Mord im Spital. Herbert Lipsky

Mord im Spital - Herbert Lipsky


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letzten Fragen war schon wesentlich freundlicher gewesen. Sie bedankte sich nun sogar für mein Kommen und reichte mir zum Abschied die Hand. Das Protokoll würde ich noch unterschreiben müssen. Ich erhob mich und verließ das Zimmer der Staatsanwältin auf freiem Fuß.

      Das Begräbnis

      Ich blickte auf meine Uhr, es war bereits zwölf, die Befragung hatte lange gedauert. Durch die fatalen Ereignisse der letzten Tage war meine Arbeit zu kurz gekommen, also ging ich nicht nach Hause und ins Wochenende, sondern fuhr mit der Straßenbahn zur Klinik. Im Sekretariat saß neben meiner Sekretärin auch die junge Kollegin von Jakob. Ihr Name war mir entfallen. Simone erklärte mir, dass sie beide gerade Listen unseres gesamten Personals zusammenstellten.

      „Gut, gut, machen Sie das, vergessen Sie aber nicht, auch diejenigen einzubeziehen, die vor nicht allzu langer Zeit auf andere Stationen gewechselt haben.“

      Simone stöhnte.

      „Sprechen Sie mit der Oberschwester, die wird das schon wissen. Der schadet es nicht, wenn sie auch einmal etwas arbeitet. Sie ist ohnehin meist auf einem Fortbildungskurs.“

      Die junge Polizistin sah mich erstaunt an, sagte aber kein Wort. Sie war eine gut trainierte junge Frau. Ihre Haare waren kurz geschnitten, schwarz getönt und dicht, ihr Gesicht frisch, die Backenknochen breit. Sie gefiel mir auch als Frau gut. Ich verschwand in meinem Zimmer.

      Dutzende E-Mails waren zu lesen und zu beantworten, Operationsberichte zu diktieren, Telefonate zu führen. Letzteres ist an einem Freitag schwierig, weil viele Leute bereits ab Mittag nicht mehr zu erreichen sind. Um drei Uhr steckte Simone ihren Kopf herein und wünschte mir ein schönes Wochenende. Ich wünschte ihr dasselbe, ohne vom PC aufzuschauen.

      Ich wollte mich im Internet über die Firma von Lederer informieren und googelte die Website der Lederer Pharmazeutik. Da stand, man befasse sich mit der Entwicklung, der Zulassung und dem Vertrieb von überwiegend rezeptpflichtigen Arzneispezialitäten. An den beiden Standorten Raaba und Szombathely würde eine breite Palette von Arzneimitteln entwickelt und produziert. Im letzten Jahr waren es 67 Millionen Packungen mit mehr als 2,5 Milliarden Einzeldosen hochwertiger Medikamente gewesen. Das Unternehmen erzielte mit 750 Mitarbeitern, davon 500 in Österreich, an den beiden Produktionsstandorten einen Umsatz von 130 Millionen Euro, davon rund 60 Prozent im Export.

      Auch die leitenden Personen waren verzeichnet:

      Geschäftsführung: Dr. Fritz Lederer, Dr. Marion Lederer

      Finanzgebarung & Project Management Licensing: Dr. Arthur Burger

      Produktion: Mag. Daniel Schlingensief

      Business Development und Marketing & Sales International: Mag. Kevin Miller

      Marketing & Sales Inland: Mag. Alfred Stylo

      Med. Abteilung: Dr. Edwin Färber

      Patente: Dr. Fred Reiter

      Qualitätssicherung und -kontrolle: Dr. Josef Porsch

      Das Unternehmen war eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und gehörte ausschließlich der Familie. Wie ich wusste, hatte Lederer mit der Herstellung von ­Generika begonnen, das sind Arzneimittel, die von anderen Firmen entwickelt werden und deren Patentrechte abgelaufen sind. Wenn die Patente erlöschen, dürfen sie auch von anderen Unternehmen erzeugt werden. Manchmal ist ein solches Medikament dann aber doch nicht so wirksam wie das Original, weil diverse Einzelheiten bei der Erzeugung, etwa die Löslichkeit der Moleküle, deren ­Resorption und die Verabreichungsform, den Nachahmern nicht bekannt sind. Doch dem Chemiker Lederer war es gelungen, nachgebaute Arzneimittel in bester Qualität herzustellen. Und nun hatte seine Firma auch angefangen, eigene Medikamente zu entwickeln.

      Ich blieb bis sechs Uhr sitzen, dann packte mich die Müdigkeit, ich fuhr meinen PC herunter, versperrte mein Zimmer und ging nach Hause.

