Call me Baby. Katharina B. Gross
und auf einen Quicki im Darkroom hoffen, statt mir von einem fremden Kerl an meinem Arbeitsplatz ins Ohr stöhnen zu lassen. Das ist wirklich erbärmlich. Der letzte Sex war mit meinem Ex, was bereits ewig zurückliegt. Auf One-Night-Stands war ich sonst nie aus. Woher kommen dann diese Gedanken?
Um mich endlich von diesem Durcheinander in meinem Kopf zu befreien, verlasse ich das Gebäude so schnell wie möglich.
***
Samstagabend stehe ich pünktlich um zwanzig Uhr vor Michaels Einfamilienhaus am Stadtrand. Die Gegend ist echt hübsch. So viel Grün habe ich hier gar nicht vermutet. Mit der Straßenbahn hat es ein bisschen gedauert, hierher zu kommen, aber das ist okay. Ich bin tatsächlich froh über Michaels Einladung und neugierig darauf, seinen Bruder kennen zu lernen. Denn seit diesem seltsamen Gespräch mit dem Fremden vor ein paar Tagen, geistert dessen Stimme in meinem Kopf herum, was mich total wahnsinnig macht. Da wird es sicher helfen, unter Leute zu kommen.
Anlässlich der Party habe ich mein T-Shirt gegen ein ordentlich gebügeltes Hemd ausgetauscht. Sogar Blumen habe ich besorgt, schließlich hat die Dame des Hauses Geburtstag. Auf mein Klingeln öffnet mir ein etwa sechsjähriges Mädchen die Tür. Sie schaut kurz fragend zu mir auf, dann eilt sie mit einem lauten »Mamaaaa!« davon. Etwas unsicher trete ich ein und werde von einer Frau in Empfang genommen, die gerade in den Flur kommt.
»Hallo. Du musst Tobias sein. Komm rein, fühl dich wie zu Hause«, begrüßt sie mich und sieht auf den Blumenstrauß in meinen Händen. »Oh, sind die für mich? Danke, wäre doch gar nicht nötig gewesen.« Sie nimmt mir den Strauß ab und führt mich ins Wohnzimmer, aus dem ich Musik und Stimmen höre. Dort haben sich bereits einige Geburtstagsgäste versammelt. Von wegen kleine Feier. Hier sind beinahe fünfzig Leute, verteilt auf Wohnzimmer und angrenzender Terrasse. Ein paar kenne ich von der Arbeit, der Rest ist mir fremd. Etwas verloren bleibe ich im Türrahmen stehen, ohne auf mich aufmerksam zu machen.
»Tobi! Da bist du ja endlich. Komm her, nicht so schüchtern«, höre ich meinen Kollegen rufen, der mich als Erster entdeckt. Er steht inmitten einer kleinen Gruppe von Männern und winkt mich zu sich rüber. Ich geselle mich zu ihnen.
»Kevin. Das ist Tobi, von dem ich dir schon erzählt hatte«, stellt mich Michael zwinkernd einem großen blonden Mann vor. Er hält einen kleinen Jungen auf dem Arm, der mich neugierig mustert. Lächelnd streckt Kevin mir seine freie Hand entgegen.
»Hallo. Freut mich wirklich, dich endlich persönlich kennenzulernen«, meint er mit einem Zwinkern. »Michael hat mir bereits einiges über dich erzählt.«
»Ich hoffe doch, nur Gutes.« Kevin hat einen festen Händedruck, auch sein Lächeln gefällt mir. Er wirkt sympathisch und wäre normalerweise genau der Typ Mann, mit dem ich mir eine feste Beziehung vorstellen könnte. Er lässt meine Hand viel zu schnell los, doch seine blauen Augen ruhen weiterhin auf meinem Gesicht. Ich erkenne Interesse in seinem Blick.
»So, junger Mann. Jetzt aber runter von mir«, sagt er dann zu dem kleinen Jungen und lässt ihn zu Boden. »Geh und spiel eine Runde mit deiner Schwester, okay? Ich werde mich ein wenig mit Tobias unterhalten.« Dann wendet er sich wieder mir zu. »Willst du vielleicht etwas trinken?«
»Klar, gerne«, antworte ich und folge Kevin in die Küche, in der er Bier aus dem Kühlschrank holt und mir eine der Flaschen reicht.
