Einigen - der schönste Punkt der Welt. Arthur Maibach
verliess Kiburger Einigen, nicht aber den Dienst des Hauses Bubenberg, dem zu Ehren das Werk unternommen wurde, denn die Bubenberger hatten auch das Patronat von Worb. Immerhin mag er seine Arbeit noch in Einigen vollendet haben. Dass er den Tod Heinrichs von Bubenberg meldet, deutet darauf hin, dass die uns erhaltene Originalschrift erst nach 1464 ins Reine umgeschrieben wurde. Aus dem Umstand, dass auf Seite 106 der Feiertag Mariä Opferung noch fehlt, darf jedenfalls der Schluss gezogen werden, dass die Chronik vor 1466 verfasst wurde.5 Einigen ist mit der Strättliger Chronik sehr stark verbunden. Seien es die Sagen, die Geschichten rund um unsere Kirche, das Paradies oder die Wunderquelle. So erlaube ich mir, zur besseren Verständigung eine Zusammenfassung der Chronik, welche Herr Dr. Jakob Baechtold verfasste, in ungekürzter Fassung dem interessierten Leser weiterzugeben.
Es folge eine rasche Inhaltsübersicht der Stretlinger Chronik:
(I.) Zu den Zeiten des Papstes Alexander I. und des Kaisers Hadriuns Elius, als man zählte 121 Jahre nach Christo, lebte ein römischer König Ptolemäus, hochgelehrt in der Kunst der Mathematik und Astronomie. Auf der Jagd wollte er einst den Pfeil gegen einen Hirsch absenden, als zwischen den Hörnern desselben ein Kreuz erschien und ihm zurief, dass er den Herrn Christum selber verfolge. (Ursprung des Stretlinger Wappens.) Ptolemäus liess sich vom Papste taufen und erhielt den Namen Theodricus. Um der Christenverfolgung zu entgehen, schied er sich von der Heimat und all seinem Gut und kam zu einem Herzog von Burgund. Dieser behielt ihn bei sich. Durch blosses Handaufstrecken wehrte Theodricus einen zornigen Löwen. – Es erhob sich ein Krieg zwischen dem Herzog von Burgund und einem König von Frankreich, statt der Schlacht wurde ein Zweikampf angeordnet; Dietrich überwand schlafend seinen Gegner, dafür erhielt er die Tochter des Herzogs mit dem Namen Diemut und das Land Kleinburgund mit den Burgen um den Wendelsee, namentlich den goldenen Hof Spiez und die Gegend um Einigen, genannt das Paradies. An dem Orte, das da heisst zum goldenen Luft, erbaute er die Burg Stretlingen und wurde der Stammvater eines grossen Hauses. Sei Sohn war Albrecht von Stretlingen.
(II.) 218 Jahre nach der Geburt Christi zu den Zeiten des Papstes Calixt und des Kaisers Philippus Materno war ein Herr von Stretlingen mit dem Namen Berchtold. Damals war weit und breit im mindern Burgund noch kein Gotteshaus; zu göttlicher und St. Michaels Ehre baute derselbe auf seinem Schloss eine Kapelle. – Berchtolds Gemahlin Aureliana gebar einen Sohn Sigfried, der von einem bösen Geist besessen wurde. Deswegen verfiel der Vater in solche Ungeduld, dass er alle, die auf der Landstrasse vorüberwanderten, gefangen nahm, ob er darunter einen fände, der seinen Sohn befreien möchte. Es gelang ihm, einen frommen Priester zu greifen, der den Teufel austrieb. – Der geheilte Sigfried wollte über die hoch angeschwollene Kander reiten, da bat ihn ein Aussätziger, er möchte ihn auf sein Pferd nehmen und auch hinübersetzen. Als der Elende auf dem anderen Ufer abgestiegen war, verlangte er von dem Herrn flehentlich, dass er ihn küssen möchte. Jener tat es mit Widerstreben zur Ehre St. Michaels und erfuhr darauf, dass er Christum geküsst. Sigfrid hinterliess einen Sohn Caspar von Stretlingen, einen treuen Schirmer des Volkes, aber einen scharfen Richter gegen die Übeltäter. Er trug allezeit einen Strick an seinem Gürtel, um die Bösewichter auf frischer Tat zu hängen. – Einst als er des Morgens sein Schloss verliess, hörte er die Stimme des Erzengels St. Michael, der ihm befahl, den ersten Mann, der ihm begegnete, aufzuknüpfen. Das Schicksal traf den Stretlinger Schlossvogt selber, welcher gestand, dass er sein Amt missbraucht, seinem eigenen Herrn sogar nach dem Leben getrachtet hätte. – Auf ihn folgte der gute Wernhart von Stretlingen. Zu diesem kam einst im harten Winter der Teufel in Pilgergestalt; Werner lieh ihm seinen Mantel, damit er sich deckte, worauf sich der Böse mit dem Mantel davonmachte. Derselbe Herr Wernhart trat eine Wallfahrt an nach dem Berge Garganus, wo sich St. Michael erzeigt hatte. Beim Scheiden gab er seiner Hausfrau Susanna die Hälfte eines Rings und fünf Jahre Frist: wenn er nach dieser Zeit nicht zurück sei, möge sie einen anderen Gemahl nehmen. In Lamparten wurde er fünf Jahre lang gefangen gehalten. In derselben Nacht aber, da zu Hause Frau Susanna die Hochzeit mit einem anderen feiern wollte, erschien der Teufel im Gefängnis und trug Wernharten im Auftrag St. Michaels durch die Lüfte, setzte ihn in Stretlingen ab und liess ihm auch den geraubten Mantel zurück. Als Spielmann erschien der Totgeglaubte unter den Hochzeitgästen und gab sich durch den Ring, den er in ein Trinkgeschirr fallen liess, seiner Gemahlin zu erkennen.
