Liebe ohne Hiebe. Ekkehard von Braunmühl

Liebe ohne Hiebe - Ekkehard von Braunmühl


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vornimmt, dem Kind nicht mehr weh zu tun. Sie will das Kind nicht schlagen, das ist ganz eindeutig. Aber in bestimmten Situationen tut sie es doch, und hinterher ist sie nicht mehr auf ihre Tochter wütend, aber auf sich selber. Sie sagt, wenn sie darüber nachdenkt, daß sie ihr Kind einerseits abgöttisch liebt, andererseits doch ab und zu so ausrastet, das bringt sie regelrecht zur Verzweiflung.

       Klar. Wenn ich mir was vornehme und schaffe es dann nicht, bin ich auch unzufrieden.

       Die Frau ist nicht unzufrieden, die Frau ist verzweifelt!

       Hat sie dich womöglich angesteckt?

       Ich bin sauer, weil du immer so locker daherredest und gar kein Verständnis dafür zeigst, wie dreckig es manchen Leuten geht, die nicht so toll mit allem klarkommen wie du.

       Ja, was? Will Frau Erna F. aus K. jetzt Mitleid von uns, oder will sie nützliche Ideen?

       Natürlich will sie beides!

       Also gut. Wenn sie jetzt hier bei uns säße, würde ich ihr bestimmt mein Verständnis und Mitgefühl ausdrücken. Aber in echt ist sie doch gar nicht rund um die Uhr verzweifelt. Im Augenblick zum Beispiel liest sie ganz ruhig und neugierig unser Buch. Sie ist also nicht in einer mitleiderregenden, sondern in einer beneidenswerten Lage.

       Ich weiß nicht recht, ob sie das auch so sieht.

       Was willst du? Sie kriegt genau die Ideen, die ihr zu fehlen scheinen, um tatsächlich das zu tun und zu lassen, was sie tun und lassen will.

       Eben nicht! Sie hat von Ameisen gelesen und von Villen – trau dich nur! –, jedenfalls haben wir stundenlang herumgeredet, und Frau F. aus K. fühlt sich von uns verarscht. Wenn wir schon eine Kunstfigur aus dem Hut zaubern …

       Bist du belämmert? Das kannst du doch nicht verraten!

       Wieso? Es sind ja echte Fälle und echte Menschen, die Frau Erna F. aus K. für unser Buch vertritt. Und echte Leser, nebenbei. Die haben unser Herumgerede auch langsam satt.

       Ich rede hier nicht herum, sondern tue meinen Job. Im Augenblick ist es unsere Aufgabe, in das Buch einzuführen, also möglichst viele richtige und möglichst wenig falsche Erwartungen zu wecken. Unser Buch ist wie ein Reiseführer oder eine Wanderkarte …

       Das hat sooo’n Bart. Die Landkarte ist nicht die Landschaft. Ein Kochrezept macht nicht satt. Was soll das?

       Nun ja, wenn deine Frau Erna in der Landschaft herumstolpert, weil sie keine vernünftige Landkarte hat oder überhaupt unvorbereitet losgezockelt ist, dann hat sie es schwer, die richtigen Wege zu finden.

       Aber jetzt will sie sich orientieren!

       Das ist ja auch sehr schlau von ihr.

       Und von uns wäre es schlau, wenn wir endlich zu der »Gemeinsamen Erklärung« kämen, mit der wir die Leser darüber orientieren wollten, was von unserem Buch zu erwarten ist.

       Was heißt »wollten«? Wir wollen es, und wir machen es. Frau Erna hat ein Recht darauf, daß ihr Buch eine anständige Einleitung bekommt. Ich schlage vor, daß wir jetzt endlich anfangen, sie auszuhecken.

       Ha! Dies »endlich« deute ich mir um in meinem Sinne, Knabe! Wie fangen wir an?

       Als erstes beglückwünschen wir die Millionen Leser, daß sie dieses wunderprächtige Buch entdeckt haben.

       Ich würde damit beginnen, daß wir keine theoretischen Diskussionen über den Gewaltbegriff und die Auswirkungen von Gewalt führen. Wir zeigen den Leuten ganz praktisch, wie sie auf Gewalt verzichten können, wenn sie das wollen.

       An erster Stelle muß der Spaß stehen, das Spielerische, die Vielfalt der Möglichkeiten, die Freiheit des Geistes. Die Gedankenfreiheit, Phantasie und so, ist ja das beste Mittel gegen die Hilflosigkeit, die dann oft Gewalt als einzigen oder letzten Ausweg erscheinen läßt – sofern man dieses Mittel richtig einzusetzen versteht.

