Resilienz. Linda Graham
Ich möchte Ihnen dabei helfen, Ihre Resilienz, Ihre Lebensfreude und Ihr Wohlbefinden wiederzuerlangen. Sie sind Ihr Geburtsrecht. Mit den hier beschriebenen Praktiken können Sie Ihre Reaktionsflexibilität verbessern und kluge Entscheidungen treffen und so mit allem, wirklich allem, umgehen.
Ich fürchte mich nicht vor Stürmen, denn ich lerne, mein Schiff zu segeln.
LOUISA MAY ALCOTT
Fangen wir an.
KAPITEL 1
Die Grundlagen zur
Stärkung von Resilienz
Wie wir lernen, sie wiederzuerlangen
Die ganze Welt ist voller Leid. Aber sie ist auch voller Überwindung von Leid.
HELEN KELLER
Das Leben ist voller Herausforderungen. Sie lassen sich nicht vermeiden. Ganz gleich, wie sehr wir es auch versuchen, wie ernsthaft wir uns bemühen oder wie gut wir als Mensch sind, das Leben verläuft nicht geradlinig, sondern zieht jedem von uns gelegentlich den Boden unter den Füßen weg. Niemand ist immun gegen diese Realität des menschlichen Daseins. Missgeschicke und Hürden, manchmal sogar Katastrophen und Krisen, sind so unvermeidlich in der menschlichen Erfahrung, dass wir das Böse, das guten Menschen widerfährt, nicht so persönlich nehmen sollten.
Wir können die Tatsache nicht ändern: Ab und zu läuft es dumm. Was wir dagegen ändern können ist unsere Reaktion darauf. Und genau darum geht es in diesem Buch.
Missgeschicke sind wie Messer, sie schaden oder sie nützen uns, je nachdem, ob wir sie an der Klinge oder am Griff nehmen.
JAMES RUSSELL LOWELL, LITERARY ESSAYS
Passiert etwas Schwieriges oder sogar Verheerendes, dann haben wir die Macht – die Flexibilität –, uns zu entscheiden, wie wir darauf reagieren. Es erfordert Übung und es braucht Gewahrsein, aber die Fähigkeit dazu liegt in uns. Dieses Kapitel ist ein übersichtlicher Plan, wie Sie Ihr Gehirn trainieren, damit es auf die Herausforderungen des Lebens kompetenter und effektiver reagiert. Es vermittelt Ihnen auch ein Verständnis davon, wie die Veränderungen, die in den Leitungsbahnen Ihres Gehirns stattfinden, dieses resilienter machen.
Wenn es dumm läuft: Reaktionsflexibilität entwickeln
Wenn wir mit äußeren Problemen und Schicksalsschlägen konfrontiert werden – ein Autounfall, eine schlimme Krankheit, eine Scheidung oder der Verlust eines Kindes – oder wenn wir anderen bei solchen Katastrophen zur Seite stehen, kann man uns kaum einen Vorwurf machen, wenn wir versuchen, das Problem zu korrigieren, indem wir die Umstände und Bedingungen »da draußen« ändern. Selbst wenn uns innere Botschaften bombardieren, wie schlecht wir die Lage doch meistern – »Daran hätte ich auch eher denken können. Ich Blödmann.« –, konzentrieren wir uns immer noch darauf, wie das Problem »da draußen« zu lösen sei, um uns »da drinnen« besser zu fühlen.
Es ist selbstverständlich wichtig, die Lebenskompetenzen, Ressourcen und Weisheit zu entwickeln, um jene äußeren Umstände dann zu ändern, wenn es möglich ist, und zu lernen, mit ihnen dann immer und immer wieder umzugehen, wenn es nicht möglich ist. Und genau das ist, was Resilienz zum großen Teil ausmacht. Alles andere ist auch wichtig, notwendig und nützlich. Aber genauso wichtig wie das Beschäftigen mit dem »Da-Draußen« ist, wie wir das »Da-Drinnen« wahrnehmen und darauf reagieren – auf jeden äußeren Stressor, auf jede innere Botschaft über den Stressor, auf jede innere Botschaft, wie gut oder schlecht wir damit umgehen, und auch auf jede implizite Erinnerung an eine Gefahr aus unserer Vergangenheit, die vom gegenwärtigen Ereignis ausgelöst wird und sich nun sehr real anfühlt. Unsere Fähigkeit, wahrzunehmen und zu reagieren, gehört zu den wichtigsten Faktoren, die unsere Fähigkeit zur Resilienz und zum inneren Gleichgewicht beeinflussen oder vorherbestimmen.
