Karnische Hochzeit. Reinhard M. Czar
sagte die Chefin dann doch ein wenig stolz, weil sie die bekannte österreichische Biermarke in ihrem Ristorante führte, und schaute erwartungsvoll zu Lydia. Die zählte aber eindeutig zur Prosecco-Fraktion.
„Prosecco“, freute sich auch Eleonora, „e molto buono.“
Camilieri, durstig und ein wenig sauer, weil man ihn vorher überstimmt hatte, bestellte als Einziger eine Kostprobe des Bieres, während die anderen die Einladung der Wirtin auf ein Gläschen des Prosecco erfreut annahmen.
Vor dem eigentlichen Mahl würde man in weiterer Folge ein wenig gekochtes Gemüse servieren, das sich jeder am Tisch nach Geschmack, Lust und Laune mit Olio extra vergine di Oliva aus Umbrien, Aceto balsamico di Modena und etwas Sale marino marinieren konnte. Dann sollten Prosciutto di San Daniele, Montasio-Käse und Oliven als Antipasti folgen. Die Nudeln des ersten Ganges würden mit Salsiccia, typisch friulanischer Wurst, und erntefrischen Tomaten zubereitet werden. Für den Hauptgang beabsichtigte die Wirtin Anleihen beim wichtigsten Fest der Christenheit, Pasqua, zu nehmen und empfahl Zicklein.
„Dieses Gericht“, erklärte sie, „wird mit frischem Rosmarin und Knoblauch geschmort. Es kommt normalerweise nur zu Ostern auf den Tisch. Aber eine Hochzeit ist ja auch ein Neubeginn, also so etwas wie eine Auferstehung.“
Bevor eine Nachfrage möglich war, wie das denn gemeint sei, präsentierte die gute Frau auch schon die Vorschläge für die Dolci: Torten, Kuchen und Kekse. Und als Krönung Cassata siciliana, eine Festtagstorte aus Sizilien, zu Ehren des von der Insel stammenden Bräutigams als große Ausnahme in der ansonsten friulanischen Speisenfolge. Feinstes Biskuit wurde dafür mit zuckergesüßter Ricotta gefüllt, unter die man Likör, Schokoladestückchen und kandierte Früchte mengte, darüber eine Haube aus Panna mit Vanillezucker.
„Commissario“, schloss die Hotel- und Küchenchefin mit Begeisterung, „das wird Ihnen, Ihrer Braut und Ihren Gästen schmecken. Und natürlich auch dem Signor Forza und – noch darf ich so sagen – der Signorina Eleonora.“
Zu diesem Zeitpunkt wusste es niemand und es hätte wohl die gute Stimmung gestört: Bis man das Mahl veramente genießen konnte, sollte wesentlich mehr Zeit vergehen als geplant.
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Nach dem Genuss von Prosecco und Bier beschlossen die zukünftigen Bräute und Bräutigame, einen abendlichen Spaziergang zu unternehmen, um in der frischen Bergluft den Tag ausklingen zu lassen.
Platz zum Spazieren gab es genug, denn obwohl Arta Terme nur rund zweitausendzweihundert Einwohner zählte, erstreckte sich die Gemeinde über eine beträchtliche Fläche. Im und um den Ort dominierten sattgrüne Wiesen, ringsum gab es viel, viel Wald und in einem großen Halbkreis um das Tal hohe Berge, von deren Gipfeln bereits im Oktober der erste Schnee weiß herableuchtete. Einige Ortsteile wie das Zentrum selbst oder das erwähnte Piano d’Arta, wo Camilieri und Co Quartier bezogen hatten, verströmten mit ihren Hotels und der Nähe zur Therme den mondänen Charme eines ein wenig in die Jahre gekommenen Kurortes, was besonders Lydia gefiel. Denn als Historikerin konnte sie sich gut hineinversetzen in die Zeit, als der Kurort seine letzte Hochblüte erlebt hatte: Bürger aus ganz Norditalien waren hierher gekommen, weil sie sich Linderung ihrer Leiden erhofften. Man spazierte und diskutierte, man kommentierte das öffentliche Leben und erholte sich gleichzeitig davon. Unter ihnen war der Freimaurer und Dichter Giosuè Carducci gewesen, der, so glaubte sich Lydia zu erinnern, sogar mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden war. Das bestätigten dann auch eine Tafel und eine Statue des Dichters in einem kleinen Park unweit des Hotels.
