Wenn Schuldgefühle zur Qual werden. Doris Wolf

Wenn Schuldgefühle zur Qual werden - Doris Wolf


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auf Schuldgefühle aufmerksam machen. Schuldgefühle können sich zeigen:

       •in unseren Gefühlen

      Wir sind gereizt, mürrisch, wütend, hasserfüllt, ängstlich, resigniert, depressiv, fühlen uns einsam.

       •im körperlichen Befinden

      Wir sind angespannt, unruhig, wie gelähmt, haben Magenbeschwerden, Schlaf-, Konzentrations-, Merkfähigkeitsstörungen, Durchfall oder Verstopfung, Heißhungerattacken oder Appetitverlust, Herzstechen, niedrigen oder hohen Blutdruck, Atembeschwerden, Kopfschmerzen, einen Kloß im Hals, verspüren ein Nachlassen unseres sexuellen Verlangens usw. Langfristig können sich beispielsweise auch psychosomatische Erkrankungen wie etwa Magengeschwüre, Asthma und Ekzeme entwickeln.

       •im Verhalten

      Wir verleugnen die Schuld, schieben sie auf andere ab, machen anderen Vorwürfe, ziehen uns von anderen zurück, entschuldigen uns ausschweifend, entwickeln selbstschädigende Verhaltensweisen, beginnen zu trinken, rauchen, überessen, Tabletten zu nehmen, überhäufen uns mit Arbeit, schieben notwendige Arbeiten auf, stürzen uns in Aktivitäten, geiseln uns selbst, entwickeln zwanghafte Verhaltensmuster, nehmen uns im Extremfall das Leben.

      Sie merken an dieser Aufzählung, dass es keine typischen Merkmale für Schuldgefühle gibt. Stattdessen schlagen sie sich in unterschiedlichen Gefühlen, Körperreaktionen und Verhaltensweisen nieder. Schuldgefühle sind im Grunde genommen keine richtigen Gefühle wie etwa Angst, Ärger, Trauer oder Freude. Sie sind eher Gedankengänge darüber, etwas falsch gemacht zu haben, die sich dann in Gefühlen und körperlichen Reaktionen äußern. Um so schwieriger ist es deshalb manchmal, Schuldgefühle überhaupt zu erkennen. Manchmal sind wir uns unserer Schuldgefühle gar nicht bewusst. Wir fühlen uns einfach nur schlecht oder stürzen uns ohne Unterlass in Arbeit. Viele Menschen kommen wegen ihrer körperlichen Symptome oder selbstschädigender Verhaltensweisen in Therapie und erst im Laufe von Gesprächen stellt sich heraus, dass die Ursachen in Schuldgefühlen zu suchen sind. Natürlich variieren Schuldgefühle auch in ihrer Stärke und Dauer. Wenn wir einen Geburtstag vergessen haben, werden wir uns vielleicht nur ein paar Minuten mit Schuldgefühlen beschäftigen. Haben wir unsere Mutter im Pflegeheim untergebracht, werden uns die Schuldgefühle möglicherweise bis zum Tod der Mutter begleiten. Wurde durch unsere Schuld ein anderer Mensch bei einem Autounfall schwer verletzt, können uns Schuldgefühle sogar bis zum Selbstmord treiben.

       Schuldgefühle in Verbindung mit Depressionen und Zwangsneurosen

      Schuldgefühle können auch als Begleiterscheinungen von Depressionen und Zwangserkrankungen auftreten.

      a) Menschen, die darunter leiden, sich zwanghaft gedanklich mit etwas beschäftigen oder Handlungen immer wieder ausführen zu müssen, haben viele Einstellungen, die sie für Schuldgefühle empfänglich machen. Beispielsweise fordern sie von sich, alles perfekt zu machen, sich immer nach der strengsten Norm zu richten und ihre Gefühle vollkommen unter Kontrolle zu haben. Sie glauben, dass jegliche fehlerhafte oder unvollkommene Leistung zu einer Katastrophe führen kann und laden sich übertrieben viel Verantwortung für Ereignisse in ihrem Umfeld auf. Verhalten sie sich entgegengesetzt ihrer Forderungen, verspüren sie Schuldgefühle. Sie nehmen sich dann vor, noch mehr Kontrolle über ihr Verhalten auszuüben. Das zwanghafte Verhalten hilft ihnen dabei, ihre Schuldgefühle möglichst gering zu halten. Wenn Sie, lieber Leserin, lieber Leser, unter zwanghaften Gedankengängen oder Verhaltensweisen leiden und Ihre Lebensqualität eingeschränkt ist, dann sollten Sie sich therapeutische Unterstützung holen. Die Verhaltenstherapie hat sich hier als effektive Behandlungsmethode erwiesen.

      b) Menschen, die sich schuldig fühlen, werden häufig depressiv. Sie verurteilen sich für ihr Verhalten und sehen sich als minderwertig oder Versager. Gleichzeitig sehen sie keine Chance, ihr Fehlverhalten jemals zu korrigieren.

