Leben wir in einer Illusion?. Lutz Gaudig
Licht des Strandes zu verdunkeln.
Tang vom letzten Sturm trocknet am Wassersaum.
Es riecht nach Meer.
Noch ein paar Schritte, und wir sind da.
Strandtücher ablegen, Luftmatratze, Sandspielzeug.
Nun schnell noch den Windschutz auf bauen.
Wir beginnen zu schwitzen und zu fluchen und denken, zum wie vielten Male eigentlich, an den Gummihammer, der wie immer im Wirtschaftsraum liegen geblieben ist.
Dann wird getobt mit den Kindern beim Fußball im Sand.
Wir merken, dass ein paar Kilo weniger ganz gut wären.
Im Wasser danach ist es kühler, als wir dachten.
Wir liegen auf dem Rücken und lassen uns treiben.
Hände und Beine korrigieren.
Das Wasser umschließt uns und trägt.
Ein paar Sonnenstrahlen passieren glitzernd die halb geschlossenen Lider.
Wir lächeln.
Später am Strand hinter unserem Windschutz liegen wir auf den Badetüchern, lang ausgestreckt.
Die Sonne wärmt ordentlich und trocknet den Sand an unserem Körper zu einer hellgrauen Kruste.
Zwei Möwen gleiten langsam über das Dünengras.
Das monotone leise Klatschen der kleinen Wellen beruhigt.
Kinderlachen von links, wir atmen tief durch und lächeln.
Wir sind glücklich.
Wir leben in einer wunderbaren Welt.
Wir riechen sie, wir schmecken sie.
Wir können sie anfassen und hören.
Vor allem können wir sie sehen in ihrer wunderschönen Vielfalt.
Wir bewegen uns in ihren drei Dimensionen durch die Zeit.
Wir verändern sie und verändern uns selbst.
Wir sind glücklich mit ihr.
Und dennoch könnte es sein, dass all diese Dreidimensionalität, all das Materielle unserer so vertrauten Welt nur eine große Illusion ist.
Wenn Sie sich Ihre Vorstellung über unsere Welt bewahren und keine Zweifel daran aufkommen lassen wollen, wenn Sie mit ihr zufrieden und glücklich sind, dann schließen Sie jetzt an dieser Stelle dieses Buch.
Sollten Sie sich zum Weiterlesen entscheiden, kann ich Ihnen weiter nichts bieten als möglicherweise ein Stückchen Wahrheit.
Ob Sie das befriedigen wird, kann ich nicht versprechen.
Ich weiß nur, dass Sie danach anders fühlen und denken werden.
Sie werden ständig auf der Suche sein, und die Antworten werden Ihre neuen Fragen nie einholen.
Leben wir in einer Illusion?
Hannover im Jahr 2008.
Schon eine geraume Zeit jagen Physiker am Präzisionsmessinstrument GEO 600 kleinsten Informationseinheiten nach.
Mit ihrem Gerät wollen die Wissenschaftler Gravitationswellen nachweisen.
Das war ihnen bis dato nicht gelungen.
Und es sollte ihnen auch nicht gelingen.
Gravitationswellen wurden erstmals 2015 mit der US-amerikanischen LIGO-Anlage nachgewiesen.
Diese stammten von zwei kollidierenden Schwarzen Löchern.
Aber was die Forscher in Hannover fanden, dieses unerwartete Zittern in ihren Signalen, war nicht minder interessant.
Der Leiter des „Fermilab Institute“ in Illinois, Craig Hogan, vermutete damals, dass es von Quantenfluktuationen ausgelöst wurde.
Diese wiederum würden aus der Pixelung der Raumzeit herrühren. Möglicherweise wird dieses kleine Zittern, diese winzigen Ausschläge auf den Monitoren des GEO 600, unser Weltbild komplett auf den Kopf stellen.
Sollte sich die Vermutung in weiteren Versuchen bestätigen, hätten die Forscher aus Hannover zufällig einen wichtigen Hinweis darauf gefunden, dass wir in einem holografischen Universum leben.
Denn die Pixelung der Raumzeit würde bedeuten, dass unsere Welt nicht kontinuierlich ist, sondern gequantelt.
Das wiederum ist eine Voraussetzung für das holografische Universum.
Unsere Welt und der Rest des Universums wären dann weiter nichts als ein Hologramm.
Unsere Vorstellung von Realität, von all dem, was wir kennen, was uns vertraut und selbstverständlich ist, verschwände in einem Schwarzen Loch.
In ihrem Buch „Der Große Entwurf – Eine neue Erklärung des Universums“ schreiben Stephen Hawking und Leonard Mlodinow 2010:
„Und falls sich das sogenannte holografische Prinzip als richtig erweisen sollte, sind wir und unsere vierdimensionale Welt möglicherweise nur Schatten auf dem Rand einer größeren, fünfdimensionalen Raumzeit.“5
Im Jahr 2013 konnte ein japanisches Forscherteam genau dieses holografische Prinzip mathematisch stützen.
Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse in der Onlineausgabe der Wissenschaftsplattform nature. Unter der Überschrift „Simulation unterstützt die Theorie, dass das Universum ein Hologramm ist“ schreibt nature:6
„Bei einem Schwarzen Loch stößt Albert Einsteins Gravitationstheorie offensichtlich mit der Quantenphysik zusammen, aber dieser Konflikt könnte gelöst werden, wenn das Universum eine holografische Projektion wäre. Ein Team von Physikern hat einige der klarsten Beweise dafür gegeben, dass unser Universum nur eine große Projektion sein könnte.“
Sollte sich das in weiteren Untersuchungen bestätigen, müssten wir begreifen, dass unsere Dreidimensionalität nur Illusion ist.
Wir wären dann lediglich zweidimensionale Informationen – Projektionen auf dem Ereignishorizont unseres Universums.
Doch bevor Sie jetzt entsetzt den letzten Satz für sich zu interpretieren versuchen, sollten wir uns zunächst einen Überblick über die Theorie des holografischen Universums verschaffen und schauen, wie es dazu kam.
Die Idee hierzu hatte ihren Ursprung in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts.
Damals beschäftigte sich Stephen Hawking mit der Theorie der Schwarzen Löcher.
Schwarze Löcher sind die denkbar schlimmsten Monster in unserem Universum.
Kommen Sie in ihre Nähe, werden Sie immer stärker angezogen.
Verpassen Sie es durchzustarten und geraten Sie unter ihren Ereignishorizont, werden Sie unweigerlich hineingezogen.
Zunächst wirkt die enorme Schwerkraft wie eine Streckbank des Mittelalters. Sie werden auseinandergezogen, je weiter Sie dem Mittelpunkt entgegenfliegen, dann regelrecht zerfetzt.
Zum Schluss werden Ihre Atome auf einen einzigen Punkt zusammengedrückt.
Sie müssen jetzt nicht verzweifeln.
Ich versichere Ihnen, dass Sie keinen Schaden erleiden werden, weil Sie nach heutiger Erkenntnis in Ihrem Leben kein Schwarzes Loch erreichen können.
Bei seinen Berechnungen zu Schwarzen Löchern fand Stephen Hawking die sogenannte „Hawking-Strahlung“.
Diese wird von einem Schwarzen Loch abgegeben, enthält aber keinerlei Informationen.
Das steht jedoch im Widerspruch zu dem physikalischen Erhaltungssatz, dass Information nicht verloren gehen kann, analog zum Energieerhaltungssatz.
Also fragten sich die Physiker damals, was passiert mit der Information der ursprünglichen Massen, die in