Chronik von Eden. D.J. Franzen
ihr Anführer.
Wer nicht folgte, war nur eine Kraftquelle.
Nach wenigen Augenblicken war der Aufmüpfige nur noch ein Bündel aus zuckendem Fleisch unter einem Wust aus beißenden und krallenden Leibern. Ein Gefühl der Zufriedenheit machte sich in Papa breit, ein Gefühl der Macht. Ein gutes Gefühl, wie ihm die Gier bestätigte. Jetzt hatte er die Macht über die anderen. Nun musste er nur noch herausfinden, wo sich das warme Rote versteckt hatte. Mit neuer Kraft ging er den Weg entlang, den das warme Rote genommen hatte. Seine Krieger folgten ihm.
Keiner von ihnen bemerkte die schattenhafte Gestalt, die sich in einem dunklen Hauseingang versteckt hielt und das Geschehen beobachtet hatte. Ja, die Gier des Menschen war stark, selbst im Angesicht des Einen.
Und die Gier machte sie zu perfekten Werkzeugen für ihn.
Kapitel VII - Der dunkle Mann
In dem Keller der Kirche war es dunkel. Jonas hatte das Licht der Propangaslampe soweit wie möglich heruntergedreht und nur ein schwacher Schimmer, nicht mehr als ein Feuerzeug vielleicht hergeben mochte, erhellte ihren Zufluchtsort, ließ die Schatten in den Ecken tanzen. Sie brauchten nicht mehr Licht. Wo sollten sie auch hingehen, was sollten sie auch sehen? Der Kellerraum der Kirche war eine Rumpelkammer, in der alles Mögliche lagerte, was nicht unbedingt gebraucht wurde, aber auch zu schade zum Wegwerfen gewesen war.
Jonas stand in der Mitte des Raumes und sah sich um. Die anderen schliefen. Er sah in dem schwachen Licht Rosi und Peter, die beiden Geschwister. Sie lagen nahe der hintersten Ecke des Raumes, neben einem alten Holzregal. Eng umklammert schliefen sie. Michael und Gerhard schliefen im Sitzen. Sie hatten sich an die Seite der nach oben führenden Steintreppe gelehnt. Jonas lauschte in die Stille. So, wie es nur einer konnte, der so war wie er. Oder Rosi. Oder Gerhard. So wie sie alle waren.
SIE waren noch da.
SIE waren noch da oben.
Er hörte IHR Knirschen und wusste zugleich, dass es sonst niemand hören konnte, der nicht so wie er war.
SIE genossen das Dämmerlicht in der Kirche, weil ihnen das Tageslicht die Kraft nahm.
Jonas seufzte.
Hoffentlich kam Frank bald. Und hoffentlich würde er sich vorher nochmal bei ihm melden, damit er ihn warnen konnte.
Mit einem weiteren Seufzen setzte Jonas sich auf den Boden und hielt das Funkgerät umklammert.
Ein Anker in der Dunkelheit, der Angst und der Ungewissheit.
*
Stark fuhr mit Frank und Sandra durch Nebenstraßen in Richtung Poll. Aus einem tragbaren CD-Player, den Stark in die schmale Ablage für den Fahrer geklemmt hatte, erklang leise ein Song von Johnny Cash. When the man comes around.
»Könnten Sie bitte ein anderes Lied abspielen?«, fragte Frank.
»Warum?«
»Der Song war mal der Soundtrack zu einem Zombiefilm.«
»Ich weiß. Und selten gab es eine passendere musikalische Untermalung, als bei diesem Film. Ich mag den Man in Black. Und dieses Lied spielt mit den Worten der Bibel, mein Sohn.«
»Ich weiß. Es sind die Worte der Offenbarung.«
»Dann weißt du vielleicht auch, dass Johnny darin das Jüngste Gericht beschreibt?«
»Ja, und genau deswegen möchte ich es jetzt nicht hören.«
Der Pfarrer seufzte und drehte Cash mitten im Song die Luft ab. Stark sagte nichts mehr. Er musste sich auf das Fahren konzentrieren. Die Straßen wurden allmählich enger und immer schwerer zu passieren. Autowracks, aufgeplatzte Koffer, die das Hab und Gut von Flüchtlingen nicht mehr halten konnten, Glasscherben und Reste von Plünderung und Panik machten ihren Weg zu einem Hindernisparcours. Sie sahen ein paar Haustiere, die irgendwie ihren Weg in die Freiheit gefunden hatten, oder in der großen Panik einfach ausgesetzt worden waren. Ein Wellensittich pfiff von einem Baum herunter, der Papagei einen Ast tiefer beäugte sie misstrauisch. Ein abgemagerter Hund fraß aus einer Mülltonne, während sich ihm eine Katze mit gesträubtem Fell von hinten näherte, um selber auch etwas von dem Festschmaus zu ergattern.
