Schweiß, Schlamm und Endorphine. Iris Hadbawnik
align="left">World’s Toughest Mudder, 100 Meilen 24h, OCR (USA), Finisher
RAUS AUS DER KOMFORTZONE
In der heutigen Zeit leben wir Menschen wie in einem künstlichen Kokon. Meist kommen wir gar nicht mehr in den Genuss, am eigenen Leib zu spüren, was Herausforderung, was Überwindung, was Natur wirklich bedeutet. Servolenkung, Fahrstühle und Klimaanlagen machen den Menschen bequem und lassen ihn in einer Komfortzone leben, die er nicht gern verlässt. Extremsportarten – und dabei insbesondere Extrem-Hindernisläufe – bilden den idealen (Aus-)Weg, um diese Komfortzone zu verlassen. Sie bringen uns dazu, unsere physischen sowie psychischen Grenzen zu erfahren und das Leben und nicht zuletzt uns selbst wieder intensiver zu spüren. Aber nicht nur das. Auch die Beantwortung der spannenden Frage: »Was ist mein Körper, aber auch mein Geist überhaupt zu leisten imstande, wenn ich etwas wirklich will?«, treibt mich immer wieder an.
Extrem-Hindernislauf oder Obstacle Course Racing (OCR) ist ein Thema, das mich nun seit mehr als 20 Jahren begleitet. Seit meinem ersten Jahr der Bundeswehrzeit ist es im Prinzip immer präsent. Ob als Teilnehmer beim Militärischen Fünfkampf, bei Militärischen Vielseitigkeitswettkämpfen und kommerziellen Extrem-Hindernisläufen oder als Trainer und Berater von Extrem-Hindernisläufen, bei dem es um die Planung oder den Ablauf eines Events geht. Dass die Faszination OCR in den letzten Jahren auch den deutschen Ausdauersportler ergriffen hat, finde ich persönlich im höchsten Maße spannend. Und obwohl das Thema in aller Munde zu sein scheint, sucht man bisher vergeblich nach deutscher Fachliteratur. Wie bereite ich mich auf einen Extrem-Hindernislauf vor? Welche Hindernisse erwarten mich, und wie kann ich diese effektiv überwinden? Was ist die für mich passende Ausrüstung? Wie kann ich mich mental auf ein Rennen einstimmen, und welche Ernährungsweise ist die optimale? Insbesondere durch meine Arbeit mit Schülern, aber auch mit zahlreichen erwachsenen Sportlern aus Vereinen und Fitnesscentern, die am Beginn ihrer Vorbereitung stehen, begann ich, zu begreifen, wie wichtig es ist, all dies zu hinterfragen. Die passenden Antworten dazu findet ihr in diesem Buch.
AROO!
Raffael Zeller, im Januar 2017
Militärische Vielseitigkeitswettkämpfe sind Wettbewerbe, die in einem realistisch dargestellten militärischen oder zivilen Szenario stattfinden. Es werden sowohl militärische, aber auch Erste-Hilfe-Fähigkeiten zu Land, Luft und Wasser abgeprüft. Zur möglichst realistischen Umsetzung kann der Veranstalter zusätzliche Personen (in der Regel Soldaten) einsetzen, um eine (Feind-)Lagedarstellung abzubilden. Bewusst realistische bis »chaotische« Szenarien sollen hierbei den Stresspegel der Wettkämpfer erhöhen. So müssen die militärischen Gruppen, bestehend aus mindestens zwei bis zehn Mann, soldatentypische oft infanteristische Aufgaben bewältigen. Im Einzelnen wird beispielsweise die Treffsicherheit beim Gefechtsschießen, Orientierung im Gelände, Schnelligkeit und Entschlusskraft bei der Auftragserfüllung sowie das zielstrebige Überwinden von Gelände- oder Gewässerhindernissen abverlangt.
Raffael Zeller feiert den 4. Platz beim Spartan Race 2015 in München.
Die Militärischen Vielseitigkeitswettkämpfe gehen meist über mehrere Tage. Sie können etwa in Form einer »Durchschlagübung« über mehrere Nächte ohne Schlaf aufgebaut sein, aber auch als Infiltrationsübung oder Patrouillen-Wettkampf, bei dem auf einer grob festgelegten Marschroute einzelne Stationen angelaufen werden müssen. Die Ausrichtung dieser Wettkämpfe ist überwiegend für aktive Soldaten und Reservisten bestimmt. Hierbei werden die militärischen Grundfertigkeiten jedes Einzelnen, aber auch von Gruppen überprüft und bewertet. Die Wettkampfausrichter, oft ein aktiver Militärverband oder ein Reservistenverband, vergeben nach einem Regelwerk Punkte bei der Erfüllung der einzelnen Aufgabenstellungen. Regierungen und Königshäuser verschiedener Länder stiften als Anreiz für das Erfüllen einzelner Wettkampfformate Abzeichen und Orden für die einzelnen Wettkämpfer.
