Kreta Reiseführer Michael Müller Verlag. Eberhard Fohrer
Ins Licht der Geschichte rückt Iráklion 842, als die Sarazenen des Abu Hafs Omar (→ Ostkreta/Palmenstrand von Váï) die Siedlung erobern. Sie umgeben die Stadt mit Mauern und Wassergraben - Rabd el Chandak, die „Burg mit dem Graben“, nennen sie die neue Festung. Bis ins 10. Jh. gilt die Stadt als gefürchtetes Piratennest.
961 erobern die Byzantiner unter Nikephóros Phokás Rabd el Chandak und zerstören es völlig. Aber der Plan, die Stadt aufzugeben und stattdessen ein gut befestigtes Kastell auf einem Berg in der Nähe zu errichten, scheitert an dem Widerstand der Einwohner und byzantinischen Kolonisten. So bleibt ihnen nichts übrig, als die Stadt wieder aufzubauen und neu zu befestigen. Sie nennen sie, in Anlehnung an den sarazenischen Namen, kurz Chandax.
Anfang des 13. Jh. wird das byzantinische Reich im vierten Kreuzzug aufgerieben - die Venezianer können Kreta dem geschwächten Byzanz für eine lächerliche Summe abkaufen. Aus Chandax wird Cándia, ein neuer Name für die Stadt und gleichzeitig die ganze Insel. Die venezianische Herrschaft wird zur kulturellen Blütezeit Iráklions: Wirtschaft und Verwaltung werden von den Venezianern völlig umorganisiert, reiche Grundbesitzer werden per Gesetz verpflichtet, Prachtbauten in die Stadt zu setzen. Nach dem endgültigen Fall Konstantinopels flüchten ab 1452 byzantinische Intellektuelle und Künstler nach Kreta. Die Berg-Sinai-Schule, damals wichtigste Hochschule des christlichen Ostens, richtet in der Ekateríni-Kirche von Iráklion eine Lehr- und Forschungsstätte ein. Doch die rigorosen Kolonialmethoden der Venezianer provozieren immer wieder Aufstände von Seiten der Landbevölkerung.
Der venezianische Morosini-Brunnen im Herzen der Altstadt
Ab 1462 werden die Mauern von Cándia in einem gewaltigen Kraftakt verstärkt und um 1550/60 nochmals ausgebaut, denn die osmanische Invasion steht drohend am Horizont. Die Befestigungen Cándias gehören jetzt zu den stärksten im Mittelmeerraum. Trotzdem beginnt nach dem Fall Chaniás und Réthimnons im Mai 1648 die Belagerung - über 21 Jahre wird sie dauern, damit ist sie bis heute die längste Belagerung der Geschichte! Die Osmanen errichten südlich der Stadt ein riesiges Heerlager, von den Venezianern „Candia Nova“ genannt. Immer wieder rennen die osmanischen Türken an, treiben Gänge unter die Festung, belegen die meterdicken Mauern mit Dauerfeuer. Die Belagerten antworten mit Gegenminen, es kommt zu grauenhaften Kämpfen unter der Erde. Die gewonnenen Erkenntnisse über den Minenkrieg werden 1683 den Verteidigern bei der türkischen Belagerung Wiens von Nutzen sein.
Beim Entsatzversuch einer französischen Hilfsflotte explodiert am 24. Juli 1669 das Pulvermagazin des Admiralsschiffs „La Thérèse“, das Schiff sinkt (und liegt seitdem in 17 m Tiefe vor dem Hafen), der französische Großadmiral Beaufort kommt ums Leben. Daraufhin ziehen die Franzosen wieder ab und andere Hilfstruppen, die vom aussichtslosen Kampf genug haben, meutern. Am 16. September 1669 muss der venezianische Statthalter Francesco Morosini kapitulieren. Er erreicht den freien Abzug seiner spärlichen Truppenreste, doch von den ehemals stolzen Mauern und Bastionen sind nur noch Trümmer übrig. Die längste Stadtbelagerung der Neuzeit ist zu Ende, 30.000 Venezianer und über 137.000 Türken haben sie mit dem Leben bezahlt, die getöteten Kreter wurden nicht gezählt.
Kreta steht damit unter osmanischer Herrschaft. Iráklion wird von den Kretern im Folgenden zwar Megalókastro (große Festung) genannt, verliert aber immer mehr an Bedeutung, da die Osmanen Chaniá zur Verwaltungshauptstadt erheben.
Mit dem Abzug der Osmanen und der Unabhängigkeit Kretas 1898 erhält die Stadt zwar ihren ursprünglichen Namen Heráklion (= Iráklion) zurück, aber erst 1913 mit dem Anschluss Kretas an Griechenland ihre frühere Bedeutung. Der Zustrom der griechischen Umsiedler aus der Türkei (→ Link) lässt ihre Bevölkerungszahl sprunghaft in die Höhe schnellen.
