Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation. Katrin Bekes
Abb. 2-9 Inzisiven von MIH-Patienten mit Hypomineralisationen unterschiedlichster Lokalisation und Ausprägung. a) Weißliche kleine Opazität an den Zähnen 11 und 21. b) Hypomineralisationen in unterschiedlichen Höhen und Farben an den oberen Schneidezähnen 11 und 21. c) Opake Fleckung in variabler Ausprägung und Farbgestaltung bei den mittleren Oberkieferinzisiven. d) Mindermineralisation an Zahn 32 im oberen Drittel. e) Opazitäten an den mittleren oberen Schneidezähnen und allen vier unteren Inzisiven, die fast die gesamte vestibuläre Fläche einnehmen. f) Mindermineralisationen an den unteren mittleren Schneidezähnen.
Geringgradig veränderte Zähne zeigen eher weiß-gelbliche oder gelb-braune, unregelmäßige Verfärbungen, schwere Hypomineralisationsformen dagegen weisen abgesplitterte oder fehlende Schmelz- und/oder Dentinareale unterschiedlichen Ausmaßes auf4.
Zunächst intakter, aber verfärbter Schmelz kann aufgrund seiner Porosität insbesondere unter dem Einfluss von Kaukräften leicht abplatzen (Abb. 2-10). Ein Prädiktor für eine solche posteruptive Absplitterung des hypomineralisierten Schmelzes scheint die Farbe der Opazität zu sein6.
Abb. 2-10 MIH-betroffener oberer erster Molar zu verschiedenen Zeitpunkten. a) Während der Eruption. b) 3 Jahre später.
Bei permanenten Schneidezähnen ist der betroffene Schmelz in der Regel weniger stark gestört und durch das Fehlen von Kaukräften wohl auch weniger anfällig für den Abbau. Inzisale Schmelzdefekte sind jedoch meist recht umfangreich und am häufigsten auf den labialen Zahnflächen vorzufinden. Dieses Erscheinungsbild löst häufig bei den Eltern – das dokumentieren Gespräche mit ihnen – Irritationen aus, geltend gemacht werden von ihnen insbesondere kosmetische Bedenken.
Die Schwere der Defekte an den Molaren korreliert nicht unbedingt mit der Anzahl und der Ausprägung der Hypomineralisationen an den Inzisiven. So können einerseits bei einem Patienten alle vier Molaren stark betroffen sein, die Inzisiven aber gar nicht (Abb. 2-11); andererseits ist es möglich, dass eine milde Form der MIH an nur einzelnen Molaren mit dem Befall mehrerer Inzisiven kombiniert ist (Abb. 2-12 und 2-13). Auch der unterschiedliche Befall von Molaren oder Inzisiven innerhalb eines Gebisses ist denkbar (Abb. 2-14 bis 2-16).
Abb. 2-11 9-jährige MIH-Patientin mit starker Ausprägung an allen ersten bleibenden Molaren ohne Einbezug der Inzisiven. a) Frontalansicht: Kein Schneidezahn weist eine Opazität auf. b) OK-Aufsicht: Beide ersten Molaren zeigen bereits großflächige posteruptive Schmelzeinbrüche. c) UK-Aufsicht: Auch an den Unterkiefermolaren ist es bereits zu Substanzverlusten gekommen.
Abb. 2-12 6,5-jähriger MIH-Patient mit Opazitäten an den Molaren und beiden mittleren oberen Inzisiven. a) Frontalansicht: Zähne 11 und 21 mit Opazitäten variabler Stärke. b) OK-Aufsicht: Opazitäten unterschiedlicher Farbe an beiden Molaren. c) UK-Aufsicht: Weiße abgegrenzte Verfärbungen im jeweils vestibulären Bereich der unteren 6-Jahr-Molaren.
Abb. 2-13 7-jährige MIH-Patientin mit auffälliger Opazität an einem oberen und einem unteren Schneidezahn sowie milder Ausprägung an den Molaren. a) Frontalansicht: Zahn 21 und 32 mit gelber Hypomineralisation. b) Zahn 16: kein MIH-Befund erkennbar. c) Zahn 26: kein MIH-Befund sichtbar. d) Zahn 46: MIH-betroffener Molar mit Opazitäten in der distalen Fissur sowie am distovestibulären Höcker im vestibulären Bereich. e) Zahn 36: MIH-betroffener Molar mit gelblicher Hypomineralisation im okklusalen Fissurenrelief.
Abb. 2-14 Unterschiedliche Ausprägung einer MIH im Ober- und Unterkiefer eines Patienten. a) OK-Aufsicht: Die Zähne 16 und 26 zeigen posteruptive Schmelzeinbrüche. b) UK-Aufsicht: Die Zähne 36 und 46 weisen lediglich kleine Opazitäten auf.
Abb. 2-15 Heterogener MIH-Befall an den oberen und unteren ersten Molaren einer Patientin. a) OK-Aufsicht: Zahn 16 zeigt eine Opazität, Zahn 26 weist bereits einen Substanzverlust auf. b) UK-Aufsicht: An Zahn 36 ist ebenfalls ein Schmelzeinbruch aufgetreten, Zahn 46 ist gesund.
Abb. 2-16 Differente Erscheinungen der Hypomineralisation an den oberen und unteren 6-Jahr-Molaren. a) OK-Aufsicht: Zahn 16 ist gesund, Zahn 26 zeichnet sich durch massive Substanzverluste aus. b) UK-Aufsicht: Zahn 36 hat eine kleine Opazität im vestibulären Bereich, Zahn 46 ist durch einen starken Schmelzeinbruch charakterisiert.
Daher sind eine frühzeitige Erkennung, Intervention und angemessene Therapie notwendig, um schwere Komplikationen zu vermeiden und sowohl die Kaufunktion als auch die Ästhetik der Zähne zu verbessern.
Neben dem Defekt selbst ist das Auftreten von Überempfindlichkeiten ein wichtiges und nicht zu vernachlässigendes Leitsymptom der MIH. Vor allem MIH-betroffene Molaren können oft stark temperatur- und berührungsempfindlich sein. Als Ursache für diese Empfindlichkeit wird die Porosität des Schmelzes angeführt, die frühzeitig zu einer Bakterieninvasion und einer chronischen Pulpaentzündung führt7-9 (siehe Kapitel 3). Diese Hypersensibilität hat erhebliche Folgelasten für die Kinder: Sie schränkt sie im Genuss kalter und heißer Nahrungsmittel sowie bei der Mundhygiene ein (Abb. 2-17). Zudem beeinträchtigt sie die Behandlung dieser Zähne, u. a. deshalb, weil die chronische Pulpaentzündung eine erfolgreiche Lokalanästhesie erschweren kann10. Deshalb wird im Rahmen der Behandlung hypersensibler Molaren häufig auf eine Prämedikation zurückgegriffen, auf die in Kapitel 9 näher eingegangen wird.