       Okay, aber dann gehört doch an die allererste Stelle, daß wir haargenau erklären, wie man es anstellt, in brenzligen Situationen nicht den Kopf zu verlieren. Wenn du nicht weißt, wie du den Überblick behältst, nützt dir die geistige Freiheit wenig.

       Nichts nützt sie dir. Ohne Seelenfrieden keine Geistesfreiheit.

       Sag ich doch! Also müssen wir das Thema Gefühle, Erregungen, Streß und so behandeln.

       Klar. Im Buch steht dieses Thema sowieso an erster Stelle. Aber wir besprechen jetzt unsere »Gemeinsame Erklärung«. Wenn wir für die noch mehr Punkte finden, die an den Anfang sollen, dann werden uns, fürchte ich, die ersten Stellen allmählich knapp.

       Gelobt sei deine Weisheit. Vielleicht kriegen wir eine vernünftige Reihenfolge hin, wenn wir erst einmal alle Punkte gesammelt haben, die in die Erklärung gehören.

       Gelobt sei deine Weisheit.

       Oh, herzlichen Dank. Das gibt mir den Mut, auf den Titel des Buches zu sprechen zu kommen. Mit »Hiebe« meinen wir ja nicht nur Klapse und Prügel, sondern alle möglichen Grobheiten. Und das Stichwort »Harmonie« müßte auch fallen.

       Gute Idee. Also laß fallen, Kumpel!

       Hauptsächlich sollten wir nicht den Eindruck erwecken, als wären wir »harmoniesüchtig« oder »konfliktscheu«.

       Oder als würden wir die Menschen, die Hiebe austeilen oder andere Formen der Gewalt anwenden, verteufeln!

       Genau. Aber wie erklären wir das so vorneweg, ohne lauter Mißverständnisse zu riskieren?

       Das geht wohl nicht. Wir zeigen ja einen Weg mit vielen kleineren und größeren Schritten. Auf jeden Fall ist es nicht mit einem einzigen Hüpfer getan.

       Was heißt »Hüpfer«! Wir sollten betonen, daß wir das Buch nicht schreiben, um Leute zum Hüpfen zu bringen oder zu irgend etwas sonst, sondern um Fragen zu beantworten. Wir müssen ein für allemal klarstellen, daß wir nichts von den Leuten wollen.

       Das ist wichtig. Wir sind keine Weltverbesserer, Gurus, Missionare, Moralisten oder so …

       Keine Eiferer, ergänzte sie eifrig mit fanatisch funkelndem Blick …

       Bravo! So ist es, jubelte er, wir müssen unsere Leser von Anfang an davon überzeugen, daß wir sie von nichts überzeugen wollen. Wir wollen sie nicht bekehren, wir haben keine Heilslehre oder irgendwelchen Psycho-Schmus auf Lager …

       Sondern wir sind seriöse Geschäftemacher, die gute Ideen verkaufen, basta.

       Wir haben die besten Ideen gesammelt und zum Teil selbst erfunden, und jetzt verkaufen wir die und machen fette Beute. Ein faires Geschäft.

       Die Arbeit scheint dir wieder Spaß zu machen.

       Logo. Wenn wir’s schaffen, diesen Punkt in unserer Erklärung richtig gut zu formulieren, dann haben wir eine sichere Grundlage. Die Leute wollen auf alte Fragen neue Antworten, und wir kombinieren die besten Erkenntnisse, Modelle, Ideen und Methoden aus Gehirnforschung, Erwachsenenbildung, Managementtraining, Spitzensport und so weiter mit unseren eigenen Erfindungen. So wird das eine leichte Übung.

       Wir dürfen unser Licht aber auch nicht unter den Scheffel stellen. Immerhin müssen wir ein ziemlich kompliziertes Puzzle zusammensetzen, dessen Schönheit und Wert erst erkennbar wird, wenn es vollständig ist. Also am Schluß des Buches. Wir haben ja keine kurzatmigen Ratschläge im Angebot, sondern neue Sicht- und Denkweisen, mit denen man nicht auf einen Schlag vertraut werden kann.

       Das ist der Sinn der »Gemeinsamen Erklärung«, daß wir auf solche Dinge aufmerksam machen. Vielleicht wäre es sogar besser, wir würden nicht sagen, daß wir »auf alte Fragen« antworten. Es geht zwar um alte Probleme, etwa der persönlichen Lebensqualität, der Harmonie mit sich selbst, der Beziehungen zwischen den Menschen, aber im Grunde gehen wir ja mit neuen Fragen an diese Probleme heran. Außerdem gibt es auch neue Probleme, von Jugendgewalt über Werteverlust bis zur Umweltzerstörung, die unter ganz


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