Mord im Spital. Herbert Lipsky

Mord im Spital - Herbert Lipsky


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ein Einzelzimmer. Die Spritze ist vorbereitet, es dauert nicht einmal eine Minute, um sie der Infusion beizufügen, und er verlässt das Zimmer wieder. Wenn jemand gekommen wäre, hätte er einfach gesagt, dass er die Infusion kontrollieren müsse, oder sich entschuldigt, dass er sich im Zimmer geirrt habe. Es ist insgesamt kein großes Risiko. Am Samstagnachmittag herrscht ein ständiges Kommen und Gehen.“

      „Jedenfalls ist niemandem etwas aufgefallen.“

      „Befragt doch die anderen Patienten, ob irgendetwas Auffälliges passiert ist oder ob sie jemanden gesehen haben.“

      „Haben wir, aber ohne Resultat.“

      „Fragt nach einer Ärztin, einem Arzt oder Pfleger, nach Schwestern, die ihnen neu waren.“

      „Das werden wir tun. Aber ich habe hier die Liste derer, die auf den beiden Stationen arbeiten, das sind rund 50 Personen.“

      „Durch die Dreiteilung des Arbeitstags wird auch dreimal in 24 Stunden gewechselt. Dazu benötigt man viel Personal. Es herrscht ein derartiger Wechsel, dass die Patienten keine Bezugspersonen mehr haben. Ich beurteile diese Entwicklung absolut negativ, aber man kann nichts dagegen machen. Es liegt außerhalb der ärztlichen Kompetenz, wir dürfen und können dem Pflegedienst nichts mehr anordnen.“

      Jakob sah seine junge Kollegin an und fragte, ob sie noch etwas wissen wolle.

      Sie nickte und fragte: „Stellen Sie bei jedem Todesfall Infusionen und Medikamente sicher?“

      „Ja schon. Vor allem, wenn der Tod unerwartet eintritt. Etwa bei einem mors in tabula, einem Tod am Operationstisch, aber auch wenn der Patient unmittelbar auf ein Medikament irgendwelche Reaktionen zeigt.“

      Mit dieser Antwort gaben sich die beiden zufrieden und ließen mich wieder an meine Arbeit gehen.

      Am nächsten Tag bekam ich einen Liebesbrief von der Staatsanwältin, Frau Dr. Leitner-Markovic. In der kurz gefassten Mitteilung stand, dass ich mich am Freitag um zehn Uhr im Büro der Staatsanwaltschaft, Zimmer 103, im zweiten Stock des Oberlandesgerichts einzufinden habe. Der Text war ungefähr so formuliert, dass, sollte ich der Vorladung unentschuldigt fernbleiben, ich bestraft werden oder eine Zwangsvorführung stattfinden würde.

      Am Abend zeigte ich Julia die Vorladung.

      Sie lachte: „Das ist nichts anderes als der übliche Gerichtsjargon. Sie wird dich schon nicht einbehalten. Solltest du Schwierigkeiten haben, ruf mich an, ich werde dir zu Hilfe eilen.“

      „Diese Sprache scheint mir unhöflich und nicht mehr zeitgemäß.“

      „Das kann schon sein. Aber vergiss nicht: Heute leitet der Staatsanwalt das Ermittlungsverfahren und kann in jedem Stadium der Ermittlung Beweisaufnahmen bei der Kriminalpolizei beantragen. Er gewährt und trifft Anordnungen und kann selbst eingreifen. Wenn du dich durch eine Anordnung des Staatsanwalts als ungerecht behandelt erachtest, kannst du das Gericht anrufen.“

      „Wenn sie das tut, dann werde ich mich beschweren.“

      Pünktlich um zehn saß ich am nächsten Morgen auf einer harten Bank vor dem besagten Zimmer. Wie erwartet, musste ich eine Viertelstunde warten. Viertel nach zehn rauschte die Frau Staatsanwältin mit zwei jungen Juristen grußlos an mir vorbei und ging in ihren Amtsraum. Fünf Minuten später wurde ich ins Zimmer gebeten.

      Nach einem Kopfnicken, wohl als Gruß gemeint, forderte man mich auf, Platz zu nehmen. Frau Leitner-Markovic blätterte in ihren Akten. Ich betrachtete sie genau, sie war eigentlich eine attraktive Frau. Ein längliches schmales Gesicht, die schwarzen Haare hochgesteckt, ein eleganter Hals und eine schlanke Figur. Nur war da ein Zug von Verbissenheit. Ihre Miene war ernst, die Lippen zusammengepresst, man konnte sich nicht vorstellen, dass sie einmal lächeln könnte oder dass dieser Mund zärtliche Worte sagen würde.

