Chronik von Eden. D.J. Franzen

Chronik von Eden - D.J. Franzen


Скачать книгу
Hier war ein Spezialist der Armee. Ein Colonel der Einsatzkräfte, den alle mit Doc ansprachen obwohl er unter seinem Kittel eine Uniform trug. Er hat uns alle ständig untersuchen lassen. Wir bekamen dauernd Spritzen, wurden untersucht ... und dir hat er sogar eine richtige Dröhnung verabreichen lassen. Neben dem Zeug, was du sonst noch nimmst.«

      Am liebsten hätte Martin dem verwachsenen Zwerg das Grinsen aus dem Gesicht gehämmert. Woher wussten die Kids von seinem ... speziellen Problem und der Lösung, die er dafür gefunden hatte? Martin beschloss Letzteres einfach im Raum stehen zu lassen. Besser keine schlafenden Hunde wecken. Er atmete tief durch.

      »Wie kommst du denn darauf, das mir irgendwas gefährliches injiziert wurde? Ich denke, ihr durftet euer Zimmer nicht verlassen?«

      Melanie, Gabis taubstumme Schwester, griff hinter sich und holte einen Injektionsbeutel hervor. Martin sah das Biohazard-Zeichen, das Behälter mit gefährlichen Viren oder Bakterien kennzeichnete.

      »Das haben wir in deinem Zimmer gefunden«, sagte Tom. Seine Stimme klang kläglich. Martin schluckte und dachte an die Stimmen.

      »Habt ihr das Zeug auch bekommen?«

      »Ja.«

      »Und? Seid ihr krank geworden?«

      Die Kinder schüttelten den Kopf.

      »Na also. Alles halb so schlimm. Oder? War bestimmt eines der Gegenmittel für die Seuche.«

      Die Kinder sahen skeptisch drein. Für einen Moment fragte Martin sich, warum auch die angeblich Tauben ihn so gut zu verstehen schienen. War es so leicht, von den Lippen abzulesen, selbst wenn der Sprecher –

      Eine Stimme aus den Lautsprechern der Funkanlage unterbrach seinen Gedankengang.

      »Hier Einheit Sieben an Basis Bonn. Kommen.«

      »Basis Bonn hört.«

      »Einheit Sieben. Wir sind am ehemaligen Hauptquartier Köln. Das Gebäude ist voll von ihnen. Kein Zutritt möglich, wiederhole, kein Zutritt möglich. Wenn es dort Überlebende gibt, kommen wir nicht an sie heran und sie nicht zu uns.«

      Während die Stimme von Einheit Sieben flüsterte, rauschte im Hintergrund wieder dieses verrückte Geräusch. Ein hundertfaches Mahlen und Knirschen, Rascheln und Nöhlen. Es klang, als wäre der Funker der Einheit in einen riesigen Ameisenbau geraten. Eine Gänsehaut lief Martin über den Rücken. Er drehte sich um und hastete an das Funkgerät.

      »Einheit Sieben. Bitte wiederholen Sie.«

      »Einheit Sieben hier. Ich wiederhole, das Gebäude ist voll mit ihnen. Wir können es nicht betreten. Es sind zu viele. Colonel Wright und seine Männer müssen als Totalverlust angesehen werden.«

      »Verstanden, Einheit sieben. Bleiben Sie bedeckt und warten Sie auf weitere Befehle.«

      Martin versuchte herauszufinden wo der verdammte Sendeknopf war. Er kannte nur die alten Anlagen, in denen man noch in ein Mikrofon mit Standfuß und Knopf sprach. Und was gab es hier? Ein gottverdammtes Headset aber nirgends einen Sendeknopf! Eine befehlsgewohnte Stimme erklang.

      »Einheit Sieben, hier spricht Major Mainhardt im Auftrag von Général Dupont. Sofortiger Rückzug. Ich wiederhole: Sofortiger Rückzug. Die geplante Sterilisation des Bezirks dreiunddreißig beginnt in dreißig Minuten.«

      »Sir?«

      »Achten Sie auf den Mindestsicherheitsabstand von fünf Meilen.«

      Feiner Schweiß perlte über Martins Oberlippe. General Dupont? Baguette und Gauloises? Geplante Sterilisation? Was wurde da gespielt? Was bedeutete das Wort Sterilisation, wenn ein General ... Ein Bild schob sich vor seine Gedanken. Ein Verdacht schwoll in ihm an. Mit zitternden Fingern griff er nach dem Headset. Wenn er die anderen hören konnte, würde man ihn doch auch empfangen, oder?

