Doctor Who Monster-Edition 6: Roboter des Todes. Chris Boucher
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Der Doktor war fasziniert. In der Zelle, die er beobachtete, war die Flüssigkeit vollends abgelaufen. Die sechs Gestalten lagen auf dem Gitterboden und zappelten und zuckten, als wären sie eine einzige Person. Dabei klappten sie den Mund auf und zu wie eine Handvoll gestrandete Fische. Er glaubte, von irgendwo unter dem Gerüst das Geräusch von Pumpen zu hören, und kam zu dem Schluss, dass er hier eine Art medizinische Einrichtung oder irgendeinen industriellen Prozess vor sich hatte. Möglicherweise beides gleichzeitig.
Er beugte sich vor und presste die Stirn gegen das Guckloch, um den Boden der Kammer besser erkennen zu können. Er spürte das sanfte Klicken, als die Front der Kammer sich leicht öffnete und beiseiteglitt. Rasch trat er zurück und blickte sich um. Überall in dem riesigen Kuppelbau, auf allen Stockwerken, öffneten sich die Kammern. Sofort stieg ihm ein schwacher beißender Geruch in die Nase, der ihn an heißes Meerwasser und verrottenden Seetang erinnerte. Mit einem Mal wurde ihm klar: Was hier auch vor sich gehen mochte, er sollte es sich lieber aus sicherer Entfernung ansehen. Er eilte zur Leiter und kletterte wieder nach unten. Über ihm kamen Gestalten aus den Zellen gewankt. Unnatürlich leise wanderten sie ziellos auf den Gerüsten umher. Dem Doktor fiel auf, dass sie sich zum ersten Mal, seit er sie gefunden hatte, unabhängig voneinander bewegten. Zumindest bis sie ihn sahen – in dem Moment nahm ihr zielloses Umherirren ein jähes Ende. Sie alle starrten zu ihm herunter. Seiner Schätzung nach mussten es zweihundert oder mehr sein.
»Hallöchen«, rief er und hob die Hand, wobei er hoffte, die Geste würde so freundlich und so wenig bedrohlich wie möglich wirken. »Ich bin der Doktor. Wer seid ihr?« Niemand antwortete oder regte sich. »Sprecht aber nicht alle auf einmal.« Keiner von ihnen schien ihn gehört zu haben. »Könnt ihr vielleicht mal kurz grunzen oder so?« Er präsentierte ihnen sein schönstes Lächeln. »Natürlich müssen nicht alle grunzen, ihr könnt auch einen Hauptgrunzer bestimmen, der das für euch übernimmt.« Er ließ seinen Blick über die Gerüste voller starrender Leute schweifen. »Da hebt sich ja nicht ein Mundwinkel«, bemerkte er. »Schwieriges Publikum. So sagt man doch, oder?« Er ließ die Hand sinken und zuckte mit den Schultern. »Ich frage mich, was als Nächstes passiert.«
Die zweihundert nicht ganz identischen Individuen bewegten sich mit stiller Entschlossenheit auf die Leitern zu und machten sich an den Abstieg.
»Irgendwie hab ich keinen Draht zu euch«, sagte der Doktor. Er konnte nicht sicher sein, aber es sah so aus, als wollten sie zu ihm. Er hatte sich in Menschenmengen noch nie wohlgefühlt: Allzu leicht verwandelten sie sich in Mobs und dieser Haufen schien auf dem besten Weg dahin zu sein. Rasch revidierte er seine Vorstellung von einer sicheren Entfernung und kam zu dem Schluss, dass die vernünftigste Option wohl wäre, mit der TARDIS abzufliegen. Es gab jedoch ein Problem: Er konnte Leela nicht hier zurücklassen, hatte aber im Augenblick keine Ahnung, wo sie steckte.
Die entwaffnete Frau befand sich auf Händen und Knien am Boden vor ihm und der stämmige Sicherheitsmann genoss es sichtlich, den Stun-Kill gegen sie einzusetzen. Wieder stieß er zu und benutzte gerade genug Saft, dass sie auf den Rücken fiel, zuckte und vor Schmerzen schrie. »Siehst du, siehst du«, zischte er durch zusammengebissene Zähne. »Roboter machen so was nicht.« Er tippte ihr Bein mit dem Elektroschocker an und grinste, als ihre Muskeln sich verkrampften und zuckten. »Warum kämpft ihr dann gegen Roboter?«
»Mach ich nicht«, keuchte sie. »Ich kämpfe gegen Gossenabschaum.«
»Oh.« Er kicherte. »Gossenabschaum? So denkst du also von mir?« Er setzte ihre Schulter unter Strom und gluckste, als sie hart auf die Seite krachte. »Ich bin wirklich verletzt.« Er drehte den Stun-Kill auf. »Das schreit geradezu nach Schmerz, findest du nicht auch? Ich finde, das schreit nach großem Schmerz.«
Leela stand an die Wand gedrückt und musterte den Mann und die Waffe, die er gegen die wehrlose Frau einsetzte. Inzwischen hatte sie genug gesehen. Sie kam aus ihrer Deckung und trat hinter ihn. »Du hast recht«, sagte sie. »Das schreit nach Schmerz.«
Als der Mann sich umdrehte, zertrümmerte sie ihm die Nase mit dem Knauf ihres Messers. Er war fett und außer Form und wie erwartet kam er mit Schmerzen offenbar nicht gut zurecht.