Im Zweiten Weltkrieg wird Iráklion durch deutsche und britische Bomber schwer zerstört, die deutschen Truppen besetzen 1941 die Stadt und ziehen erst 1944 wieder ab (Chaniá bleibt bis Kriegsende 1945 in deutscher Hand). Nach dem Krieg lassen Tourismus, Industrie und Handel Iráklion schnell zur wichtigsten Stadt der Insel werden. 1971 wird Iráklion wieder Hauptstadt Kretas.
Sehenswertes
Iráklion ist eine Stadt mit reicher Geschichte. Byzantiner, Venezianer, Türken haben an ihr gebaut, zerstört und wieder aufgebaut. Viel davon blieb jedoch nicht erhalten, denn die Altstadt wurde im letzten Krieg durch Fliegerbomben weitgehend verwüstet. Aus venezianischer Zeit stehen aber noch einige, z. T. aufwändig restaurierte Repräsentationsbauten und Kirchen, besonders reizvoll ist außerdem der Besuch des Hafenkastells. Imposant zeigt sich auch die fast vollständig erhaltene venezianische Stadtmauer, auf der Níkos Kazantzákis, der Schöpfer des „Aléxis Zorbás“, begraben ist. Unter der Stadt liegen die Ruinen des antiken Heraklea, bei Neubauvorhaben ist man immer wieder auf Grundmauern gestoßen, doch wurden sie bisher fast alle überbaut.
Platia Venizelou und Umgebung
Abgesehen vom Hafenkastell und der Stadtmauer liegen die meisten venezianischen Relikte Iráklions nur einige Armlängen von der zentralen Platia Venizelou mit ihrem markanten Brunnen entfernt. In den Cafés am Platz trifft man sich zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Morosini-Brunnen (Löwenbrunnen): Wasser zu beschaffen war immer eins der größten Probleme der Stadt. 1628 ließ der Statthalter Francesco Morosini deshalb einen 15 km langen Aquädukt vom Berg Joúchtas (→ Link) in die Stadt bauen, Endstück war dieser Brunnen am zentralsten Platz Iráklions. Doch die Venezianer hatten nicht lange Freude daran, denn schon 40 Jahre nach der Fertigstellung mussten sie die Stadt den Osmanen übergeben, Kommandeur der letzten venezianischen Truppen war der Neffe des Aquädukterbauers. Nach der Machtübernahme bauschten die Osmanen den zierlich-eleganten Wasserspender mit mächtigen Aufbauten zu einem großen Brunnenhaus auf. Heute ist die ursprüngliche venezianische Gestaltung wiederhergestellt und eine zu den Olympischen Spielen von 2004 erfolgte Restaurierung hat die Schönheit des Brunnens wieder zur Geltung gebracht. Löwen stemmen eine große Schale, aus ihren Mäulern sprudelt Wasser dekorativ in Wasserbecken, deren Umfassungsmauern mit Reliefs von Meerjungfrauen und Meeresgöttern geschmückt sind, auch Europa auf dem Stier ist mehrmals zu sehen.
Fußgängerzonen, Parks und Ruheräume in Iráklion
Weite Teile des Zentrums sind als Fußgängerzonen ausgewiesen, so dass man in Ruhe bummeln und sich entspannen kann.
Fußgängerzonen: Die repräsentative 25 Avgoustou Str. vom venezianischen Hafen zum Morosini-Brunnen ist vollständig für den Verkehr gesperrt. Weiterhin gibt es die Shoppingzeile Dedalou Str., die am Morosini-Brunnen beginnt und schnurgerade zum großen Eleftherias-Platz hinüber führt. Parallel dazu verläuft die breite Dikeossinis Str., die erst kürzlich teilweise zur Fußgängerzone gemacht wurde, sowie die Adam Korai Str. mit Nachbarstraßen, die von zahlreichen Cafés gesäumt sind. Weitere für den motorisierten Verkehr gesperrte Bereiche sind die Marktgasse und ihre Seitenwege, die Chandakos Str. mit der Kandanoleon Str., die zum El-Greco-Park hinüber führt, natürlich der Platz am Morosini-Brunnen selbst sowie Teile des großen Eleftherias-Platzes und der Ekaterini-Platz mit einigen Seitengassen.
Grünanlagen: Zentralste Grünanlage ist der El-Greco-Park, weiterhin gibt es den Stadtpark Párko Georgiádi unterhalb der Vitouri-Bastion und auch die großen grünen Bereiche des Mauergrabens unterhalb des Eleftherias-Platzes bieten sich für einen Spaziergang an.
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