      In unhöflichem Ton und mit knappen Worten wurde ich nach meinem Geburtsdatum gefragt, wo ich wohnhaft sei und welchen Beruf und welche Stellung ich habe. Ich antwortete brav. Danach begann sie mit der eigentlichen Befragung, die mehr ein Verhör war. Geduldig und ruhig schilderte ich den Ablauf der Dinge, denn ich hatte es nun schon oft genug getan. Wieder und wieder stellte sie Fragen – dieselben wie zwei Tagen zuvor Jakob: ­Warum ich die Beweismittel sichergestellt hätte und ­warum ich jedermann aufgefordert hätte, Gedächtnisprotokolle zu schreiben. Das sei doch merkwürdig, wollte ich damit die Schuld vom Spital abwälzen?

      „Frau Staatsanwalt, ich weiß nicht, ob Sie wissen, welchem Druck wir heute im Spital ausgesetzt sind, lassen Sie mich etwas ausholen. Die Abteilung, der ich vorstehe, führt fast 1500 Eingriffe im Jahr durch. Wegen angeblicher Kunstfehler oder zu Unrecht durchgeführter Operationen in den letzten Jahren wurden nicht weniger als zehn Anzeigen bei Gericht beziehungsweise bei der Schlichtungsstelle gemacht. Fast in allen Fällen sind wir freigesprochen worden, weil wir alles gut dokumentieren und nie etwas leugnen. Wir geben Fehler, die wir machen, zu. Dadurch wird es möglich, dass die Patienten Schadensersatz bekommen. Ich weiß sehr wohl, dass manche Kollegen ihr schuldhaftes Verhalten nicht zugeben wollen und die Geschädigten deshalb Schwierigkeiten haben, zu ihrem Geld zu kommen. Die hauptsächlichste Ursache dafür ist Eitelkeit. Fehler macht ein jeder, auch Organisationsfehler kommen immer wieder vor. Aber wir führen einen ständigen Kampf gegen Nachlässigkeit und Schlamperei. An meiner Abteilung wird immer alles offengelegt, und die Patienten werden von mir persönlich über eventuell begangene Fehler aufgeklärt. Ich finde, das ist das wenigste, was man machen kann. Daher mein Ersuchen um sofortige Gedächtnisprotokolle, daher das ­Sicherstellen von Infusionen. In meinem Schreibtisch habe ich einen ganzen Ordner mit Protokollen aufbewahrt, die nie benötigt wurden.“

      Wieder blätterte sie in ihren Unterlagen, ihre Gesichtszüge hatten sich etwas entspannt.

      „Ich habe nicht gewusst, dass so häufig Ansprüche gestellt werden.“

      „Das meiste wird von der Schlichtungskommission der Ärztekammer erledigt, nur einzelne Fälle gelangen vor Gericht.“

      „Wir werden einen Sachverständigen ersuchen, ein Gutachten zur Operation und zur medikamentösen Behandlung zu erstellen.“

      „Da habe ich nichts dagegen.“

      Dann wieder die obligatorische Frage, wer es denn meiner Meinung nach getan haben könnte?

      Ich gab die gleiche Antwort wie schon mehrmals zuvor: „Die Tat kann nur von einem Menschen durchgeführt worden sein, der die Station und ihren Betrieb genau kennt und der exakte medizinische Kenntnisse besitzt, mit einem Wort, es war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Mitarbeiter oder zumindest ein ehemaliger Angehöriger der Klinik.“

      Das erstaunte sie. Sie hatte wohl erwartet, dass ich die Schuld von der Klinik wegschieben wollte.

      „Warum glauben Sie das?“

      „Der Täter oder die Täterin muss über den Stationsbetrieb genau informiert gewesen sein. Die Sache war leicht durchführbar, verlangte aber exakte Fach- und Ortskenntnisse.“

      „Hätte er mit der Tat ungeschoren davonkommen können?“

      „Ich glaube, dass er sogar damit gerechnet hat. Wenn man Lederer routinemäßig obduziert hätte und weder eine Embolie noch ein Herzinfarkt festgestellt worden wäre, hätte man wahrscheinlich einen unklaren Herztod angenommen, denn er hatte einen leichten Myokardschaden. Hätte man die Infusion nicht sichergestellt, dann wäre der Nachweis eines Verschuldens schwer zu führen gewesen. Das wäre dann der perfekte Mord gewesen.“

      „Wie ist Ihr Verhältnis zur Familie Lederer?“

      „Frau Lederer ist eine Studienkollegin, mit der ich in meiner Studienzeit eng befreundet war. Wir haben uns allerdings in den letzten zehn Jahren seltener gesehen. Auch ihren Mann habe ich gekannt. Vor dem Eingriff haben wir uns mehrere Male länger unterhalten, in meiner Ordination. Übrigens war er mir sehr sympathisch. Wir haben vereinbart, uns nach seiner Gesundung auch privat zu treffen. Die Kinder kenne ich überhaupt nicht. Beide sind schon über 20.“

      „Wissen Sie etwas über das Unternehmen?“

      „Keine Ahnung. Es scheint gut zu gehen. Soviel


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