Chronik von Eden. D.J. Franzen

Chronik von Eden - D.J. Franzen


Скачать книгу
er uns das glauben oder uns überhaupt verstehen wird?«

      Das war eine gute Frage. Nachdenklich blickten die Kinder vor sich hin. Für einen verrückten Moment sahen sie aus, wie die absurd junge Ausgabe eines militärischen Kommandostabs, der vor einer schwierigen Entscheidung stand.

      Dann sah Jonas auf. Er schüttelte den Kopf.

      »Nein. Ich werde ihm nichts sagen. Je weniger Frank weiß, umso größer die Chance, dass ER ihn nicht wahrnimmt.«

      Nacheinander nickten Gerhard, Peter, Michael und Rosi Jonas Entscheidung ab. Dann begann wieder das lange, schweigsame Warten.

      Und das Knirschen der Anderen da draußen wurde immer stärker.

      *

      Der Schuhladen hatte vor dem Armageddon tatsächlich auch andere Lederwaren im Angebot gehabt. Schnell wurden Stark und Sandra fündig. Zwei große Rucksäcke, für längere Trekkingtouren geeignet, lagen schon an der zerbrochenen Schaufensterscheibe bereit, als Frank dazukam. Er hörte die Stimmen der beiden zwischen den Regalen in dem dunklen Laden.

      »Ich kenne dich«, sagte Stark, »Bist du nicht die Kleine der Adamcyks?«

      »Ja.«

      Sandras Stimme klang merkwürdig belegt, fand Frank. Leise stieg er in den Laden ein, und belauschte die beiden, den Blick nach draußen gerichtet.

      »Ich hätte dich eben beinahe nicht wiedererkannt.«

      »Kein Wunder. Ich habe obenherum ein wenig zugelegt.«

      Stark räusperte sich, und Frank musste sich ein Auflachen verkneifen, um sich nicht zu verraten.

      »Wie geht es deinem Vater? Ich meine, wenn ich das in dieser Situation überhaupt fragen darf.«

      »Er ist tot, und das ist gut so.«

      »Hier, probier mal diese Schuhe.« Rascheln im Hintergrund. »Da ist viel Zorn in dir.«

      »Was ja wohl kaum verwundert, oder?«

      Ein tiefes Brummen, das sowohl Zustimmung, als auch Skepsis sein konnte.

      »Findest du nicht, dass es an der Zeit wäre, ihm zu vergeben? Angesichts der herrschenden Umstände?«

      »Er hat das bekommen, was er verdient.« Kurzes, dumpfes Aufstampfen. »Die passen.«

      »Nun gut. Wenn du reden möchtest, ich bin ja bei euch.«

      Seufzen. Eher genervt, als ergeben.

      »Vater, ich bin jahrelang in die Kirche gekommen, habe immer und immer wieder darum gebetet, dass ER mir und meiner Mutter doch bitte helfen soll. Und was ist passiert? Nichts, nichts und nochmal nichts! Ihr großer Boss da oben hat wohl immer ausgerechnet dann seinen freien Tag genommen, wenn ich ihn gerade am dringendsten gebraucht hätte.«

      »Sandra!«

      »Nein! Es kommt ja alles noch viel besser, Herr Pfarrer! Ich hatte ihn schon im Visier, hatte endlich die Möglichkeit, ihm all das heimzuzahlen, was er mir und meiner Mutter all die Jahre angetan hat. Es wäre sogar eine Erlösung für ihn gewesen, wenn man die derzeitige Situation bedenkt, wie sie das da draußen so schön beschreiben. Und was passiert? Der da oben kommt aus seinem freien Tag zurück und hält seine Hand schon wieder schützend über diesen elenden Bastard!«

      »Du hast deinen Vater gesehen?«

      »Ja. Er ist jetzt einer von denen da draußen. Und ich schwöre bei allem, was Ihnen heilig ist, Herr Pfarrer, wenn er mir das nächste Mal vor die Flinte läuft, blase ich ihm das Hirn aus dem Schädel! Und wenn die wieder nicht ballert, trete ich ihm derartig in die Eier, dass eben seine kleinen vertrockneten Dinger quer durch seinen verdorrten Leib sausen und sein Gehirn zu Mus zerquetschen!«

      »Aber mein Kind, du musst -«

      »Finger weg! Als ich SIE brauchte, waren SIE auch nie da. Also brauchen wir jetzt erst gar nicht mit irgendwelchen Vertraulichkeiten anzufangen.«

      Schritte im Dunkel zwischen den Regalen. Frank hüpfte über die Reste der zerbrochenen Scheibe nach draußen und tat so, als wäre er gerade erst angekommen. Sandra kam aus einer Regalreihe und blickte ihn finster an.

