Das edle Herz. Karmapa Dorje Ogyen Trinley

Das edle Herz - Karmapa Dorje Ogyen Trinley


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Tages landete der Adler in der Nähe eines ausgelegten Giftes. Jeder Kopf versuchte, den anderen zu verführen, den vergifteten Happen zu verspeisen, indem er ihm erzählte, wie wohlschmeckend diese Speise sei und dass er ihm den Vortritt lasse. Schließlich verschlang einer der beiden Köpfe – ich vermute, es war der weniger überzeugende der beiden – den vergifteten Happen. Doch so gelangte das Gift in den Körper, den sie beide miteinander teilten. Sie hatten sich beide so sehr auf ihre eigenen Ziele und ihren Hass aufeinander konzentriert und dabei vergessen, dass sie einen gemeinsamen Körper hatten.

      Genau das passiert, wenn wir nur mit uns selbst beschäftigt sind. Am Ende schaden wir uns selbst. Um ein sinnvolles Leben zu führen, müssen wir es als Teil eines größeren Ganzen betrachten. Wenn wir die Realität unserer engen wechselseitigen Abhängigkeit in dieser Welt als gegeben akzeptieren, können wir vernünftigerweise davon sprechen, dass wir alle ein Leben miteinander teilen. Wir haben viele Köpfe, aber nur einen Körper.

      Die zweite Geschichte handelt von einem Haus, in dem ein Feuer ausbricht, während sich die ganze Familie in dem Gebäude aufhält. Eines der Familienmitglieder gerät in Panik und sucht nach dem kürzesten Weg hinaus. Sein erster Gedanke ist, sich selbst zu retten, und er schafft es, bis zur Tür zu kommen. Doch als er mit einem Bein bereits die Türschwelle überschritten hat, erinnert er sich an seine Familie. Er zieht seinen Fuß zurück und rennt zurück ins Haus in dem Bewusstsein, die gleiche Sicherheit, die er für sich selbst sucht, für alle Familienmitglieder zu wollen. In diesem Bruchteil einer Sekunde, in dem er mit einem Bein bereits der Gefahr entronnen und mit dem anderen noch in ihr steht, entscheidet er sich dafür, die anderen retten zu wollen.

      Auf ähnliche Weise sollten wir handeln. Der Fuß, der den Schritt nach vorn unternimmt, zeigt uns, was wir für uns selbst wollen. Der Fuß, der stehen bleibt, sagt uns, dass andere das Gleiche für sich erstreben. Wir müssen die Bedingungen dafür schaffen, mit beiden Füßen auf dem Boden zu stehen. Unser Eigeninteresse zeigt uns, was wir für uns selbst brauchen, und unsere Aufmerksamkeit für andere sorgt dafür, dass wir anderen die gleichen Interessen zugestehen. Wir sollten uns weder für andere gänzlich aufopfern oder aufgeben, noch sollten wir um unser eigenes Wohlergehen willen andere übersehen. Das ist das richtige Gleichgewicht.

      Sinnvoller Lebensunterhalt

      Ein klares Verständnis des Gleichgewichts, das das Leben sinnvoll macht, ermöglicht die Wahl eines geeigneten Lebensunterhalts und dessen Einbindung in das restliche Leben.

      Dabei ist es nicht entscheidend, welchen Beruf oder welche Tätigkeit man ausübt. So ist es mein Job, der Karmapa zu sein, und das ist ein ziemlich harter Job – schwer auszuüben und noch schwerer zu beschreiben. Wie könnte ich meine Arbeit in der Zeile für »Tätigkeit« in einem Pass beschreiben? Gebete-Rezitierender? Das wäre eine zu enge Beschreibung. Bäumepflanzer? Das hört sich seltsam an. Koch? Ich kann nicht kochen. Das fällt also weg. Ich glaube, ich bin vieles und nichts, aber der Punkt ist nicht, was man tut, sondern wie man es tut.

      Welcher Arbeit auch immer Sie nachgehen, Sie sollten regelmäßig dafür sorgen, auch einfach mal nur da zu sein. Selbst wenn es nur für einen Moment am Tag möglich ist, ist es wichtig, in diesem Moment ganz bei sich zu sein. Das kann durch eine kurze Meditation oder eine stille Reflektion, morgens oder abends, geschehen. Wie auch immer es am besten passt, es ist wichtig, sich immer wieder mit sich selbst zu verbinden. Sonst rennen Sie den ganzen Tag nur geschäftig herum und verlieren sich schließlich selbst. Um sich dagegen zu wappnen, sollten Sie immer wieder zu sich selbst zurückkehren und bedenken, was Ihnen wirklich wichtig ist.

