Einigen - der schönste Punkt der Welt. Arthur Maibach
eine Wachskerze der Mutter zu opfern. Rudolf und Berta aber starben bald nach dieser Zeit und wurden in Peterlingen begraben.
(V.) Hernach als man zählte 1123 lebte ein wahrhaftiger, andächtiger und keuscher Herr von Stretlingen, Burkart. – Ein Grosser des Landes gab ihm seine Tochter Sophia zur Ehe; allein sie wurde vor dem Beilager vom Teufel besessen und weigerte sich, dem Gottesdienste im Paradiese beizuwohnen. Mit Gewalt liess ihr Gemahl sie während eines heiligen Amtes in der Kirche festhalten; der Priester Diethelm band die Rasende mit der Stola, schloss sie in den Hochaltar und vollbrachte die Beschwörung. Aber am dritten Tag starb sie. In jener Zeit war in deutschen Landen eine grosse Pestilenz ausgebrochen, so dass in der Herrschaft Stretlingen kaum einer den andern begraben mochte. Da gelobten die zwölf Kirchen und alles Volk einen Kreuzgang nach dem Paradiese und schwuren, denselben jährlich zu wiederholen. Da hörte der grosse Tod auf. – Und auf der Kirchweihe wurden zwei Zeichen verkündet, die Heilung einer lahmen Frau und die eines siechen Mannes, dem St. Michael im Traume erschienen. Herr Burkart aber hatte mit Kaiser Friederich V. in Cremona zu verhandeln und zog von dort nach Rom zu Honorius III. und erlangte, dass durch eine öffentliche Steuer seiner Kirche, die während der Pestilenz schwer gelitten hatte, aufgeholfen und dadurch der Zulauf wieder vergrössert wurde.
(VI.) Unter Friederich I. war ein Stretlinger mit Namen Diebold 1156. Seine Frau hiess Anna. Durch Unterweisung des Teufels fing er an, ein wilder verkehrter Wüterich zu sein und ein Zerstörer der kirchlichen Freiheiten. Er zog auch die Hinterlassenschaft der verstorbenen Kirchherren wider göttliches und menschliches Recht an sich. An der Kirchweihe aber hielt ihm der neue Priester Dietrich in Gegenwart der ganzen Gemeinde sein Unrecht vor, strafte ihn mit kühnen Worten und wies ihn von der Kirche. Diebold kehrte wütend auf seine Burg zurück, aber am dritten Tag fuhr der Teufel in ihn und peinigte ihn auf den Tod. Als er durch den Kirchherrn wieder entledigt worden war, wollte er dennoch das geraubte Gut nicht herausgeben. Deshalb wurde er abermals besessen und starb ohne alle Vernunft, und seine Seele wurde den bösen Geistern übergeben, die trugen sie in das nahegelegene Moos, das deswegen das Höllmoos heisset. Dort liess sich die arme Seele mit grossem Klageruf hören und kam nicht eher zur Ruhe, bis der Kirche das Ihrige nebst anderen Gaben wieder erstattet wurde. Die Söhne Diebolds, Richard, Otto und Marquard von Stretlingen, schickten einen Boten zum Papste Alexander III. und erhielten neue Freiheiten und Heiltümer für das Paradies. Dafür sollten aber dreissig Messen gelesen und beim Höllmoos ein Bruderhaus gestiftet werden.
(VII.) Als man zählte 1194, zu Zeiten Heinrichs VI., herrschte Konrad von Stretlingen, ein grosser, gerader, grusssamer Mann. Seine Züchtigkeit zeigte sich namentlich an einer Kirchweihe beim Tanz, wo er die unziemliche Rede eines Gesellen ernst strafte. – Bei der selben Gelegenheit wurden in der Kirche zwei Zeichen vom Priester gemeldet, die Heilung zweier Kinder, von denen das eine blind gewesen, das andere in den Brunnen gefallen war. Konrad von Stretlingen ritt hernach nach Jerusalem und seiner Frau zu Liebe auch zu St. Katharinen Grab am Berg Sinai; auf der Rückfahrt erlangte er vom Papst Innocentius III. neue Freiheiten für seine Kirche in guten Bullen. Sein Kirchherr aber erhielt weitere reiche Gaben.
(VIII.) Ihm folgte 1213 Bernhard von Stretlingen, ein christlicher Herr. Seine Gemahlin hiess Adelheid. Bernhard nahm das Kreuz auf sich und fuhr nach Jerusalem, und dort wurde ihm als Heiltum ein Stück des Kreuzes Christi zu Teil. Darauf begab er sich zu dem hl. Vater Honorius IV., dass er ihm den Ablass der Sünden und die Steuer für seine Kirche aufs Neue bestätige, und offenbarte ihm drei Zeichen. – Das erste von einem unschuldig Gehängten, der durch die Hilfe St. Michaels vom Galgen fiel. – Zum anderen und dritten von der Heilung eines blinden Mädchens und der Auferweckung eines Ertrunkenen. Der Papst gewährte Bernhard dessen Bitte und der Gottesdienst im Paradiese blühte mehr als zuvor.
Hernach war ein anderer Herr zu Stretlingen, Anshelm, ein unsauberer, unkeuscher Mann. Seine Gemahlin Hedwig rief oft St. Michael an, dass er ihr in diesen Sachen behülflich wäre. – In einer Nacht beim Mondschein kehrte Herr Anshelm von einem Werk der Unkeuschheit heim, und wie ihn Frau Hedwig vom Fenster aus erblickte, fing sie an zu schreien, denn er war ganz schwarz und vom Teufel besessen. Als er am Morgen zur Kirche wollte, brüllte selbst das Vieh ob dem Anblick. Reuig beichtete er, da kam ihm seine frühere Gestalt wieder. – An der Kirchweihe wurde die Heilung eines Besessenen verkündigt. Herr Anshelm aber machte sich auf und erlangte von Papst Alexander V. Privilegien und Reliquien für das Paradies.