Verstecktes Herzstück des Ortes aber war die Therme, an der die vier ebenfalls vorbeischlenderten. Auffallend hier mitten in Karnien waren besonders die spitzen Türmchen am Dach, die ein wenig an asiatische Pagoden erinnerten und im Ort anscheinend Schule gemacht hatten. Denn immer wieder entdeckten sie Dächer, die an die Türmchen der Therme erinnerten, so auch beim Hotel, in dem die Hochzeiter nächtigen und feiern wollten. Im Gegensatz zu anderen Bädern herrschte die Therme hier aber nicht über den Ort, sondern sie schien sich geradezu verschämt unten im Tal des But zu verstecken. Historisch wertvoller als die Therme, darauf wies natürlich wieder Lydia hin, waren die Kirchen des Ortes, darunter einige Kapellen aus dem 15. Jahrhundert, wie die Heiliggeistkapelle und die Kapelle des heiligen Nikolaus. Damit hatte sicher auch der historisch interessierte Padre seine helle Freude.
Irgendwie erweckte Arta Terme insgesamt in Claudio Camilieri den Eindruck, einmal mit erheblichen Mitteln aus dem Boden gestampft und dann von den Bewohnern wieder in den Schlaf gewiegt worden zu sein. Die Hinweistafeln zu den Wanderwegen durch Ort und Umgebung waren zwar exakt, aber grau und verwittert. Die Läden vieler Häuser waren geschlossen und auf den Fassaden zu viele Vendesi-Schilder zu lesen. Vielleicht lag es einfach an der Jahreszeit, in der er und Forza in Arta Terme heiraten wollten: Spätherbst, zwar mit dem schönsten Wetter, das man sich vorstellen konnte, aber eben keine Ferienzeit. Die markanten Berggipfel ringsum stachen schroff in einen blauen Himmel, den kein Wölkchen trübte. Man ahnte, dass es nicht mehr lange so bleiben und bald die Herbststürme mit Kälte und Regen übers Land ziehen würden.
*
Geraume Zeit nach Mitternacht hämmerte es an Camilieris Zimmertür. Bis der Commissario aus dem Schlaf fand, dauerte es. Lydia erwachte schneller und rüttelte ihren Bräutigam fest an den Schultern. „Wach auf, Claudio, da ist jemand an der Tür.“
„Chiuso“, murmelte der Angesprochene im Halbschlaf, bevor er sich abrupt aufrichtete. „Eh, was soll das?“, schimpfte er dann laut in Richtung Tür. „Hast du keine Uhr?“
„Commissario“, tönte es von draußen, „machen Sie auf! Ein Notfall!“
„Ist den Zechern an der Bar der Wein ausgegangen?“, fragte Camilieri grantig.
„Nein … viel schlimmer … tot“, drang es durch die Tür.
Leise flüsterte Camilieri Lydia ins Ohr: „Scusi, Bella, ich befürchte, ich muss einmal kurz nachsehen, was da draußen los ist.“ Laut rief er zur Tür, während er in seine Hose schlüpfte: „Tot? Wer ist tot?“
Vor der Tür wurde es still, statt einer Antwort Schweigen. Camilieri, der sich inzwischen auch ein Hemd übergestreift hatte, riss die Tür auf und blickte dem Dorfpolizisten in die Augen.
„Also, was ist los?“, herrschte er ihn an.
„Commissario“, antwortete der Beamte der Polizia municipale, „in der Therme wurde ein Toter gefunden.“
„Das ist schlecht, aber nicht meine Angelegenheit. Ich bin im Urlaub“, erwiderte Camilieri forsch und wollte die Tür wieder schließen.
„Ich weiß, Commissario“, entgegnete der örtliche Polizist, „es tut mir auch leid, Sie zu stören. Wo Sie doch übermorgen heiraten wollen. Aber Sie sind von der Kripo – und Sie sind hier. Ihre Kollegen in Tolmezzo, die eigentlich zuständig wären, gehen nicht und nicht ans Telefon.“
„Hm.“
„Und für die Spurensicherung brauchen wir einfach einen Profi am Tatort.“
Camilieri dachte kurz nach. „Stimmt“, meinte er dann. „Was man am Anfang nicht begutachtet und bewertet, ist unwiederbringlich verloren. Warten Sie eine Minute, ich komme mit Ihnen.“ Er ging zurück zum Bett und drückte Lydia einen Kuss auf die Lippen. „Ich bin so schnell wie möglich zurück, das verspreche ich.“
Lydia seufzte: „Ich bin schon zufrieden, wenn du unseren Hochzeitstermin schaffst.“
Ohne zu antworten, stürmte Camilieri aus dem Zimmer und eilte zu Forzas Tür. Er klopfte heftig und rief: „Aufwachen, Forza, es gibt Arbeit!“
Ein paar Minuten später sprangen die drei in den Alfa, der am Hotelparkplatz abgestellt war. Forza hinters Steuer, daneben auf den Beifahrersitz Camilieri und auf die Rücksitzbank der Beamte der Polizia municipale, der sie aus dem Bett geholt hatte. Der Mond tauchte das Gelände in fahles Licht, was sich schlagartig änderte, als Forza den Motor anließ und ungeachtet der Straßenverkehrsordnung, die für Ortsgebiet Abblendlicht vorsah, die Scheinwerfer