       1.3Wie entwickeln sich unsere Schuldgefühle?

      Wir haben uns in diesem Buch zum Ziel gesetzt, zu lernen, Schuldgefühle, die uns quälen, zu überwinden. Hierzu müssen wir zunächst einmal wissen, wie Schuldgefühle entstehen. Erst dann können wir uns Wege überlegen, sie abzulegen oder zumindest abzuschwächen. Die Suche nach den Quellen unserer Schuldgefühle führt uns zurück in unsere Kindheit.

      Wir werden nicht mit Schuldgefühlen geboren, sondern nur mit der Fähigkeit, uns Schuldgefühle machen zu können. Wir erlernen die Fähigkeit, in uns Schuldgefühle zu erzeugen, durch unsere Eltern, Lehrer, kirchliche und gesellschaftliche Vertreter. Vielleicht haben Sie als kleines Kind auch Botschaften gehört wie etwa:

      •„Mami muss sich schämen mit dir, wenn du nicht danke sagst.“

      •„Mami ist ganz traurig, weil du ihr keinen Kuss gibst.“

      •„So was macht ein kleiner Junge nicht. Du solltest dich was schämen.“

      •„Du bist nicht mehr Papas kleiner Liebling, wenn du jetzt nicht sofort dein Zimmer aufräumst.“

      •„Das ist nun der Dank. Wir haben so viel für dich getan, und du verhältst dich so schlecht.“

      •„Wegen dir hat Vater die ganze Nacht kein Auge zugetan.“

      •„Du bist ein schlechter Junge, deiner Mutter so weh zu tun.“

      •„Du bist schuld, wenn ich noch krank werde.“

      •„Du bringst mich noch ins Grab.“

      •„Dir wird es noch leid tun, dass du so unartig bist.“

      •„Brave Kinder sind nicht wütend, lügen nicht, räumen ihre Kleider auf, schlagen nicht, machen sich nicht schmutzig, unterbrechen Erwachsene nicht im Gespräch, machen ihren Eltern keine Sorgen, machen ihren Eltern keine Schande, halten ihre Versprechen usw. und wenn du diese Vorschriften nicht befolgst, bist du böse und dafür zu verurteilen.“

      Haben Sie sich einige der Botschaften aus Ihrer Kindheit in Erinnerung rufen können? Wie haben Sie sich damals als Kind gefühlt, als Sie solche Vorwürfe zu hören bekamen? Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass mein Bruder und ich solche Vorträge als „Gardinenpredigt“ bezeichneten. Sie haben uns zwar nicht von Unartigkeiten abgehalten, aber wir hatten dann immer ein schlechtes Gewissen, etwas angestellt zu haben. Wir haben uns dann auch darin geübt, „Notlügen“ zu erfinden, um dem Tadel aus dem Weg zu gehen. Wahrscheinlich haben Sie sich nach solchen Vorwürfen auch schuldig gefühlt. Da wir von unseren Eltern gemocht werden wollen und ihnen nicht wehtun wollen, fühlen wir uns schlecht und schuldig. Unsere Eltern setzen Schuldgefühle als ein Mittel zur Erziehung ein. Sie vermitteln uns die Botschaft: „Wenn du nicht tust, was wir wollen, lehnen wir dich ab. Außerdem fühlen wir uns schlecht und du bist schuld daran. Der einzige Weg, unsere Liebe zu gewinnen ist, dass du dich nach unseren Vorstellungen verhältst. Dann bist du auch ein liebes Kind und von deiner Schuld befreit.“ Sie brauchen diese Botschaft noch nicht einmal mit Worten auszudrücken. Es genügt, wenn Papa uns nicht mehr beachtet, Mama nur noch das Nötigste mit uns spricht, mit Leidensmiene umherläuft, uns tadelnde Blicke zuwirft, die Stirn runzelt, uns keinen Gute-Nacht-Kuss gibt oder sich ans Herz fasst, weil sie vor Aufregung keine Luft mehr bekommt. Für nonverbale Signale wie Mimik, Gestik, Blickkontakt, Körperhaltung und den Stimmklang sind wir als Kinder sehr empfänglich. Wann immer wir uns abgelehnt fühlen oder bei anderen uns wichtigen Menschen eine negative Reaktion sehen, entsteht in uns der Eindruck, etwas verkehrt gemacht zu haben. So lernen wir schließlich, aus Angst vor der negativen Reaktion der Erwachsenen gar nicht mehr zu tun, was wir uns so sehr wünschen, oder uns zumindest mit Schuldgefühlen zu bestrafen, wenn wir es dennoch tun.

      Wir Kinder lernen diese Lektion sehr rasch. Wir lernen: „Tue ich etwas Schlechtes oder Verbotenes, dann bin ich ein schlechter und nicht liebenswerter Mensch und muss mich dafür verurteilen und schämen.“ Da wir noch nicht in der Lage sind, den Worten unserer Eltern kritisch gegenüberzustehen, übernehmen wir das vernichtende Urteil der Eltern. Wir lernen, dass man stets


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