Wenn Schuldgefühle zur Qual werden. Doris Wolf
Sie haben sich sicher nicht ohne Grund dieses Buch gekauft und sich mit mir an die Erforschung von Schuldgefühlen gemacht. Irgendwelche unangenehmen oder gar quälenden Auswirkungen Ihrer Schuldgefühle haben Sie wahrscheinlich verspürt. Vielleicht finden Sie diese in der folgenden Auflistung:
•Schuldgefühle machen uns klein, beeinträchtigen unser Selbstbewusstsein.
•Schuldgefühle rauben uns Energie, uns mit der Gegenwart zu beschäftigen.
•Schuldgefühle machen uns bereit für die Sündenbockrolle.
•Schuldgefühle machen uns manipulierbar.
•Schuldgefühle tragen zu Depressionen und psychosomatischen Beschwerden bei.
•Schuldgefühle führen dazu, dass wir sie nach außen hin verstecken und Fehler nicht zugeben können.
•Schuldgefühle machen uns empfänglich für Kritik.
•Schuldgefühle führen dazu, dass wir die Schuld auf andere schieben.
•Schuldgefühle führen dazu, dass wir andere hart kritisieren.
•Schuldgefühle führen zu Suchtmittelabhängigkeiten.
•Schuldgefühle führen dazu, dass wir überhaupt verleugnen, einen Fehler begangen zu haben.
•Schuldgefühle führen dazu, dass wir in Zukunft jegliches Risiko zu vermeiden versuchen.
•Schuldgefühle machen uns bereit, uns auch in Zukunft wieder fehlerhaft zu verhalten, da wir unsere Fehler nicht analysieren oder generell davon überzeugt sind, schlecht zu sein.
Dies ist eine mehr oder weniger vollständige Auflistung möglicher negativer Folgen von Schuldgefühlen. Schauen Sie noch einmal bei sich nach, wie Sie sich anders verhalten würden, würden Sie keine Schuldgefühle verspüren.
2.4Wie gehen wir mit unseren Schuldgefühlen um?
Schuldgefühle, sofern wir sie bewusst wahrnehmen, gehören zu den unangenehmen Gefühlen. Deshalb hat jeder von uns im Laufe seines Lebens auch mehr oder weniger effektive Strategien entwickelt, wie er mit ihnen umgehen kann.
1. Strategie: „Ich habe es verdient, dass ich mich schlecht fühle.“
Manche betrachten Schuldgefühle als gerechte Strafe. Sie sind der Meinung: „Wer sich so verhält wie ich, der muss Schuldgefühle bekommen. Schuldgefühle beweisen, dass ich ein moralischer Mensch bin.“ Sie gehen sogar so weit, dass sie sich ihr Leben lang mit Schuldgefühlen geiseln, weil sie glauben, eine unverzeihliche Tat begangen zu haben.
Vorteil: Sie glauben, damit zu beweisen, dennoch ein guter Mensch zu sein.
Nachteil: Sie fühlen sich schlecht, bekommen möglicherweise psychosomatische Erkrankungen, sind in ihrer Lebensqualität eingeschränkt, verbieten sich lustvolle Aktivitäten.
2. Strategie: „Ich fühle mich schuldig, also bin ich schlecht.“
Manche machen sich klein. Sie glauben: „Wer sich schuldig fühlt, muss ein schlechter Mensch sein.“ Sie laufen durch ihr Leben mit einem geringen Selbstbewusstsein, wagen nicht, eigene Wünsche anzumelden oder unberechtigte Forderungen abzuwehren. Sie entschuldigen sich für ihr Verhalten und für ihre Existenz. Sie haben Angst, im Mittelpunkt zu stehen, können keine Komplimente annehmen und nicht auf andere zugehen. Sie ziehen sich zurück, trauen sich nichts zu, riskieren nichts mehr, haben Angst vor Entscheidungen, aus Angst vor neuen Schuldgefühlen.
Vorteil: Manchmal erhalten sie Mitleid von den anderen.
