Chronik von Eden. D.J. Franzen

Chronik von Eden - D.J. Franzen


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erneut auf Frank zu, anstatt sich Stark zuzuwenden. Frank hob abwehrend die Hände, als der Schädel des Zombies in einer Wolke aus Haaren und Knochensplittern explodierte. Frank konnte gerade noch seine Füße wegziehen, als der leblose Körper des Zombies zu Boden fiel.

      Frank blieb zitternd liegen. Langsam ließ er die Hände sinken und drehte den Kopf. Sandra stand mit gebeugten Knien hinter ihm, ihre rechte Schusshand mit ihrer Linken abstützend. Abwartend fixierte sie die Reste des Zombies.

      »Musstest du unbedingt schießen, während das Ding auf mir rumhockte?«, fragte er mit zittriger Stimme.

      Sandra entspannte sich.

      »Steh auf, Frank. Alles in Ordnung, Vater?«

      Stark schob sich seitlich in Franks Blickfeld.

      »Ja. Bei Gott, das Ding war unglaublich stark!«

      »Und wo eines ist, sind bestimmt noch mehr.« Sandra wandte sich von den beiden ab. »Die haben für uns die Wahl getroffen. Wir nehmen die Pest«, sagte sie und hielt auf die Straße zu. Stark griff nach Franks Hand und half ihm auf.

      »Alles okay mein Freund?«

      »Ja. Besser wir machen, dass wir hier wegkommen. Die Schnellen von der Brücke werden den Schuss gehört haben.«

      Ein Blitz zuckte über den Himmel, gefolgt von einem Donnerschlag, der Frank bis ins Mark erschütterte. Stark bekreuzigte sich. Schweigend folgten die beiden ungleichen Männer Sandra, die fast schon hinter der nächsten Ecke verschwunden war, als plötzlich die Sirenen losheulten. Ihr an- und abschwellendes Heulen wurde immer wieder vom Donnern des Gewitters übertönt. Sandra blieb stehen und sah sich um. Frank und Pfarrer Stark schlossen schwer atmend zu ihr auf.

      »Verdammt!«, rief Sandra. »Was soll das?«

      »Wie jetzt weiter?«, keuchte Frank. Sandra drehte sich suchend einmal im Kreis. Sie standen kurz vor dem liebevoll Eierplätzchen genannten Kreisverkehr mit dem innen liegenden Parkplatz. Aus allen Richtungen sah sie Bewegungen. Die Reanimierten kamen aus ihren Löchern. Verständnislos blickten sie umher. Zum Glück hatten sie die Drei bisher noch nicht entdeckt.

      »Jemand jagt uns«, stellte Sandra fest. »Wer immer es ist, er will, dass wir einen Spießrutenlauf mitmachen.«

      Sie deutete die Straße hinunter, die sie gerade entlanggelaufen waren. Ganz am Ende kamen schon die Ersten der Horde, die sie über die Südbrücke verfolgt hatten. Sie blickte noch einmal die vor ihnen liegende Straße entlang. Autos, Müll, Hauseingänge … ihr kam eine Idee.

      »Richtung Rheinufer! Los!«

      Frank sah sie erschrocken an. Die Zombies, die im Rhein schwammen, kamen ihm in den Sinn.

      »Was?«

      »Na los!«

      Sandra wandte sich ab und legte ein schnelles Dauerlauftempo vor. Frank sah Stark ratlos an.

      »Vertraue ihr bitte, Frank. Sie ist eine Kämpferin und weiß, was sie tut.«

      »Na hoffentlich«, brummte Frank und lief Sandra hinterher. Pfarrer Stark sah noch einmal die Straße entlang, über die die Zombies ihnen folgten. Er sah durch den nassen Vorhang des Regens den typischen Hut und den grauen Kittel eines Hausmeisters. Aus den Hauseingängen torkelten weitere Untote, schlossen sich dem schweigenden Zug ihrer Verfolger an.

      »Selbst im Tod noch zerfressen von dieser unbändigen Wut. Tomasz Adamcyk, ich bete für deine Seele und werde deine Tochter vor dir und deiner unseligen Wut schützen, die dir selbst im Tod keinen Frieden lässt. Und wenn es das Letzte ist, was ich in diesem Leben tue. Amen.«

      Die Sirenen untermalten seinen Schwur mit ihrem klagenden Gesang. Stark drehte sich um und folgte den beiden.

      *

      Die Kinder horchten auf, als der Klang der Sirenen in ihr dunkles Versteck drang. Jonas neigte fragend den Kopf zur Seite, schloss für einen Moment die Augen. Rosi keuchte entsetzt auf.

