Achtsame Spiele. Susan Kaiser Greenland

Achtsame Spiele - Susan Kaiser Greenland


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ihr jemanden missverstanden habt, weil ihr nicht alle Informationen hattet. Erzählt eine Geschichte über eine Situation, in der jemand euch missverstanden hat, weil er oder sie nicht die ganze Geschichte kannte.

      TIPPS

      1. Wandeln Sie Das große Bild für jüngere Kinder etwas ab, indem Sie ein großes Kuscheltier in einiger Entfernung vor sie hinsetzen. Lassen Sie sie dann raten, um was für ein Tier es sich handelt, indem sie die Augen schließen und nur einen Teil des Kuscheltiers berühren (ein Bein, ein Ohr, den runden Bauch). Wenn Sie vermuten, dass es den Kindern in der Aufregung schwerfallen wird, die Augen geschlossen zu halten, können sie eine Augenbinde verwenden (wie in dem Spiel „Dem Esel den Schwanz anheften“).

      Natürlich ist es schwer zu erraten, was man gerade berührt, wenn man das größere Bild nicht sehen kann. Was aber, wenn die Kinder zwar das größere Bild sehen können, sich aber nicht einig sind, was es ist? Muss das eine Kind Recht und das andere Unrecht haben? Oder ist es möglich, dass manche Dinge mehrere Dinge gleichzeitig sind? Das finden die Kinder in dem Spiel Ente oder Kaninchen? heraus, einem Spiel, das auf einer berühmten optischen Illusion basiert, die man entweder als Ente oder Kaninchen deuten kann, nicht aber als beides gleichzeitig. Diese mehrdeutige Zeichnung wurde erstmals Anfang des 20. Jahrhunderts von dem amerikanischen Psychologen Joseph Jastrow verwendet. In philosophischen Kreisen ist sie durch die Arbeit des österreichisch-britischen Philosophen Ludwig Wittgenstein weithin bekannt. Für das folgende Spiel können Sie die Enten-/ Kaninchenzeichnung verwenden, die im Anhang abgedruckt ist.

      Ente oder Kaninchen?

      Wir betrachten eine Zeichnung, die sowohl wie eine Ente als auch wie ein Kaninchen aussieht, um besser zu verstehen, wie einige Dinge mehr als nur eine Sache sein können.

LEBENSKOMPETENZEN:ZIELALTER:
Wahrnehmen, umdeutenJedes Alter

      GESPRÄCHSANLEITUNG

      1. Lasst uns gemeinsam die Zeichnung betrachten.

      Zeigen Sie allen die Illustration.

      2. Ist es eine Ente oder ein Kaninchen?

      Warten Sie auf die Antworten der Kinder und äußern Sie dann ebenfalls Ihre Vermutung. (Falls entweder die Ente oder das Kaninchen von niemandem gewählt wurde, wählen Sie dieses Tier und erklären Sie den Kindern, wie man auch dieses Tier in der Zeichnung sehen kann.)

      3. Schaut noch einmal hin und seht, ob es für euch jetzt anders aussieht. Was denkt ihr? Ist es eine Ente oder ein Kaninchen?

      4. Wer hat Recht, wer hat Unrecht?

      5. Lasst uns die Zeichnung noch einmal betrachten. Wie sieht sie jetzt aus? Habt ihr eure Meinung geändert?

      6. Gesprächsthemen: Denkt ihr, dass die Zeichnung in Wirklichkeit entweder eine Ente oder ein Kaninchen sein soll? Könnte sie auch beides sein?

      TIPPS

      1. Amy Krouse Rosenthal und Tom Lichtenheld haben ein originelles Bilderbuch herausgegeben, das auf der Enten-/Kaninchenzeichnung basiert. Sie können es mit den Kindern anschauen und so das Gespräch über diese Themen noch erweitern.

      Das folgende Spiel, bei dem die Kinder mit Handzeichen auf Fragen antworten, zeigt, dass Komplexität und Widerspruch überall existieren, sogar bei den alltäglichsten Vorkommnissen.

      Die kleine Fingeranzeige

      Wir zeigen mit dem kleinen Finger nach oben, nach unten oder zur Seite, um auf diese Weise besser wahrzunehmen, wie wir uns fühlen, und dies anderen mitzuteilen.

LEBENSKOMPETENZEN:ZIELALTER:
Wahrnehmen, umdeutenJedes Alter

      SPIELANLEITUNG

      1. Wir können viele verschiedene Gefühle haben – manchmal sind wir glücklich, manchmal traurig, manchmal müde, manchmal aufgeregt – und all diese sind ganz normale Gefühle. Es gibt keine richtigen oder falschen Gefühle und unsere Gefühle ändern sich. Wir fühlen uns vermutlich jetzt anders, als wir es heute Morgen taten, und später am Tag werden wir uns anders fühlen, als wir es jetzt tun. Manchmal fühlen wir uns genauso wie jemand anderes und manchmal fühlen wir uns anders – und beides ist in Ordnung.

