Der Gaslight-Effekt. Robin Stern

Der Gaslight-Effekt - Robin Stern


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Ihre Kinder versuchen, Sie vor Ihrem Partner zu schützen.

      19. Sie sind plötzlich wütend auf Leute, mit denen Sie immer gut ausgekommen sind.

      20. Sie sind verzweifelt und deprimiert.

      Als Therapeutin betreibe ich seit 20 Jahren eine Privatpraxis. Außerdem bin ich in der Lehre tätig, coache Führungskräfte, arbeite als Beraterin und bin Mitglied des Woodhull Institute for Ethical Leadership. Dort entwickle ich Förderprogramme für Frauen jeden Alters. In allen Bereichen treffe ich ständig Frauen, die stark, klug und erfolgreich sind. Aber immer wieder die gleiche Geschichte: Irgendwie steckten viele dieser selbstbewussten, leistungsorientierten Frauen in zermürbenden und destruktiven Beziehungen fest. Kollegen und Freunde fanden sie tüchtig, doch sie hielten sich irgendwann für inkompetent – sie trauten ihren Fähigkeiten und ihrer eigenen Wahrnehmung nicht mehr.

      Diese Geschichten hatten etwas unangenehm Vertrautes. Nach und nach merkte ich, dass sie mich nicht nur beruflich betrafen. Sie waren auch das Echo von Erfahrungen, die meine Freundinnen und ich gemacht hatten. Dabei ging es immer um die Beziehung einer anscheinend starken Frau zu einem anderen Menschen, ob Partner, Ehemann, Freundin, Kollege, Chef oder Familienmitglied. Der oder die andere brachte sie dazu, ihren Sinn für die Realität infrage zu stellen. Und das ängstigte, verwirrte und deprimierte die Frauen. Diese Beziehungen waren umso auffälliger, als die Frauen ihr Leben eigentlich im Griff zu haben schienen. Aber immer gab es da einen bestimmten Menschen – Partner, Chef oder Verwandten –, dessen Anerkennung sie zu erlangen versuchten, auch wenn er sie schlecht und schlechter behandelte. Irgendwann fand ich eine passende Bezeichnung für diesen schmerzlichen Zustand: Gaslight-Effekt, nach dem Film Das Haus der Lady Alquist, der im Original Gaslight heißt.

      In dem Filmklassiker von 1944 geht es um Paula, eine junge Opernsängerin (gespielt von Ingrid Bergmann). Sie heiratet Gregory, einen charismatischen, geheimnisvollen älteren Mann (gespielt von Charles Boyer). Ohne dass Paula es merkt, versucht ihr Ehemann, sie in den Wahnsinn zu treiben, damit er an ihr Erbe kommt. Ständig redet er ihr ein, sie sei krank und schwach. Er verändert Dinge im Haushalt und gibt ihr die Schuld daran. Besonders hinterhältig ist, dass er die Gaszufuhr manipuliert, woraufhin das Gaslicht ohne erkennbaren Grund flackert. Unter dem Bann dieses teuflischen Plans glaubt Paula allmählich, sie sei verrückt. Aus Verwirrung und Angst reagiert sie hysterisch und wird damit genau zu der zerbrechlichen und orientierungslosen Person, die sie laut ihres Mannes ist. Eine tückische Abwärtsspirale: Je stärker sie an sich zweifelt, desto verwirrter und hysterischer wird sie. Sie will unbedingt, dass ihr Mann ihr glaubt und ihr sagt, dass er sie liebt. Doch er weigert sich und beharrt darauf, sie sei wahnsinnig. Sie erlangt ihre Durchsetzungskraft erst wieder, als ein Inspector von Scotland Yard ihr versichert, dass auch er das Flackern des Gaslichts sieht.

      Wie der Film zeigt, sind beim Gaslighting immer zwei Personen involviert. Gregory muss Paula verführen, um Macht und Kontrolle über sie zu haben. Aber Paula will auch verführt werden. Sie verklärt diesen starken, gut aussehenden Mann, und sie versucht krampfhaft zu glauben, er werde sie umsorgen und beschützen. Anfangs will sie seine Bosheit nicht wahrhaben. Sie will lieber das romantische Bild des perfekten Ehemanns behalten. Ihre Unsicherheit und ihr Wunsch, ihn zu verklären, sind der perfekte Nährboden für seine Manipulationen.

      Im Film ist der Gaslighter auf etwas Konkretes aus. Er will seine Frau bewusst in den Wahnsinn treiben, weil er an ihr Erbe kommen will. Im echten Leben ist kaum ein Gaslighter so diabolisch – obwohl die Folgen seines Verhaltens wirklich schlimm sein können. Aus seiner Sicht geht es jedoch nur darum, sich zu schützen. Ein Gaslighter hat eine solch schadhafte Wahrnehmung seiner selbst, dass er es nicht ertragen kann, wenn man seine Sichtweise infrage stellt. Wie auch immer er die Welt sieht, so müssen auch andere sie sehen – sonst ist er das Opfer unerträglicher Ängste.