      »Er ist es! Er ist hier, ich kann es spüren!«

      Jonas nickte.

      »Ja. Er ist hier, aber er weiß nichts von uns. Er jagt Frank. Bei Frank sind eine Sandra und ein ...« Jonas runzelte die Stirn. »... Pfarrer?«

      Peter und Michael schlossen nun auch die Augen, griffen mit ihren Sinnen nach draußen, suchten … sondierten … und zuckten entsetzt zurück.

      »ER hat einen von Ihnen beeinflusst! ER hat einen von Denen zum Anführer einer Armee gemacht!«

      Gerhard stand auf und griff nach der Lampe. Er drehte sie so hell wie möglich.

      »Wir müssen handeln. Wir können nicht warten, bis Frank hier ist.«

      Jonas stand auf und sah Gerhard ernst an.

      »Wir haben Jacqueline verloren. Wir haben keinen Fokus mehr. Deswegen sitzen wir hier fest, wie du weißt. Wie sollen wir es ohne sie schaffen, die da oben abzuwehren?«

      Gerhard nickte.

      »Ja. Du hast recht. Trotzdem müssen wir es versuchen.«

      Rosi stellte sich zwischen die beiden Jungen.

      »Ich bin dabei. Ich werde unser Fokus sein.«

      Peter und Michael stellten sich schweigend dazu. Jonas sah sie der Reihe nach an.

      »Ihr wisst, wie gefährlich das ist? Wir sind noch nicht voll ausgebildet, wissen nur sehr wenig über das, was wir können …« Er schluckte. »Verdammt, wir sind Kinder. Keiner von uns ist älter als dreizehn. Rosi, du bist sogar erst elf, und somit die Jüngste von uns! Wenn selbst Erwachsene nicht gegen die Knirscher ankommen, was sollen wir da schon ausrichten können?«

      »Wir werden es darauf ankommen lassen müssen, Jonas«, sagte Gerhard. Er wirkte in diesem Moment wie der kleinste Erwachsene der Welt. Die Sorgen und Ängste der letzten Wochen hatten ihn härter gemacht, als man es einem Kind seines Alters zutrauen mochte. Das galt für sie alle, aber Gerhard hatte es besonders hart erwischt, denn der Soldat, der sie hatte in Sicherheit bringen sollen, war sein Vater gewesen. Sein Vater, oder das, was die Krankheit aus ihm gemacht hatte, lauerte nun dort oben auf sie.

      Tot und doch nicht tot.

      Hungrig.

      Nicht mehr sein Vater, sondern einer von denen.

      Ein Knirscher.

      Gerhard sah der Reihe nach die anderen an.

      »Wenn wir Frank und den anderen nicht entgegengehen, sitzen wir hier fest, bis wir verhungert oder verdurstet sind. Sie schaffen es nicht bis hierher, und das weißt du genau, Jonas. Wer ist also dafür, dass wir es versuchen?«

      Nacheinander nickten die Kinder Gerhards Vorschlag ab. Jonas zögerte, doch dann nickte auch er.

      »Dann lasst es uns versuchen. Rosi, glaubst du, du schaffst es?«

      »Ja«, sagte sie und stellte sich mit ausgebreiteten Armen so hin, dass sie die verbarrikadierte Tür des Kellers sehen konnte. Jonas nahm ihre linke, Gerhard ihre rechte Hand. Peter und Michael stellten sich ganz außen hin, und gaben jeweils Jonas und Gerhard die Hand. Im schwächer werdenden Licht der Propangaslampe sahen die Fünf aus wie ein Scherenschnitt, der als Dekoration für einen Kindergeburtstag gedacht war. Kaum hatten die Kinder eine Linie gebildet und ihre Augen geschlossen, wurde es dunkler und die Luft schien dicker zu werden. Die Zeit wirkte wie zähflüssiges Glas, gewann eine nahezu greifbare Konsistenz. Die Stühle und andere Gegenstände, die die Kinder als zusätzliche Barrikade auf den oberen Treppenabsatz vor der Tür gestapelt hatten, begannen zu zittern. Ein leises Wispern erfüllte den Raum, obwohl die Kinder alle schwiegen, vollkommen in ihre Konzentration versunken waren.

      Dann riss Rosi die Augen auf.

      Und die Tür zum Keller explodierte nach außen.

      Sandra hielt ihr Tempo bei, wofür Frank sie verfluchte. Sie rannten am Rheinufer entlang in Richtung Innenstadt. Nicht weit voraus sah er schon das


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