SCHLAMM, BLUT, SCHWEISS UND TRÄNEN:
DER STOFF, AUS DEM DAS GLÜCK IST
Am Anfang war die Idee: – oder: Wie alles begann … Gehen wir zurück zu den Wurzeln: Was ist eigentlich ein Extrem-Hindernislauf? Woher kommt der Gedanke? Wer war der Vorreiter der kommerziellen Wettkämpfe, und inwieweit lässt sich das Konzept der Hindernisbahn historisch zurückverfolgen? Aber vor allem interessiert uns die Frage: Wieso fasziniert diese Art von Rennen so viele Menschen weltweit – und insbesondere in Deutschland?
»Mega!«
»Brutal!«
»Der absolute Hammer!«
Egal, wen man nach dem Zieleinlauf eines Extrem-Hindernislaufs befragt, alle Sportler haben eines gemeinsam: Sie alle sind an ihre eigenen Grenzen gegangen. Körperlich, aber auch mental. Je nach Härte des gefinishten Rennens durchlebten sie die tiefsten Urängste des Menschen: Höhe, Feuer, Stacheldraht, Eiswasser, Elektroschocks und Klaustrophobie. Die Qualen, die sie durchlitten haben, zeigen sich bereits in den Namen der Hindernisse. Sie heißen Everest, Body Bowling, Cliffhanger, Ice Channel, Electroshock Therapy, Birth Canal oder Fiery Holes. An ihnen erfuhren die Sportler Schmerzen, Kälte, Krämpfe, Leid und Verzweiflung mindestens ebenso intensiv wie Freude, Adrenalin, Mut, Selbstbewusstsein und Stolz.
Das Phänomen Extrem-Hindernislauf – auch Obstacle Course Race (OCR), Hindernislauf, Survival-Run, Mud Race, Mud Run (also: Matschrennen) oder Extrem-Crosslauf genannt – hat sich in den letzten Jahren wie ein Lauffeuer verbreitet. Seit der Premiere des ersten kommerziellen Rennens – dem Tough Guy Race, also dem Rennen für harte Kerle – im Januar 1987 in England, hat sich das Konzept dieser Erfolgsgeschichte unaufhaltsam in alle Welt ausgebreitet. Dabei wollte der ehemalige britische Soldat Billy Wilson, der in der Szene besser als Mr. Mouse bekannt ist, mit einem Charity-Event lediglich einen Gnadenhof für Pferde finanziell unterstützen.
Wilson, der zuvor Trainingscamps für die Grenadier Guards, ein Regiment der Britischen Armee, entworfen hatte und dem das normale Marathon-Laufen einfach zu langweilig geworden war, hatte die Idee, jene Art von Militärcamps auf den zivilen Bereich zu projizieren und im Rahmen eines Crosslaufs mit zunächst einfachen natürlichen Hindernissen anzubieten. Niemand konnte damals auch nur im Geringsten erahnen, welchen Hype er damit auslösen würde.
Allein an den Teilnehmerzahlen des Tough Guy lässt sich ablesen, wie diese Idee praktisch in Windeseile in der Ausdauerszene die Runde machte. Von anfänglich knapp 100 Läufern stieg die Zahl mit jeder Berichterstattung und mit jeder Verschärfung des Hindernisparcours sprunghaft an. Heute liegt das Teilnehmerlimit des Rennens bei 7.000 Läufern. Dabei gilt der Tough Guy bis heute als einer der schwierigsten Läufe der Welt und wurde bis vor wenigen Jahren als die inoffizielle Weltmeisterschaft unter den Extremläufen gehandelt. Auf einer Strecke von aktuell 15 Kilometern müssen mehr als 200 teils anspruchsvolle Hindernisse, mit einer Höhe von bis zu 20 Metern, überwunden werden. Da kann es auch schon mal vorkommen, dass man kurz nach dem Start eine Güllegrube passieren muss oder beim Tauchen im winterlichen Gewässer mit dem Kopf gegen eine Eisscholle knallt. Die Härte dieses Rennens belegt auch die Finisher-Quote, die derzeit bei rund 50 Prozent liegt. 2015 kamen bei 5.500 Startern lediglich 2.800 erfolgreich über die Ziellinie. Demnächst werden es noch weniger Finisher sein. Am 29. Januar 2017 wird der Tough Guy nämlich wohl leider zum letzten Mal stattfinden.
WIE KOMMT MAN AUF DIE IDEE, SICHEINER HERAUSFORDERUNG WIE DEM TOUGH GUY RACE ZUSTELLEN?
Im Falle von Sebastian Menck (Jg. 1995) war es purer Zufall. Der mittlerweile 21-Jährige ist seit über zwei Jahren in der OCR-Szene aktiv, lief äußerst erfolgreich verschiedene Wettkämpfe und hat sich für Anfang 2017 das Tough Guy Race als besonderes Ziel gesetzt:
»Den ersten Kontakt zum Trailrunning hatte