Plötzlich fuhr ein Ruck durch das Fahrzeug. Stark hatte eine Vollbremsung hingelegt. Frank konnte nur mit Mühe verhindern, dass er gegen den Pfarrer prallte. Er entdeckte eine Schildkröte vor ihrem Wagen, die gemächlich ihren Weg kreuzte. Als sie vorbei war, fuhr der Pfarrer weiter. Sandra fragte Stark, warum er denn ausgerechnet in Richtung Poll fahren würde, anstatt den schnellsten Weg auf die andere Rheinseite zu nehmen. Stark brummelte etwas von starkem Verkehr, und dass sie auf Umwegen besser zu ihrem Ziel gelangen würden, als auf dem scheinbar einfachen und direkten. Sandra sah sich um und nickte. Dann holte sie ihre Pistole hervor. Mit geschickten Griffen begann sie, die Waffe zu zerlegen. Frank sah ihr erstaunt zu.
»Lernt man das durch die Rambofilme?«
»Nein. Von seinem Vater.«
Sandra fand das Problem mit der Waffe. Eine Patrone hatte sich auf dem Weg vom Magazin zum Lauf verkantet.
»War er Polizist?«
»Nein.«
»Gangster?«
Sandra blickte auf. Frank zuckte unmerklich zurück.
»Du nervst.«
»Entschuldige. Ich wollte nur ein wenig Small Talk halten und dich näher kennenlernen.«
Sandra senkte wortlos den Blick und fuhr fort, die Pistole wieder einsatzbereit zu bekommen. Frank sah sich um. Die Häuser glotzten aus blinden, zerbrochenen und dunklen Fenstern zurück. Er erschauerte und fragte sich, warum hier so wenige der Zombies waren. Er setzte gerade zu einer entsprechenden Frage an Stark an, als der das Fahrzeug nach rechts lenkte. Er hielt unter einer Brücke. Frank sah sich erstaunt um.
»Die Südbrücke?«
Stark stieg aus dem kleinen Gefährt und nickte.
»Richtig, mein Sohn.«
»Aber … das ist ganz am anderen Ende von Köln, quer durch die Stadt von unserem Ziel entfernt!«
»Auch richtig. Aber diese Brücke ist die Einzige, die wir passieren können. Die Deutzer Brücke ist meines Wissens nach vermint, die Severinsbrücke hast du vielleicht selber gesehen. Vollkommen verstopft. Alle anderen Brücken würden uns vielleicht unserem Ziel näher bringen, aber vorher müssten wir uns ebenso durch halb Köln durchschlagen. Wenn auch auf der falschen Seite. Und ich weiß nicht, wie es auf den anderen Brücken aussieht. Also ist das der Weg, den der Herr uns weist.«
Sandra stieg aus dem Wagen. Sie nickte Frank zu.
»Ja, er hat recht. Außerdem ist auf der anderen Seite unsere Chance größer, unsere Ausrüstung aufzubessern. Dort gibt es auf unserem Weg mehr Fachgeschäfte, Apotheken ...«
Frank nickte mit einer säuerlichen Miene.
»Ja. Und mehr von diesen Dingern, die uns als kleine Canapés betrachten.«
Stark lächelte.
»Fürchte dich nicht, mein Sohn. Der Herr ist unser Hirte, und es wird uns an nichts mangeln.«
Vor allem nicht an Gründen, die Beine in die Hand zu nehmen, dachte Frank, schwieg aber. Der Pfarrer war ihm einerseits willkommen, andererseits aber auch suspekt. Er war eine lebende Erinnerung an eine Zeit, als seine Eltern noch lebten, und als die Welt noch in Ordnung war. Die Sprüche des Pfaffen kannte er zur Genüge. Stark sah sich um. Gedankenverloren strich er sich über seinen Bart.
»Wartet hier«, sagte er unvermittelt. »Ich bin sofort wieder da.«
»Wo willst du hin?«, fragte Frank, ohne auf die persönlich gewordene Anrede zu achten, die ihm herausgerutscht war. Stark war schon halb auf der Straße. Er blieb stehen und drehte sich um.
»Wir werden zu Fuß weitergehen müssen, mein Sohn. Und damit wir unsere Ausrüstung