Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation. Katrin Bekes
zerstört, kommt es zu erhöhten Porositäten und zur Bildung von gelb-braunen Opazitäten. Ein Teil der Ameloblasten scheint sich von dieser Irritation wieder erholen zu können, mit dem Ergebnis, dass die Schmelzoberfläche weniger starke Farbveränderungen aufweist. Diese optisch schwächeren Veränderungen sind cremegelb oder cremeweiß und finden sich vor allem in den inneren Schmelzarealen7-9.
3.5 Hypomineralisierter Schmelz
3.5.1 Mikrostrukturelle Aspekte
Licht- und polarisationsmikroskopische Aufnahmen zeigen, dass hypomineralisierter Zahnschmelz im Vergleich zu gesundem Schmelz erhöhte Porositäten aufweist (Abb. 3-3 und 3-4), die in einer Größenordnung von 5 bis 25 % liegen10-12. Weiße oder cremefarbene Opazitäten bzw. Läsionen ohne Schmelzeinbruch sind dabei weniger porös als gelb-bräunliche Defekte oder Regionen mit Defekten. Folglich korreliert der Grad der Opazität mit dem der Porosität. Ferner scheinen sich MIH-Läsionen über die gesamte Dicke des Schmelzes zu erstrecken. Sie beginnen an der Schmelz-Dentin-Grenze und enden an der Schmelzoberfläche (Abb. 3-5 und 3-6).
Abb. 3-3 Querschnitt durch eine MIH-Läsion. Die Läsion verläuft durchgängig über den gesamten Zahnschmelz bis zur Dentingrenze (Quelle: Stefan Tangl, Anton Dobsak, Katrin Bekes).
Abb. 3-4 MIH-Läsionsbereich infiltriert mit einem Farbstoffpräparat (Quelle: Hassan Shokoohi, Katrin Bekes).
Abb. 3-5 Vergleich der Schmelzstrukturen eines gesunden Molaren und eines von MIH betroffenen Molaren im Dünnschliff unter dem Lichtmikroskop (Quelle: Stefan Tangl, Anton Dobsak). a) Gesunder Zahnschmelz im Dünnschliff. b) Zahnschmelz mit MIH-Läsion: Es zeigen sich deutliche Unterschiede in der Färbefähigkeit zwischen gesundem und hypomineralisiertem Schmelz, wobei sich Letzterer ähnlich wie Dentin rosa färbt. c) Detailansicht der MIH-Läsion. Erkennbar ist die Durchgängigkeit der Hypomineralisation bis zur Dentingrenze.
Abb. 3-6 Molar mit MIH-Läsion im klinischen Bild, als Dünnschliffpräparat unter dem Lichtmikroskop und in der Mikro-CT-Aufnahme (erste Reihe). Zusätzlich wurden die Hypomineralisationen farblich in der 3-D-Ansicht markiert (zweite und dritte Reihe). Es ist erkennbar, dass die Hypomineralisation über den gesamten Schmelz verläuft. Teilweise findet sich an der Oberfläche eine intakte Schmelzschicht (Quelle: Stefan Tangl, Anton Dobsak, Katrin Bekes).
Gesunder Schmelz zeigt ein geordnetes Prismenbild. Demgegenüber demonstrieren raster- (REM) und transmissionselektronenmikroskopische (TEM) Bilder von MIH-betroffenen Schmelzarealen weniger dichte Prismenstrukturen, einen partiellen Verlust an prismatischen Mustern, lose gepackte Kristalle, weniger ausgeprägte Prismenränder, verbreiterte Grenzen und Hohlräume sowie Lücken zwischen den einzelnen Prismen7,11,13-18 (Abb. 3-7 und 3-8).
Abb. 3-7 REM-Aufnahme eines MIH-Molaren mit einer Opazität an einer scheinbar intakten Schmelzfläche: Es sind Porositäten sichtbar (800-fache Vergrößerung) (Quelle: Hassan Shokoohi, Katrin Bekes).
Abb. 3-8 REM-Aufnahmen von frakturierten Proben mit Sputterbeschichtung aus Gold. Erkennbar sind desorganisierte Kristalle mit großen Zwischenräumen zwischen den Schmelzprismen (Quelle: Hassan Shokoohi, Katrin Bekes). a) 3000-fache Vergrößerung. b) 6000-fache Vergrößerung.
Das weiter unten beschriebene Mineralisierungsdefizit ist besonders zwischen den Prismengrenzen ausgeprägt, die stark vergrößert sind und deshalb die Prismen auch nicht mehr zusammenhalten19. Darüber hinaus weist geätzter MIH-Schmelz ein abnormes Ätzmuster auf7,10 (Abb. 3-9). Die Anzahl der Risse und tiefen Poren scheint sich durch Säureätzung zu erhöhen16.
Abb. 3-9 MIH-betroffener Schmelz nach Ätzung mit 37 % Phosphorsäure. Es zeigt sich kein regelmäßiges Ätzmuster. Lediglich begrenzte Areale mit einer vergrößerten Oberflächenrauigkeit sind erkennbar (Quelle: Hassan Shokoohi, Katrin Bekes). a) 800-fache Vergrößerung. b) 2500-fache Vergrößerung.
3.5.2 Mechanische Eigenschaften
Die mechanischen Eigenschaften eines Zahns werden durch die Relation von Festigkeit (Härte) und Elastizität (Elastizitätsmodul) erfasst. Die Elastizität eines Zahns bietet durch die Absorption einwirkender Kräfte einen relativen Schutz. Eine zunehmende Elastizität bedingt allerdings ab einem bestimmten Punkt eine Einschränkung in der Funktion, wenn die Struktur zu flexibel wird. Folglich ist ein festes Stützgerüst nötig, das die erforderliche Stabilität besitzt. Der gesunde Schmelzmantel erfüllt diese Anforderung aufgrund seiner Härte und Festigkeit optimal, sodass hier hohe Belastungen möglich sind.
Untersuchungen an MIH-geschädigtem Schmelz ergaben sowohl für die Härte als auch für den Elastizitätsmodul deutlich niedrigere Werte im Vergleich zu gesundem Zahnschmelz10,11,14,17,18. Unterschiedliche Autorengruppen konnten eine um 50 bis 90 % geringere Härte belegen14,15.
Dies hat vor allem bei der Planung von Restaurationen klinische Konsequenzen. Die reduzierte mechanische Festigkeit scheint auch für die häufig beobachteten Randfrakturen von Kompositfüllungen von Bedeutung zu sein, wenn die gewählten Präparationsgrenzen nicht bis in den gesunden Schmelzbereich extendiert wurden14. Dies wird sichtbar, sobald Kaukräfte den vulnerablen Bereich stark beanspruchen. Meist bricht dann der Zahn um eine mehr oder wenige intakte Füllung weg oder an den kaulasttragenden Höckern treten Chipping-Frakturen auf20