      2. Nehmt einen Atemzug, und nehmt wahr, wie ihr euch im Augenblick fühlt.

      3. Ich stelle eine Frage, und ihr alle gebt eure Antwort zur gleichen Zeit, indem ihr sie mit dem kleinen Finger anzeigt, wenn ich „1–2- 3-los“ sage.

      4. Die Frage lautet: „Ist es jetzt gerade einfach oder schwierig, still zu sitzen?“ Wenn es einfach ist, zeigt mit dem kleinen Finger zum Boden; wenn es schwierig ist, zeigt mit dem kleinen Finger zum Himmel; und wenn es irgendetwas dazwischen ist, zeigt mit dem kleinen Finger zur Seite. 1–2-3-los.

      5. Behaltet den kleinen Finger noch in der Luft, damit wir alle sehen können, wie jeder von euch sich im Augenblick fühlt. Erinnert euch daran, dass es keine richtige oder falsche Antwort gibt. Interessant!

      Stellen Sie weitere Fragen, solange die Kinder bei der Sache sind.

      TIPPS

      1. Die kleine Fingeranzeige ist eine vergnügliche und effiziente Art, logistische Fragen zu klären („Wer möchte eine Pause machen?“), aber meistens nutzen wir sie, um herauszufinden, wie die Kinder sich im Moment fühlen. Mögliche Fragen sind hier: „Habt ihr viel Energie oder seid ihr müde? Fühlt ihr euch ruhig oder aufgeregt? Fühlt ihr euch entspannt oder angespannt?“

      2. Wenn die Kinder den kleinen Finger in die Luft halten und sich umschauen, sehen sie, wie die anderen die gleiche Frage beantwortet haben. Es wird verschiedene Antworten geben, und für einige Kinder ist es ein wahrer Augenöffner, wenn sie erfahren, dass nicht alle ihrer Meinung sind. Andererseits tut es Kindern, die sich nicht zur Gruppe zugehörig fühlen, oft gut, wenn sie sehen, dass andere eine Frage genauso beantworten wie sie selbst.

      3. Um die positive oder negative Assoziation mit bestimmten Handgesten zu verringern, ändern Sie die Bedeutung des nach oben, unten oder zur Seite zeigenden kleinen Fingers. Wenn der kleine Finger nach oben „schwierig, still zu sitzen“ bedeutet, ändern Sie die Richtung, so dass in der nächsten Runde der kleine Finger nach oben „einfach, still zu sitzen“ bedeutet. Dieses untergräbt die reflexhaften Urteile, die häufig mit den Antworten einhergehen (beispielsweise: Ärger ist schlecht, Dankbarkeit ist gut) und schafft ein Umfeld, in dem die Kinder mit einem offenen Geist beobachten können, was in ihrer inneren und äußeren Welt vor sich geht.

      4. Gelegentlich schreckt der Name Die kleine Fingeranzeige ältere Kinder und Jugendliche ab. Sie können das Spiel in diesem Fall stattdessen auch Das Daumen-Spiel nennen und die Kinder bitten, die Fragen mit dem Daumen nach oben, dem Daumen nach unten oder dem Daumen zur Seite zu beantworten.

      Der Geist ist voller vielfältiger und mitunter widersprüchlicher Gedanken, Gefühle und Überzeugungen. In dem Bemühen, das, was in ihnen und um sie herum vor sich geht, zu verstehen und zu lenken, kann es allerdings passieren, dass die Kinder ihre Erfahrungen allzu sehr vereinfachen. Kinder (und Eltern) neigen dazu, Aspekte ihrer inneren Welt in Schubladen zu stecken, indem sie sie als schwarz oder weiß, gut oder schlecht, richtig oder falsch, Ente oder Kaninchen bezeichnen. Und das, was in ihrer Umgebung geschieht, kategorisieren sie oft gleichermaßen. Aber das Leben ist viel zu komplex für diese Art des binären Denkens, und im Allgemeinen passen unsere Lebenserfahrungen nicht in solch klare Kategorien. Mittels der Lebenskompetenzen wahrnehmen und umdeuten lernen die Kinder und Jugendlichen, keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen und nicht reflexhaft zu urteilen. Stattdessen lernen sie, mit einem offenen Geist eine Erfahrung als das Wunder, das sie ist, und in ihrer ganzen Komplexität zu sehen. F. Scott Fitzgerald charakterisiert geistige Offenheit in einem bekannten Spruch: „Die wahre Prüfung einer erstklassigen Intelligenz ist die Fähigkeit, zwei gegensätzliche Ideen im Kopf zu behalten und weiter zu funktionieren.“

      Achtsamkeit und Meditation helfen den Kindern, genau das zu lernen.


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