Bei der Untersuchung dessen, was zur Fähigkeit beiträgt, mit Stress umzugehen, muss man drei verschiedene Ressourcen unterscheiden. Die erste ist die Unterstützung, die von außen her zur Verfügung steht, besonders das gesellschaftliche Netz. Eine schwere Krankheit etwa wird in gewissem Grade erträglicher, wenn man eine gute Versicherung und eine liebevolle Familie hat. Das zweite Bollwerk gegen Stress sind die psychologischen Ressourcen eines Menschen, wie Intelligenz, Bildung und wichtige Persönlichkeitsfaktoren. Der Umzug in eine andere Stadt und der Aufbau neuer Freundschaften ist für eine introvertierte Persönlichkeit viel schwerer als für eine extravertierte. Die dritte Kategorie bezieht sich auf die Bewältigungsstrategien, die man gegen Stress anwendet.
Von diesen drei Faktoren ist der dritte für unsere Zwecke am wichtigsten. Äußere Unterstützung an sich ist nicht sehr wirksam bei der Linderung von Stress. Meist wird nur jenen geholfen, die sich selbst helfen können. Und psychologische Ressourcen liegen vorwiegend außerhalb unserer Kontrolle. Es ist schwer, viel klüger oder viel gewandter zu werden, als man von Geburt an war. Doch wie wir etwas bewältigen, ist der wichtigste Faktor bei der Bestimmung, welche Wirkung Stress haben kann, und das flexibelste Hilfsmittel, weil es am stärksten unter unserer Kontrolle steht.3
MIHALY CSIKSZENTMIHALYI,
Flow. Das Geheimnis des Glücks
Und so lautet das Motto dieses Buches: »Wie man auf das Problem reagiert … ist das Problem.« (Tiefe Verbeugung vor meinem Kollegen Frankie Perez vom Momentous Institute in Dallas für diesen Satz.)
Umschalten funktioniert genauso
Was auch immer dumm läuft, der Schlüssel, mit der Situation umzugehen, ist, wie wir unsere Wahrnehmung (unsere Einstellung) und unsere Reaktion (unser Verhalten) umschalten. Es scheint oft so, als nähmen die äußeren Stressoren oder die negativen inneren Botschaften, wie wir sie bewältigen, kein Ende. Darum ist ein Umschalten der Wahrnehmung (unserer Einstellung) und unserer Reaktion auf die Stressoren und die Botschaften (Verhalten) vermutlich die effektivste Entscheidung, die wir treffen können, um unsere Resilienz zu stärken.
Sie können den Effekt des Umschaltens von Einstellung und Verhalten erleben, indem Sie Ihre Aufmerksamkeit neu ausrichten von dem, was gerade geschieht, darauf, wie Sie das gerade Geschehene bewältigen.
Mist! Jetzt ist mir der Teller hingefallen und zerbrochen! Mist, Mist, Mist – das war ein ganz besonderer Teller von meiner Tante, den sie mir zu meinem Uni-Abschluss geschenkt hat. Seufz. Ich rufe sie an und beichte es ihr. Wir werden zusammen jammern. Dann können wir vielleicht nächste Woche gemeinsam einen neuen Teller kaufen gehen. Ein guter Vorwand für einen Besuch.
Was – 3.000 Euro für einen neuen Zahnriemen?! Ganz schön viel Geld. Und … zumindest kann man das Auto reparieren. Dann wird es noch fünf weitere Jahre fahren und … dann machen wir halt dieses Jahr eine Woche weniger Urlaub und … im großen Ganzen ist das doch nur ein kleiner Klacks.
Mein Arzt hat weitere Tests angeordnet. Nicht gerade tolle Nachrichten. Das ist ziemlich beängstigend. Aber es ist immer besser, zu wissen, was los ist. Dann kann ich es auch angehen.
Die große Lektion dieser Übung ist, dass wir, können wir unsere Einstellung und unser Verhalten in solchen Umständen umschalten, sie in jedem Umstand umschalten können. Und genau dieses Wissen bewirkt das Umschalten.
Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt die Macht, unsere Antwort zu wählen. In unserer Antwort liegen unser Wachstum und unsere Freiheit.
VİKTOR FRANKL ZUGESCHRIEBEN
Dieses Umschalten erlaubt es uns, von einem »Du Arme« zu einem aktiven, selbst kontrollierten »Ich« zu wechseln. Es ist ein Umschalten von einem statischen zu einem dynamischen Selbstbild, es ist die Möglichkeit, den Geist fürs Lernen offen zu halten. Wir können jede innere Botschaft ändern, die wir darüber erhalten, wie wir jetzt etwas bewältigen (oder auch nicht) oder in der Vergangenheit bewältigten (oder auch nicht). Das Stärken von Resilienz beinhaltet, uns selber als