Nachteil: Sie lähmen sich in ihren Fähigkeiten und nutzen nicht die Chancen, die ihnen das Leben bietet. Sie fühlen sich minderwertig. Depressionen und psychosomatische Beschwerden entstehen. Andere Menschen werden aus Scham nicht ins Vertrauen gezogen. Ihr unterwürfiges Verhalten hat auch Auswirkungen auf die Reaktion anderer Menschen. Sie werden leicht zum Sündenbock gemacht und ausgenutzt – ein Opfer, das sich nicht wehrt.
3. Strategie: „Ich war es nicht, also brauche ich auch keine Schuldgefühle zu haben.“
Manche versuchen, ihre Schuld zu verleugnen. Sie rechtfertigen sich vor sich selbst. Sie stellen sich als Opfer der Umstände dar. „Ich war es nicht. Wenn die Umstände nicht …, dann hätte ich nicht …“
Vorteil: Sie fühlen sich kurzfristig erleichtert, die Schuldgefühle lassen nach.
Nachteil: Sie nehmen sich damit die Chance, neues Verhalten zu lernen und Fehler zu korrigieren. Sie bearbeiten die Ursachen ihrer Schuldgefühle nicht. Sie müssen beständig auf der Hut sein, dass niemand ihren Fehler entdeckt und sie darauf anspricht. Sie verbrauchen Energie, sich nicht mit dem Thema zu befassen.
4. Strategie: „Ich war es nicht. Der andere ist schuld.“
Manche gehen zum Gegenangriff über. „Der andere hätte …, dann wäre nicht …“, „Der andere hat angefangen.“, „Die Eltern hätten besser …, dann wäre ich jetzt nicht …“ Sie machen anderen Vorwürfe und schieben diesen die Schuld zu.
Vorteil: Sie fühlen sich kurzfristig erleichtert, die Schuldgefühle lassen nach.
Nachteil: Sie fühlen sich ärgerlich und voller Spannung. Es entstehen Konflikte mit anderen, die Beziehungen zu anderen leiden. Fehler können nicht korrigiert werden.
5. Strategie: „Ich kann die Schuldgefühle nicht ertragen.“
Manche versuchen, die Schuldgefühle hinunterzuschlucken, indem sie zu viel Alkohol trinken, sich in Arbeit oder Aktivitäten stürzen, zu viel essen, Beruhigungstabletten oder Drogen einnehmen.
Vorteil: Sie fühlen sich kurzfristig erleichtert, die Schuldgefühle lassen nach.
Nachteil: Die Ursachen der Schuldgefühle werden nicht bearbeitet, Fehler und Fehleinschätzungen nicht korrigiert. Der Körper wird in Mitleidenschaft gezogen. Es besteht die Gefahr einer Suchtmittelabhängigkeit. Arbeitsplatz und Beziehungen sind gefährdet.
6. Strategie: „Immer alles auf mich.“
Manche reagieren ironisch: „Alles auf mich. Ich war´s mal wieder. Ich bin immer der Schuldige.“ Sie stellen sich zwar als Opfer dar, doch bezweifeln es innerlich.
Vorteil: Durch das übertriebene Schuldbekenntnis nimmt man sich und andere nicht ernst.
Nachteil: Eine Diskussion über die Ursachen ist nicht möglich.
7. Strategie: „Andere haben auch schuld.“
Manche versuchen, ihre Schuldgefühle zu verringern, indem sie ihren Blick auf andere lenken. Sie trösten sich damit: „Andere sind auch nicht besser.“ Sie wollen damit das Ausmaß ihrer Schuld reduzieren.
Vorteil: Schuldgefühle werden reduziert.
Nachteil: Eine realistische Einschätzung des Fehlers ist nicht möglich.
8. Strategie: „Andere sind noch schlimmer.“
Manche suchen bei den anderen nach Beweisen, dass deren Fehlverhalten noch schlimmer ist.
Vorteil: Schuldgefühle werden reduziert.
Nachteil: Eine realistische Einschätzung des Fehlers ist nicht möglich. Möglicherweise vergleicht man sich mit Menschen, die ansonsten überhaupt nicht den eigenen Wertvorstellungen entsprechen.
9. Strategie: „So