      »Hallo? Hört mich jemand? Wir sind hier unten. Jemand muss uns rausholen. Hallo?«

      »Hier Einheit Sieben. Befehl verstanden Sir. Wir ziehen uns zurück.«

      Martin schlug mit der flachen Hand gegen das Funkgerät.

      »Hallo? Verdammt, hört mich jemand?«

      Nur das monotone Rauschen der leeren Frequenz antwortete ihm. Großflächige Sterilisation ... Was hatte dieser General vor? Martin wollte erneut um Hilfe funken, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. Auf Martins Stirn brach kalter Schweiß aus. Wie säuberte man ein Gebiet, das mit Bakterien oder Viren verseucht war?

      Mit Feuer.

      Mit sehr viel Feuer.

      Mit blassem Gesicht drehte er sich zu den Kindern um. Gabi wimmerte leise in den Armen ihrer Schwester. Karl, Kurt und Tom starrten sich mit bleichen Gesichtern an. Ritchie hatte sein Gesicht an die Decke des Gewölbes gewandt, als könnte er alleine Kraft seines Willens den Stein mit seinem Blick durchdringen. Langsam senkte er den Blick. Ein sarkastisches Grinsen verzerrte sein Gesicht.

      »Leute. Ich glaube wir haben ein Problem.«

      *

      Martin und die Kinder hasteten durch einen der Gänge, die von dem unterirdischen Dom wegführten. Ritchie, der an der Spitze der Gruppe die Geschwindigkeit vorgab, spielte den Reiseführer.

      »Wir sind hier unter der ehemaligen Toilettenanlage des Westflügels der Hochschule. Hier wurden früher die Abwässer abgeleitet. Je würziger also die Luft riecht, umso näher kommen wir an das Ende des alten Kacketunnels.«

      Martin verzog in einer Mischung aus Schmerz und Abscheu das Gesicht. Konnte der neunmalkluge Zwerg da vorne nicht einmal die Klappe halten? Die Seitenstiche kehrten mit brutaler Gewalt zurück, und Martin stöhnte unterdrückt auf. Er zitterte am ganzen Körper. Seine Beine brannten, als würde er durch ein Meer aus brennendem Kerosin waten. Erschöpft blieb er stehen und stützte sich an einer der Wände ab. Tom leuchtete ihm mit einer der mitgenommenen Taschenlampen ins Gesicht.

      »Alles in Ordnung?«

      »Ich brauche eine Pause.«

      »Wir sind gleich da.«

      »Wohin führt der Weg?«

      »Immer weiter geradeaus. Der Tunnel macht nur einen leichten Bogen.«

      Martin nickte Tom zu.

      »Dann geht vor. Ich komme nach.«

      Tom blickte Martin zweifelnd an. Schließlich gab er ihm die schwere Maglite und rannte hinter seinen Freunden her, die schon ein ganzes Stück weiter gegangen waren. Martin lehnte sich schwer atmend mit dem Rücken gegen Wand.

      Karins Gesicht schob sich vor sein geistiges Auge. Irgendwo in seinem Kopf erklang ihre spöttische Stimme. Martin Martinsen, Retter von Witwen und Waisen.

      Ein heiseres Lachen floh aus seinem Mund. Bisher hatte er sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Es waren eher die Kinder, die ihn aus der Scheiße zogen. Wohin würden sie ihn führen? Was kam dann? Was sollte er mit einer Horde behinderter Kinder anfangen? Ritchie ging ihm schon jetzt tierisch auf die Nerven. Gabi war ganz offensichtlich nicht ganz klar in der Murmel, und auch der Rest der Truppe war nicht unbedingt seine erste Wahl an Gefährten, für eine Flucht durch unbekanntes Gebiet. Ein metallisches Kreischen und Toms Stimme holten Martin zurück in die Gegenwart.

      »Martin?«

      Was sollte er tun?

      »Martin? Alles in Ordnung?«

      Was, wenn er genau wie bei Karin, wieder versagen würde? Schritte kamen näher. Ein Lichtstrahl kam aus dem dunklen Ende des Tunnels auf ihn zu. Martin bemerkte, dass er unbewusst in Tränen ausgebrochen war. Schnell wischte er sie sich aus dem Gesicht und stellte fest, dass er auf dem Boden saß. Hastig richtete er sich auf und stieß sich fast den Kopf an der niedrigen Decke des Tunnels. Toms Gestalt wuchs aus dem Dunkel heraus.

      »Martin?«

      Seine Muskeln spannten sich. Er atmete tief durch.

      »Ich bin hier.«

      Seine


Скачать книгу