Wenn Schuldgefühle zur Qual werden. Doris Wolf
umgehen und welche blockierenden Gedanken sich uns bei der Überwindung unserer Schuldgefühle in den Weg stellen. Außerdem gehen wir den Fragen nach, welche grundsätzlichen Denkfehler zu Schuldgefühlen führen und welche Menschen besonders empfänglich für Schuldgefühle sind.
Im zweiten Teil lernen Sie wirksame Strategien kennen, die Sie zur Überwindung Ihrer Schuldgefühle einsetzen können. Darüber hinaus werden Sie auch lernen, wie Sie sich in Zukunft gegen Schuldgefühle wappnen können.
Im dritten Teil schließlich werden Sie an der Lebensgeschichte vieler meiner Klienten teilhaben können. Sie werden typische Situationen miterleben, in denen Menschen mit Schuldgefühlen reagiert haben oder sich noch immer damit quälen. Ferner werde ich Ihnen auch hier für die einzelnen Bereiche wieder Anstöße geben, wie Sie zukünftig Schuldgefühle vermeiden können.
Ganz am Ende des Buches habe ich für Sie die wichtigsten Erkenntnisse nochmals zusammengefasst.
Wie Sie am besten mit diesem Buch umgehen
Lesen Sie dieses Buch am besten erst einmal im Überblick durch, ohne sich intensiv mit den Übungen zu beschäftigen. Dann wissen Sie, was Sie erwartet und ob Sie sich darauf einlassen wollen.
In einem zweiten Durchgang, wenn Sie sich bewusst entschieden haben, an Ihren Schuldgefühlen zu arbeiten, gehen Sie die einzelnen Kapitel systematisch durch. Streichen Sie sich an, was für Sie besonders wichtig ist. Oder schreiben Sie die für Sie persönlich wichtigsten Erkenntnisse heraus. Überhaupt ist es sinnvoll, wenn Sie sich ein Notizbuch zulegen, in dem Sie sich Unklarheiten und Übungen notieren. Sollten Sie sich in einer Psychotherapie befinden oder an einer Selbsthilfegruppe teilnehmen, können Sie auch dort Ihre Einsichten und Einwände diskutieren.
Manchmal ist es gerade dann, wenn man unter Schuldgefühlen leidet so, dass man sich in einen Gedankenkreislauf verrannt hat, aus dem man durch das Lesen eines Buches auch nicht herauskommt. Falls Sie, liebe Leserin, lieber Leser bemerken, dass Sie meinen Ausführungen immer wieder Einwände wie „Ja aber, da muss ich doch Schuldgefühle haben“ oder „Frau Wolf kennt meine schlimmen Gedanken, meine Fehlentscheidung oder mein Fehlverhalten nicht, sonst würde sie nicht so leicht reden“ entgegensetzen, dann möchte ich Sie bitten, einen Therapeuten aufzusuchen. Sie benötigen dann eine stärkere Unterstützung, um sich aus den quälenden Schuldgefühlen zu befreien. Auch ständig wiederkehrende Selbstmordgedanken, über lange Zeit andauernde schwere Depressionen sollten Sie zu einem Psychotherapeuten führen. Im Anhang finden Sie Adressen von Therapeuten, an die Sie sich wenden können.
1Die Wurzeln der Schuldgefühle
In diesem Kapitel ist es unser Ziel zu ergründen, was Schuld- und Reuegefühle auszeichnet und wie sie entstehen. Die meisten von uns glauben zu wissen, weshalb sie Schuldgefühle quälen. Sie sehen die Ursache darin, dass sie Regeln gebrochen oder einen anderen Menschen verletzt haben. Doch warum leiden dann manche Menschen in genau der gleichen Situation nicht unter Schuldgefühlen? Es scheint nur die halbe Wahrheit zu sein.
1.1Was verstehen wir unter Schuld- und Reuegefühlen?
Fallbeispiel: „Ich hätte nicht so egoistisch sein sollen.“
Gerade hat Frau H. den Telefonhörer aufgelegt. Ihre Freundin bat sie, ihr beim Umzug zu helfen. Frau H. hat zwar innerlich mit sich gerungen, der Freundin dann letzlich doch mit der Entschuldigung, dass sie genau an diesem Tag einen dringenden Arzttermin hätte, abgesagt. Jetzt fühlt sie sich elend und voller Schuldgefühle. Sie zermartert sich den Kopf: Sieht eine wirkliche Freundschaft so aus, dass sie die Freundin in einer schwierigen Lage im Stich lässt? Hätten sie nicht doch eigene Interessen zurückstellen und weniger egoistisch sein sollen?