      Trotz strikter Geheimhaltung der Ermittlungen durch die Polizei hatte die Presse von den Vorgängen erfahren. Die Staatsanwaltschaft und die Polizei waren gezwungen, eine Pressekonferenz einzuberufen. Den zahlreich erschienenen Reportern wurde mitgeteilt, dass der Tod Lederers mit höchster Wahrscheinlichkeit durch ein Gift verursacht worden sei. Das Medienecho war unbeschreiblich. Die Spitalsleitung forderte mich auf, ebenfalls eine Pressekonferenz abzuhalten. Ich stimmte zu, denn ich wurde täglich mit unzähligen Anrufen bombardiert, sodass ich bereits die zweite Woche in Folge nicht ungestört arbeiten konnte. Am Donnerstag bei der Pressekonferenz schilderte ich den Ablauf der Ereignisse noch einmal und beantwortete alle Fragen der anwesenden Journalisten geduldig. Der Spitalsdirektor, der die ganze Zeit neben mir saß, beteuerte mehrmals, dass das Spital keine Schuld am Tode habe und dass es Mord gewesen sein müsse.

      Mord im Spital lauteten am nächsten Tag die Schlagzeilen. Die abenteuerlichsten Theorien wurden aufgestellt. Simone teilte mir mit, dass einige Patienten, die zur Aufnahme bestellt waren, aus fadenscheinigen Gründen abgesagt hatten. Man konnte ihnen das gar nicht verübeln. Ich nahm das nicht so ernst, weil der Ansturm nach einiger Zeit erneut einsetzen würde. Nach einer Revolution in einem Land kommen die Touristen, trotz möglicher gefährlicher Unruhen, ebenfalls kurz danach wieder, und auch wenn ein Kreuzfahrtschiff sinkt, sind keine wesentlichen Stornos bei dieser merkwürdigen Form von Massentourismus festzustellen. Das kollektive Gedächtnis währt nur kurz.

      In der folgenden Woche wurde die Leiche zur Beerdigung freigegeben, die im kleinen Kreise der Familie stattfand. Wir erhielten eine Parte, in der stand, dass am Freitag um elf Uhr im Dom eine Seelenmesse zelebriert würde. Im Anschluss daran würde es in der Alten Universität gegenüber dem Dom für die Freunde der Familie eine private Gedenkfeier geben.

      Der Dom war voll mit Menschen. Die Bedeutung von Lederer wurde offenbar. Nicht nur Politiker und andere Stützen der Gesellschaft waren erschienen, sondern auch einfacher gekleidete Menschen, wahrscheinlich Angestellte des Unternehmens. Alle wollten ihm die letzte Ehre erweisen. Der Bischof selbst feierte die Totenmesse und fand die richtigen Worte, um ihn zu würdigen. Mich stört an diesen Verabschiedungen immer die Art und Weise, wie sich manche Leute dabei benehmen, wie einige nach links und rechts grüßen, sprechen, gelegentlich lachen und wie so eine Totenfeier zu einem gesellschaftlichen Ereignis wird. Nach der Messe gingen wir in die Alte Universität. Auch hier unzählige Leute. Wenn man sich nun, befreit vom Angesicht des Todes, unterhält und eine fröhlichere Konversation führt, stört das nicht. Dieses Ritual gibt es bei allen Völkern, es bringt zum Ausdruck, dass das Leben weitergeht. Getränke wurden gereicht und ebenso kleine Leckerbissen. Wir trugen uns ins Kondolenzbuch ein und gesellten uns erst gegen Ende der Feier zur Trauerfamilie.

      Lederers Sohn, Sebastian, sagte zu mir, während ich ihm die Hand gab: „Es tut mir leid, dass ich Sie im Spital so angefahren bin. Mama hat mir alles erklärt.“

      „Schon gut, das ist schon vergessen.“

      Seine Schwester war eine ätherisch wirkende blonde, junge Frau. Sie machte einen geistesabwesenden Eindruck und schien einem Zusammenbruch nahe zu sein. Sie hatte große schimmernde Augen, die irgendwohin in die Ferne blickten. Ich sprach ihr mein Beileid aus und drückte eine zarte Hand, die sich wie ein kleiner Vogel anfühlte. Ihr Mann war ein großer, sportlich wirkender Typ mit regelmäßigen männlichen Gesichtszügen, Mitte 30, fester Händedruck. Mir war er fast zu fesch, er wirkte auf mich beinahe wie Ken, der Partner von Barbie. Sein Gesicht war ernst und unbewegt. Trauer war darauf nicht abzulesen. Ich konnte ihn schwer einschätzen, er war mir aber nicht unsympathisch.

      Marion schien in einem verhältnismäßig guten Zustand zu sein, sie nahm die Anteilnahme der Trauergäste gefasst entgegen und bedankte sich für deren Kommen. Ich merkte jedoch, dass sie ebenfalls beinahe am Rande eines Zusammenbruchs stand. Ich sagte zum Abschied kein Wort zu ihr, hielt sie nur lange fest.

      „Weißt du, ich habe jetzt so viel zu tun, dass ich noch gar nicht realisiert habe, dass Fritz nicht mehr ist.“

      Zu Julia sagte sie: „Könnten Sie bitte nächste Woche einmal zu mir kommen, ich benötige dringend Ihren Rat.“

      Schweigend fuhren wir nach Hause, heute würde ich nicht mehr arbeiten gehen.

      Am


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