      »Was machst du hier?«

      »Es braut sich ein Unwetter zusammen. Ich wollte euch holen, bevor es losgeht. Du weißt ja, Dunkelheit und so.«

      Sandra starrte ihn einen Moment misstrauisch an. Dann warf sie ihm ein Paar fest aussehende, knöchelhohe Wanderschuhe hin.

      »Hier. Die müssten passen. Vierundvierzig, extra breit.«

      Ohne ein weiteres Wort schnappte sie sich die Rucksäcke und ging zu Pfarrer Starks Papamobil. Frank atmete tief durch. Dann folgte er ihr.

      Der dunkle Mann fand viele gute Anlagen in Papa. Zorn, Neid, Gier … Aber auch die Vergangenheit dieses Untoten war interessant.

      Einst ein Soldat, war er unehrenhaft aus der Armee entlassen worden. Alkohol und eine Prügelei mit einem Vorgesetzten, danach der Absturz im Privatleben. Arbeitslos, nur geringe Bezüge, schließlich Hilfsarbeiter in einer Zeitarbeitsfirma und zuletzt dann ein Ausweg aus diesem Teufelskreis, ein richtiger Job als Hausmeister. Ein Absprung jedoch, der für diesen Mann, der andere Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten gewohnt war, keinen Ausgleich darstellte. Als alternativlos hatte er damals seine Lage eingeschätzt, und die Tätigkeit letztendlich angenommen, die ihm zwar mehr Geld einbrachte, ihn aber noch weiter herunterzog in den Strudel aus Selbstmitleid und Selbsthass.

      Und die Wut in Tomasz war immer größer geworden.

      Zwischen all dem sah der dunkle Mann immer wieder den Alkohol, die Gier nach Macht und die heiße Wut auf die Welt der glücklichen Faulenzer um Tomasz herum aufblitzen. Wut, Neid und Gier auf die anderen, mit ihren schicken Autos, ihren teuren Klamotten und den heißen Bräuten, während daheim auf ihn nur ein farbloses Weib und ein plärrendes Gör warteten. Und immer wieder sah der dunkle Mann die Gewalt, die Tomasz gegen seine Frau und seine Tochter richtete, einen kleinen rothaarigen Teufel.

      Das war nicht immer so gewesen. Es gab da in der Vergangenheit eine Zeit, in der er ein guter Vater gewesen war. Was hatte ihn so verändert?

      Der dunkle Mann griff noch tiefer in das Bewusstsein des Untoten, und dann fand er die Antwort.

      Krieg.

      Tomasz Adamcyk war im Kosovo eingesetzt gewesen, hatte als Mitglied der Friedenstruppen so viel Leid und Gewalt gesehen, dass er sich in den Alkohol geflüchtet hatte.

      Ja, fand der dunkle Mann. In dieser Kreatur hatte er tatsächlich ein beinahe perfektes Werkzeug gefunden. Vorsichtig flüsterte er dem Bewusstsein Geheimnisse zu. Nur einflüstern, nicht direkt eingreifen. So lauteten die Regeln. Aber ein wenig würde er sie schon beugen können, wenn er nur vorsichtig genug war.

      Und so gab er Papa, der sich jetzt selbst als Tomasz verstand, ein klein wenig von der Fähigkeit zurück, welche die Menschen in ihrem Größenwahn Denken nannten.

      Als der dunkle Mann fertig war, hingen schwere Wolken über dem verwüsteten und entvölkerten Köln. Ein schwacher Wind brachte die erste Ahnung von einem nahenden Sturm, trieb Papier und vergessene Kleidung über die Straße. Irgendwo in der Nähe heulte ein Hund. Der dunkle Mann lehnte sich zurück, tauchte aus den Tiefen des fremden Bewusstseins wieder auf. Sein Finger deutete auf eine schmale Brücke, die über den Rhein führte.

      »Dort drüben.«

      Tomasz öffnete die Augen. Dumpfes Verstehen glomm in ihnen auf, und der Zombie folgte mit seinem Blick der Geste des dunklen Mannes. Als er sich wieder umwandte, war Gabriel weg. Aber das war egal.

      Tomasz hatte eine Aufgabe.

      Tomasz würde wieder in den Krieg ziehen.

      Ein letzter Blick auf seine Truppen, die sich langsam wieder aufrappelten, dann marschierte er los.

      Die Wolken über Köln versprachen ein kräftiges Gewitter.


Скачать книгу