laster, Vater. Versuchen sie die Kinder halbwegs auf die Beine zu bekommen. Wir können sie nicht in den Laster tragen.«

      Ohne auf eine Antwort zu warten rannte Sandra hinaus. Vielleicht würden sie es damit sogar schaffen, unterwegs Frank unverletzt wieder einzusammeln!

      Frank hatte die Orientierung verloren. Er suchte einen ganz bestimmten Ort, war aber irgendwann falsch abgebogen. Egal, solange er die Zombies lange genug von Sandra und den Kindern ablenken konnte, lief alles nach Plan. Er hatte keineswegs Todessehnsucht, auch wenn Sandra das vielleicht so gesehen haben mochte. Er spielte auch nicht den großen Helden. Nein, Frank hatte noch ein paar Asse im Ärmel.

      Drei, um genau zu sein.

      Und er hatte vor, sie möglichst effektiv einzusetzen.

      Ein Blick über die Schulter. So wie es aussah, ging sein Plan auf. Hausmeister Krause und seine Kumpane waren ihm ganz nah auf den Fersen. Jetzt fielen sie sogar in einen leichten Trab, statt einfach nur zu marschieren. Frank erhöhte sein Lauftempo und hoffte und betete, dass seine Beine und seine Lunge ihn jetzt nicht im Stich lassen würden.

      Dann entdeckte er ein Straßenschild.

      Perfekt!

      Er wusste wieder, wo er war.

      *

      Das Gebiet rund um die Kirche schien tatsächlich eine zombiefreie Zone zu sein. Sandra fand den Lastwagen. Vorsichtig öffnete sie die hintere Plane. Keine Zombies, aber dafür jede Menge Kisten mit Aufschriften, die sie im Halbdunkel der Ladefläche nicht entziffern konnte. Und genug Platz für die Kinder. Sie lief um den Laster herum, riss mit vorgehaltener Waffe die Fahrertür auf.

      Die Kabine war leer. Hoffentlich traf das nicht auch auf den Tank zu! Sie warf ihren Rucksack auf den Beifahrersitz, stieg ein, zog die Tür hinter sich zu und durchsuchte den Schlüsselbund.

      Verdammt! Der Fahrer des Wagens musste in seiner Freizeit Schließer im Kölner Klingelpütz gewesen sein, so viele Schlüssel, wie der mit sich herumgetragen hatte. Dann fand sie den Richtigen. Schlüssel ins Schloss, umdrehen, warten … der Tank war noch zu drei Viertel voll. Mit einem Stoßgebet


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