Waren Sie auch schon einmal in einer solchen Situation? Haben Sie sich auch schon einmal schlecht gefühlt, weil Sie einem anderen Menschen den Wunsch auf Hilfe abgeschlagen haben, um eigene Bedürfnisse zu erfüllen? Und hinterher kamen Ihnen dann gehörige Zweifel an der Richtigkeit Ihres Verhaltens? Dann wissen Sie, wie sich Ihre Schuldgefühle bemerkbar machen. Doch zurück zum Ausgangspunkt: Was versteht man denn eigentlich unter Schuld und Schuldgefühlen? In verschiedenen Lexika findet man unter dem Begriff Schuld: „Verpflichtung zu einer Gegenleistung“, „Verantwortung für die Verletzung von Geboten und Pflichten“. Irgendjemand scheint für uns Regeln zu formulieren und zu entscheiden, wann eine Leistung eine Gegenleistung erforderlich macht. Schuld zu haben, hat mit Verantwortung zu tun, der Verantwortung für das eigene Handeln und die Verpflichtung, für das eigene Handeln geradezustehen und einen eventuellen Schaden wiedergutzumachen. In unserer Sprache finden wir Redewendungen wie: „Ich stehe in deiner Schuld.“, „Ich fühle mich frei von Schuld.“, „Ihn trifft keine Schuld.“, „Ich bin mir keiner Schuld bewusst.“ Um von Schuld einem anderen gegenüber sprechen zu können, muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem eigenen Handeln und einem Schaden bestehen, den ein anderer erlitten hat. Je nachdem, wer die Gebote und Pflichten formuliert, folgen der Schuld unterschiedliche Konsequenzen. Übertreten wir die Gesetze unseres Staates, so müssen wir mit Strafe durch den Gesetzgeber rechnen. Wir werden schuldig gesprochen und im Namen des Staates verurteilt. In manchen Ländern besteht die Höchststrafe sogar auch heute noch in der Todesstrafe. Sind wir Mitglied einer kirchlichen Organisation, so sind beispielsweise die zehn Gebote eine Richtschnur, anhand derer unser Verhalten beurteilt wird. In diesem Leben oder zumindest nach unserem Tode erwarten uns dann ebenfalls Konsequenzen, wenn wir ihnen zuwiderhandeln. Ob man schuldig gesprochen wird, hängt auch davon ab, ob zum Zeitpunkt der Verurteilung alle Tatsachen über die Tat bekannt waren und ob das Verhalten zu diesem Zeitpunkt als falsch bewertet wurde. Manches Verhalten stellt sich sogar erst Generationen später als falsch und schädlich heraus.
Schuldgefühle werden definiert als: „Gefühle, jemandem Unrecht getan zu haben“. Sie laufen im Innern von uns ab und sind nicht von außen kontrollierbar. Außerdem setzen sie voraus, dass wir ein Unrechtsbewusstsein haben, Bescheid wissen, was rechtes und unrechtes Verhalten beinhaltet, und erkennen, unrecht gehandelt zu haben. Schuldgefühle werden häufig auch mit der Redewendung „ein schlechtes Gewissen haben“ umschrieben. Schuld und Schuldgefühle müssen nicht zwangsläufig zusammen auftreten. Es gibt Menschen, die fühlen sich für alles und jedes schuldig, obwohl sie keine Schuld trifft. Und es gibt Menschen, beispielsweise manche Kriminelle und Psychopathen, die keinerlei Schuldgefühle verspüren, obwohl sie sich eines schweren Vergehens schuldig gemacht haben. Sie fühlen sich nicht in die Folgereaktionen ein, die sie beim anderen ausgelöst haben und haben kein Mitgefühl.
Der Unterschied zwischen Schuld- und Reuegefühlen
Viele Menschen setzen Schuld- und Reuegefühle gleich. Doch gibt es zwischen beiden Unterschiede, die ich mit Ihnen im Verlauf des Buches herausarbeiten möchte.
•Wir verspüren Schuldgefühle, wenn wir unser Verhalten als falsch ansehen und uns dafür als schlechten Menschen verurteilen.
•Wir verspüren Reuegefühle, wenn wir unser Verhalten als falsch ansehen, es bedauern, aber uns diesen Fehler verzeihen. Wir fühlen uns für unser Verhalten verantwortlich und suchen nach Wegen der Korrektur, Wiedergutmachung und Vermeidung des Fehlers in der Zukunft. Während Schuldgefühle uns quälen, lähmen, unsere gesamte Energie aufbrauchen können, fühlen wir uns mit Reuegefühlen in der Lage, aktiv zu werden. Wir behalten unsere Selbstachtung.
1.2Wie äußern sich Schuldgefühle?
Schuldgefühle können sich ganz vielfältig äußern. Bei mir melden sie sich beispielsweise durch Magendruck, innere Unruhe, bisweilen Einschlafstörungen und manchmal auch durch ein gesteigertes Verlangen nach Süßem. In der Umgangssprache werden Schuldgefühle auch als „Gewissensbisse“ bezeichnet. Ich finde mit diesem Wort kommt gut die Giftigkeit, das Quälende der Schuldgefühle