(III.) Hernach war ein Herr Arnold von Stretlingen, der ausserhalb der Burg eine Leutkirche erbauen wollte. Der Platz, wo man zu graben anfing, wurde jede Nacht verschüttet. St. Michael aber wies den Bauleuten selbst die dazu geweihte Stelle samt einem Wunderbrunnen. Eine Stimme wurde gehört, hier sei ein Schatz, den niemand bezahlen möge, heilsam für alle Siechtümer des Leibes und der Seele. An diesem Orte wurde nun die Kirche zum Paradies (später Einigen genannt) gebaut. Der Bischof von Lausanne kam zur Einweihung, und Herr Arnold von Stretlingen stiftete einen reichen Kirchensatz mit Zehnten und Freiheiten. – Die Besitzungen der Kirche des Paradies wurden weitläufig ausgemarcht und die Privilegien des Kirchherrn daselbst bestimmt. Das geschah im Jahre 223. (Die erste Kirche wurde in der Mitte des siebten Jahrhunderts erbaut. Anmerkung des Verfassers.) – Die Kirchweihe vollbrachte St. Michael selbst und befahl dem Volk, sein Heiligtum (ein Stück von dem Mantel des Erzengels) aus dem Schloss Stretlingen nach dem Paradies in einer Prozession überzuführen. – Während der Einweihung störte ein vom Teufel Besessener die feierliche Handlung; der Bischof schloss denselben in den hohlen Fronaltar und trieb den Bösen aus. Löbliche Ermahnung an das Volk, das Heiligtum und namentlich die Kirchherren in Ehren zu halten. Herr Arnold verlieh diesen reiche Gaben und Privilegien. Bestätigung des Priesters Cuno als Kirchherr des Paradieses. Unter anderen Freiheiten wurde ihm erlaubt, ein Taubenhaus zu halten, Jagdhunde, Federspiel und alles, was zum Weidwerk gehört; ebenso solle ihm und sonst niemandem die Fischerei im Wendelsee gehören. Der Bischof erteilte allen Guttätern der Kirche Segen und Ablass. – Hierauf verfasste er alles, das da geschehen war, in eine Schrift, damit dieselbe durch den Papst bestätiget würde und schied von hinnen. Arnold gedachte selbst nach Rom zu ziehen, starb aber vorher im Jahre 315. Sein Sohn, ebenfalls Arnold geheissen, vollendete das Werk und fuhr zum Papst Silvester und erzählte von den grossen Zeichen, die in der Kirche des Paradieses geschehen waren. – Erstens, die wunderbare Heilung eines Lahmen durch St. Michael. – Zweitens, die Auferweckung eines Gehängten. – Drittens, heilsame Beschwörung einer Jungfrau, die den Bösen durch einen Trunk in sich aufgenommen. (Die Vergabungen an den Kirchherrn stets genau berechnet.) – Bestätigung der Engelweihe durch päpstliche Bullen, Verleihung von Ablass auf ewige Zeiten. Den Kilchherren des Paradieses wurde die Gewalt gegeben, den bösen Geist zu bannen; aus besonderer Gnade dürfen sie auch einen Kautzhut tragen, wie die Chorherren von Lausanne. Heimkehr und feierliche Verkündigung der erlangten Privilegien.
(IV.) Im Jahre 933 war ein Herr von Stretlingen mit dem Namen Rudolf, seine Frau hiess Berta. Beide führten ein Gott wohlgefälliges Leben. Rudolf wurde zum König von Burgund gewählt. Seine Tochter Adelheid vermählte sich mit Lothar, dem Sohne des Königs Hugo von Lamparten; nach Lothars Tode wurde sie dem König Otto zum Weibe gegeben und der Sohn dieser Ehe, ebenfalls Otto, stieg nachmals zur Würde eines Kaisers. Rudolf sah einst im Traume eine hohe Stadt mit zwölf Toren. Ein Priester legte das Gesicht als eine Mahnung aus, dass der König um den Wendelsee zwölf Töchterkirchen des Gotteshauses zum Paradies erbauen sollte. – Hierauf gründete Rudolf die zwölf Kirchen Frutigen, Leissigen, Aeschi, Wimmis, Uttigen, Thierachern, Scherzligen, Thun, Hilterfingen, Sigriswil, Amsoldingen und Spiez. Die beiden letzten wurden zu Stiften erhoben. Bei dem alten Turm von Spiez, den Attila erbaut hatte, legte der König eine Stadt an. Weil Rudolf aber die Mutterkirche zu vernachlässigen begann und die Töchter über Gebühr erhöhte, verhängte Gott ein grosses Siechtum über ihn und im Traum sah er sich vor den Richterstuhl des Allerhöchsten gestellt. Auf der Himmelswaage wurden seine guten und bösen Werke gegeneinander abgewogen; schon wollte der Teufel die letztere Schale herunterziehen, da drohte St. Michael, zu dem Rudolf seine Zuflucht genommen, dem Bösen mit dem Schwert, dass er zurückfuhr und die gute Schale stieg. Der König aber verwandelte seinen bösen Sinn, und an der nächsten Kirchweihe strömte über die Massen viel Volkes nach dem Paradies zu dem Kirchherren Lütold, Ablass der Sünden zu gewinnen. – Hier wurden der versammelten Menge drei Wunder, die Heilung eines Blinden, eines Kranken und eines Lahmen verkündigt. König Rudolf und Kaiserin Adelheid fuhren nach Rom, um der Mutterkirche vom Papst Leo VIII. neue Privilegien zu erwerben. – Der Papst bestätigte die englische Kirchweihe und den Ablass, erhöhte das