»Au, meine Dase«, schluchzte er und taumelte rückwärts.
Leela ließ die Klinge des Messers auf sein Handgelenk niederfahren. Sie drang tief ein und lähmte die Hand, sodass er seine Waffe fallen ließ.
Die junge Frau auf dem Boden schnappte sie sich und kämpfte sich hoch.
Leela drehte sich und trat dem bezwungenen Mann zwischen die Beine. Er ging zu Boden, rollte sich zusammen und stöhnte erbärmlich.
Die junge Frau stand aufrecht, schwankte jedoch. Leela wollte sie stützen, aber die Frau schüttelte sie ab. Sehr bedächtig stellte sie die Waffe ein und drückte sie dem Mann gegen die Schläfe.
»Er ist besiegt«, sagte Leela. »Lassen Sie ihn fortkriechen und seine Schande verbergen.«
Die junge Frau feuerte die Waffe ab. Der Mann bebte und zuckte. Sein Fleisch verkokelte und sein Kopf verwandelte sich in einen qualmenden geschwärzten Totenschädel. »Der wusste doch gar nicht, was Schande ist«, sagte sie.
»Und jetzt lernt er’s auch nicht mehr«, sagte Leela und wandte sich zum Gehen. Die Front des Gebäudes, wo sie den Doktor zurückgelassen hatte, war komplett abgeriegelt, daher suchte sie nach einem Weg, der zur Rückseite führte.
»Warten Sie mal«, rief ihr die junge Frau nach. »Was haben Sie denn gedacht? Dass ich ihn gefangen nehme?«
»Sie wollten ihn umbringen«, erwiderte Leela mit einem kurzen Blick über die Schulter, »und das haben Sie auch getan.«
Nicht weit entfernt sah sie eine chaotische Ansammlung grauer Gebäude, einige größer als andere, ein paar davon hatten Kuppeln wie das Bauwerk, in dem sich der Doktor und die TARDIS befanden. Sie musste sich konzentrieren. An einem Ort wie diesem konnte man sich leicht verirren. Alle Gebäude waren durch schmale Wege miteinander verbunden, während breitere Wege zu den Vordereingängen führten. Sie hielt inne, um sich zu orientieren.
Die junge Frau schloss eilig zu ihr auf. »Er hätte mich umgebracht.«
Sie war kleiner als Leela und ein bisschen älter, hatte blassblaue Augen und kurz geschnittenes blondes Haar. Der Kontrast zwischen den beiden hätte größer kaum sein können. Leela bemerkte, dass sie einen Kampfanzug trug, aber sie bewegte sich nicht wie eine ausgebildete Kämpferin und benahm sich ganz gewiss nicht wie eine Kriegerin.
»Ich hatte ihn schon unschädlich gemacht«, sagte Leela tonlos.
»Nur für den Augenblick.«
»Und allein darauf kommt es an.« Leela entdeckte den Pfad, den sie nehmen wollte, und ging darauf zu.
»Ich würde es jederzeit wieder tun.« Die junge Frau packte Leelas Arm, um sie aufzuhalten. Sie zog sie zu sich herum und blickte ihr geradewegs ins Gesicht. »Sie wissen, was das für einer war«, zischte sie wütend. »Abschaum aus den Sewerpits. Einfach bloß ein weiterer Irrer, den die Firma angeheuert hat, weil sie die Roboter nicht dazu kriegt, die richtig dreckige Arbeit zu machen. Was stimmt nicht mit Ihnen? Ich hab der Welt einen Gefallen getan!«
»Nein«, entgegnete Leela. »Haben Sie nicht. Ein Gefallen ist etwas Persönliches. Was ich gemacht habe, war ein Gefallen. Ich habe Ihnen einen Gefallen getan.«
Die junge Frau schnaubte. »Was hätten Sie denn sonst tun wollen? Zusehen, wie dieses Stück Scheiße mich weiter mit seinem Stun-Kill foltert? Auf wessen Seite stehen Sie überhaupt?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Leela. »Darum bin ich hier rausgekommen.«
Sie konnte nach wie vor Kampflärm in der Umgebung hören, doch nun hörte es sich so an, als wären die Kämpfer auf dem Rückzug. Es war wie ein Gefecht zwischen Stämmen, keine geordnete Schlacht mit Sinn und Verstand. »Wie viele Seiten gibt es denn?«
»Wo kommen Sie eigentlich her?« Eine gedämpfte Explosion ließ die junge