      Es kann entmenschlichend sein, sich das eigene Leben von der Arbeit diktieren zu lassen. Einige Bekannte von mir arbeiten in Fabriken. Sie müssen sich mit den Maschinen gleichschalten. So werden sie quasi selbst zu Robotern. Auch in anderen Jobs passen Menschen ihren Lebensrhythmus dem Rhythmus ihrer jeweiligen Arbeit an. Dies kann sehr leidvoll sein. Es zeigt, wie gefährlich es ist, wenn wir Teil eines ökonomischen Systems werden, das Menschen wie Maschinen behandelt.

      Solche Beispiele lassen es attraktiv erscheinen, aus dem ganzen System auszusteigen und nach Alternativen zu suchen. Doch für diejenigen von uns, die den Wunsch hegen, ein bestimmtes System zum Positiven zu verändern, oder dazu beitragen wollen, unsere Welt zum Besseren zu gestalten, gibt es weitere Faktoren zu bedenken. Es mag Ausnahmen geben, doch oft bedeutet der Ausstieg aus einem System nur, davor wegzurennen – selbst wenn wir das Aussteigen mit der Vorstellung verknüpfen, das System von außen bekämpfen zu wollen. Es ist so, als rangierte man einen Gegenstand, den man nicht mag, aus, anstatt ihn zu reparieren oder ihm eine neue Funktion zu geben. So gibt es Menschen, die ein System nach dem anderen verlassen und nichts als einen Fluchtplan hinterlassen. Das ist kein effektiver Weg, ein System zu reformieren. Auch wenn es schwierig ist: Wir können mehr erreichen, wenn wir innerhalb des Systems Veränderung anstreben.

      Wahre Werte

      Ich möchte unterstreichen, dass es, unabhängig davon, ob Sie innerhalb oder außerhalb eines Systems einer Aufgabe nachgehen, ein Fehler ist, die eigene Identität an die Arbeit zu binden. Kein Job kann Ihre Identität definieren. Sie sind so viel mehr als die Arbeit, die Sie tun. Egal, wie viele Stunden Sie täglich am Arbeitsplatz verbringen, es ist weder der einzige noch der wichtigste Teil Ihres Lebens. Es kann höchstens eine Komponente des weiten Netzes sein, das Ihr Leben umspannt.

      Wir sollten dies besonders unter den derzeitigen ökonomischen Bedingungen im Blick behalten. Wenn Menschen heutzutage ihre Arbeit verlieren und nicht sofort eine neue finden, leiden sie oft unter den emotionalen Begleiterscheinungen der Arbeitslosigkeit mehr als unter dem Einkommensverlust. Wenn die Arbeit ein emotionales Leck in einem stopft, kann Arbeitslosigkeit besonders leidvoll erfahren werden. Dieser leidvollen Erfahrung können Sie entgegenwirken, wenn Sie sich bewusst machen, woher Ihr Glück wirklich kommt. Trotz unserer Intelligenz verfallen wir immer wieder in die alte Gewohnheit, das Glück in äußeren Dingen und Umständen zu suchen. Und doch sind Sie in der Lage, in jedem Moment und unter allen Umständen Ihre Weisheit wachzurufen und Ihre Aufmerksamkeit von äußeren Bedingungen auf die unerschöpflichen Quellen Ihrer inneren Güte zu richten. Sie kann Ihnen niemals verloren gehen.

      Wir freuen uns oft über den Zuwachs an materiellem Besitz. Warum sollten wir nicht in der Lage sein, uns noch mehr über den Zuwachs an innerem Reichtum zu freuen? Dies zählt viel mehr. Unsere persönlichen Qualitäten können uns glücklich machen. Wir müssen uns ihnen einfach nur zuwenden.

      Ein einziger Moment der liebevollen Sorge für andere kann uns zufriedener machen als jedes Geld der Welt. Unsere persönlichen Qualitäten können eine reiche Quelle der Freude für uns sein. Schon ein einziger altruistischer Gedanke vermag die Quelle tiefen Glücks zu sein. Wir können so viele Quellen des Glücks in der Fülle unseres eigenen Geistes finden.

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