(IX.) Darauf war 1223 Wilhelm Herr zu Stretlingen, ein besonderer Gönner der Kirche und des Kirchherrn. Allein durch grosse zeitliche Güter fällt der Mensch oft von seiner Andacht ab; so ging es auch den glückseligen Umwohnern des Paradieses. – Die zwölf Kirchen wurden widerspenstig und erhoben sich gegen ihre Mutter, entrichteten die Abgaben nicht mehr; auch das umliegende Volk erhob sich, tötete den Priester des Paradieses, verbrannte Kirche und Beinhaus und verwüstete das Schloss Stretlingen. Sieben Jahre lang dauerte der Landeskrieg, da wurde Friede gemacht und die Untertanen des Paradieses versprachen eine neue Kirche zu bauen. Allein weil sie übel Wort hielten, strafte Gott mit Kröpfen, Höckern, der fallenden Sucht und anderen Siechtagen. Nach Erbauung der neuen Kirche kam der Bischof von Lausanne, dieselbe zu weihen. – Darauf erschien St. Michael allem Volk und verkündigte, dass er selbst die Weihung des Heiligtums zum andern Mal vorgenommen hätte. Der Kirchherr Rudolf hielt eine ernstliche Ansprache an das widerspenstige Volk. – Zugleich offenbarte er drei Zeichen, die Heilung einer lahmen, einer ertrunkenen und einer blinden Frau. Herr Wilhelm nahm mit dem römischen Kaiser Friederich an einem Kreuzzug teil und gelangte nach schmerzlichem Abschied über Lamparten nach Sizilien, wo sie sich einschifften und glücklich gegen die Heiden stritten. Das war im Jahr 1233. In Rom gewann er von Gregor IX. Bestätigung aller früheren Privilegien für die neue Kirche. Bei der nächsten Kirchweihe aber strömten wohl viertausend Menschen dahin und auch der Bischof von Lausanne erschien unter ihnen.
(X.) Im Jahr 1272 wurde Rudolf von Habsburg zu einem römischen König gewählt, in allem seinem Fürnehmen ein glückhaftiger Mann. Damals lebte der milde Herr Sigmund von Stretlingen und seine Frau Küngold. Er war gar sauber und keusch. Eine Frau, die den Willen ihres Herzens an ihn geworfen hatte, liess er durch seinen Knecht abweisen. Rudolf von Habsburg verlieh 1280 der Stadt Spiez das Recht, einen Wochenmarkt abzuhalten. – Auf der Kirchweihe wurden vier Wunder verkündigt. – Auf Unterweisung seines Kirchherrn Notker begab sich Herr Sigmund zu Papst Gregor X. nach Lugdanum und erhielt sämtliche Rechte, wie seine Vordern. (XI.) Hernach lebte Heinrich von Stretlingen, Herr zu Laubeck, dessen Gemahlin Elisabeth hiess. Er war ganz und gar ein Kind der Welt, das der christlichen Dinge wenig achtete. Zu der Kirchweihe des Paradieses lud er Edel und Unedel ein, veranstaltete dabei grosse Tänze und allerlei Spiels mit Singen, Springen, Kugelwerfen, Steinstossen, Essen, Trinken und anderen Sünden, daraus grosser Neid und Hass, Totschlag und Krieg entstand. Auf der Kirchweihe war man kaum des Lebens mehr sicher, so dass die umwohnenden Herren ihren Untertanen den Besuch derselben untersagten, und die zwölf Töchterkirchen ihre Wallfahrten nach dem Paradiese einstellten. In Thun aber errichtete man solchen Abbruchs wegen dem Erzengel Michael eine Kapelle; andere wandten sich nach Faulensee zu der Kapelle St. Columbans. So kam das Paradies zu Fall. Die Kirchherren zogen weg und traten in das Stift zu Amsoldingen, die Stretlinger verliessen ihre Stammburg und legten ihren Sitz nach Spiez. Die Bullen und Briefe der Kirche gingen verloren; Glockenhaus und Altäre stürzten ein. Der Einöde (einige) wegen wurde der Ort fortan zu Einigen genannt. Herr Heinrich schied darnach von dieser Zeit. Gott vergebe ihm seine Sünden! Er liess einen Sohn zurück, Rudolf von Salveswyl, der 1348 starb.
(XII.) Zum letzten war ein Herr von Stretlingen mit dem Namen Walter, ein friedsamer, guter Herr. Seine Hausfrau hiess Mechtild. Der trug ein betrübtes Herz über den Verfall des Paradieses und ritt deshalb zu dem hl. Vater Innocencius VI. nach Avignon und bat um Bestätigung der verloren gegangenen Privilegien für seine Kirche zu Einigen. Das alles bewilligte der Papst und spendete reichlich Ablass. Der Bischof von Lausanne verkündigte auf der nächsten Kirchweihe diese Freiheiten. Mit Walter aber starb das Geschlecht von Stretlingen aus; der letzte des Stammes, Herr Ulrich, war Kirchherr zu Spiez. Der Kirchensatz von Einigen kam darauf in die Hände meiner gnädigen Herren von Bubenberg, denen zu Ehren dieses deutsche Buch aus dem Latein aufgesetzt ist, damit sie wissen mögen, wie ihre Vordern sich gehalten. Der allmächtige Gott aber kann das Kirchlein zu Einigen wiederum gross machen und der hochgelobte St. Michael seine Wunder noch heut bei Tage da erzeigen!6