      Stellen Sie sich vor, Sie lächeln einen anderen auf einer Party an, und dem Gaslighter an Ihrer Seite behagt das nicht. Ein Mann, der nichts mit Gaslighting am Hut hat, würde vielleicht sagen: »Ich bin halt schnell eifersüchtig« oder »Ich weiß, dass du nichts gemacht hast, Liebling, aber ich flippe aus, wenn ich sehe, dass du mit anderen Kerlen flirtest«. Er ist bereit, wenigstens in Betracht zu ziehen, dass sein Unbehagen von der Situation oder seiner eigenen Unsicherheit herrührt. Selbst wenn Sie geflirtet hätten – hemmungslos geflirtet hätten –, könnte ein Nicht-Gaslighter vermutlich erkennen, dass Sie ihn mit Ihrem Verhalten, so anstößig er es auch finden mag, nicht verletzen wollten, auch wenn er Sie vielleicht bitten wird, damit aufzuhören.

      Der Gaslighter dagegen wird nie auf die Idee kommen, dass seine Eifersucht, Unsicherheit und Paranoia eine Rolle spielen könnten. Er hält an seiner eigenen Erklärung fest: Er muss darunter leiden, dass Sie einem anderen schöne Augen machen. Es reicht ihm nicht, das erkannt zu haben. Er muss Sie auch dazu bringen, ihm zuzustimmen. Tun Sie das nicht, müssen Sie stundenlang Wut, Kälte, verletzte Gefühle oder auch scheinbar berechtigte Kritik ertragen (»Warum kannst du denn nicht sehen, wie sehr du mich verletzt? Sind dir meine Gefühle etwa total egal?«)

      Dennoch bedarf es beim Gaslighting immer eines willigen Opfers. Gebraucht wird jemand, der den Gaslighter verklärt und verzweifelt um seine Anerkennung ringt. Sollten Sie für Gaslighting nicht anfällig sein, tun Sie die Kritik Ihres eifersüchtigen Freundes vermutlich achselzuckend und lachend ab, wenn er Ihnen fälschlicherweise vorwirft, ständig zu flirten. Aber was, wenn Sie es nicht ertragen, dass er Sie in einem so schlechten Licht sieht? Dann fangen Sie vielleicht an, sich zu rechtfertigen, um ihn dazu zu bringen, seine Meinung zu ändern. (»Ich habe nicht geflirtet, Schatz. Das war ein ganz neutrales Lächeln.«) So sehr der Gaslighter will, dass seine Freundin sich entschuldigt, so sehr bemüht sie sich um seine Anerkennung. Irgendwann ist sie vielleicht zu allem bereit, um es ihrem Freund recht zu machen – und akzeptiert dann sogar seine negative, kritische Haltung ihr gegenüber.

      Gaslighting entwickelt sich oft schrittweise. Anfangs ist es meist relativ harmlos – vielleicht bemerkt man es nicht einmal. Angenommen, Ihr Freund wirft Ihnen vor, Sie lassen ihn absichtlich schlecht dastehen, weil Sie zu spät zum Empfang seines Arbeitgebers kommen. Dann führen Sie das auf seine Nervosität zurück oder nehmen an, er meine es nicht ernst. Vielleicht fragen Sie sich auch wirklich, ob Sie versucht haben, ihn schlecht dastehen zu lassen. Aber dabei belassen Sie es.

      Irgendwann aber nimmt das Gaslighting einen größeren Raum in Ihrem Leben ein. Es beschäftigt Sie gedanklich und bestimmt Ihre Gefühle. Schließlich stecken Sie in einer tiefen Depression und sind unfähig, sich an den Menschen zu erinnern, der Sie einst waren und der eigene Standpunkte und Ansichten hatte.

      Natürlich müssen Sie nicht zwangsweise alle drei Phasen durchlaufen. Aber viele Frauen erleben das Gaslighting als eine Abwärtsspirale.

       Phase 1: Unglaube

      In dieser ersten Phase will man es nicht wahrhaben. Der Gaslighter sagt etwas Ungeheuerliches: »Dieser Typ, der nach dem Weg gefragt hat, wollte dich nur ins Bett kriegen!« Sie trauen Ihren Ohren nicht. Haben Sie ihn falsch verstanden? Oder vielleicht er Sie? Oder hat er nur einen Witz gemacht? Die Bemerkung ist so lächerlich, dass Sie sie vielleicht einfach ignorieren. Oder aber Sie versuchen, den Fehler richtigzustellen, aber ohne großen Elan. Oder Sie verwickeln sich in einen langen Streit, sind sich aber Ihres eigenen Standpunkts nach wie vor sicher. Obwohl Sie gern hätten, dass der Gaslighter Ihnen zustimmt, sehnen Sie sich noch nicht verzweifelt danach.

      Katie befindet sich wochenlang in dieser Phase. Sie versucht immer wieder, ihren Freund davon zu überzeugen, dass er falschliegt mit seinem Urteil über sie und andere, dass sie mit niemandem flirtet und niemand mit ihr flirtet. Manchmal hat Katie das Gefühl, ihn fast so weit zu haben, sie zu verstehen – aber so richtig tut er es nie. Sie macht sich Sorgen: War er es? War sie es? Er kann so lieb sein, wenn alles gut läuft. Warum ist er dann manchmal so komisch? Sie sehen, dass diese relativ leichte Form des Gaslightings verwirren, frustrieren und verunsichern kann.

       Phase 2: Abwehr

      In der zweiten Phase überwiegt das Bedürfnis, sich zu verteidigen.


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