»Dann Prost. Darauf, dass wir uns endlich kennenlernen.« Wir öffnen die Flaschen mit einem lauten Plopp. Kevin hält seine Flasche hoch und ich stoße mit ihm an. Lässig lehnt er sich gegen die Arbeitsplatte der Küchenzeile und lächelt, nachdem er die Bierflasche wieder abgesetzt hat. »Dann sag mal, Tobias, was machst du so, wenn du nicht gerade arbeitest?«
Ich zucke mit den Schultern, denn viel gibt es nicht über mich zu erzählen. »Eigentlich nicht so viel. Neben meinem Informatikstudium habe ich wenig Zeit. Mit Freunden weggehen, Fußball …«
»Fußball?« Kevins Augen beginnen zu leuchten. »Spielst du?«
»Hab ich mal. Aber das ist wirklich schon ewig her.« Das letzte Mal, als ich selbst hinter einem Ball hinterhergerannt bin, war ich zehn und in der Fußballmannschaft meines Heimatortes.
»Ich habe auch gespielt. War sogar echt gut. Aber das war bevor ich mit der Ausbildung angefangen habe. Also ebenfalls vor einer ganzen Weile. Na ja, meine Kumpels fanden es jedoch nicht so klasse, einen schwulen Spieler unter sich zu haben, als es rauskam, dass ich plötzlich einen festen Freund habe.« Ein bitterer Zug zeichnet sich um seinen Mund ab. Aus dem Lächeln von eben wird eine ausdruckslose Maske. Es muss schlimm für ihn gewesen sein muss, wegen seiner Homosexualität von seinen Freunden ausgegrenzt zu werden. Ich selbst hatte nie Probleme damit, bin schon immer offen damit umgegangen, auf Männer zu stehen. Niemand hat mich deshalb in der Schule verurteilt, auch meine Mutter hat mein Coming-out als selbstverständlich angenommen und mich darin bestärkt, zu mir selbst zu stehen.
»Das war auch einer der Gründe, warum ich hierher zu Michael gezogen bin. Ich hab’s daheim nicht mehr ausgehalten. Auf welchen Verein stehst du?«, fragt Kevin dann weiter und lächelt erneut. Ich stelle fest, dass mir sein Lächeln gefällt. Keine Ahnung, was er nach seinem Coming-out durchmachen musste, doch das ist kein Thema, das man mit einem fremden Mann in der Küche ausdiskutieren sollte.
»BVB«, sage ich also, um seine Frage zu beantworten. Ich bin zwar nicht der größte Fan, aber die wichtigsten Spiele sehe ich mir schon im Fernsehen an.
»Echt? Sorry, aber da kann ich nicht mitgehen. Ich bin Bayern-Fan.« Er löst sich von der Arbeitsplatte und kommt näher zu mir, ehe er mir dann kumpelhaft seinen Arm um die Schulter legt. »Tobi, du solltest dir wirklich mal überlegen, den Verein zu wechseln. Hast du nicht das letzte Spiel gesehen, wo Bayern deine Dortmunder abgezogen hat? Die hatten kaum eine Chance!«
Ein angenehmes Kribbeln breitet sich in mir aus. Die Wärme seines Körpers dringt durch meine Kleidung und lässt mich erschaudern. Sogleich beschleunigt sich mein Puls. Michael hat nicht zu viel versprochen, als er meinte, ich würde mich sicher gut mit seinem Bruder verstehen. Kevin wirkt vom ersten Moment sehr sympathisch auf mich. Er ist die Sorte Mensch, die gleich offen auf andere zugeht. Im Gegenteil zu mir. Ich beobachte lieber zuerst, denn bevor ich den ersten Schritt wage, brauche immer ein wenig mehr Zeit. Ich will schon zu einer Erwiderung ansetzen, warum der BVB dennoch verdammt gute Chancen auf eine gute Platzierung in der Tabelle hat, als Kevin mit seiner Bierflasche gegen meine stößt, aus der ich bisher kaum getrunken habe.
»Komm, ich zeig dir das Haus. Es ist doch langweilig, hier in der Küche rumzustehen. Wir können auch gleich raus in den Garten gehen. Michael hat dort seinen Grill aufgebaut. Hast du Hunger?« Ohne eine Antwort abzuwarten, drückt er mir noch ein Bier in die Hand, obwohl meine erste Flasche noch voll ist, und führt mich auch schon aus der Küche.
Der Arm um meine Schulter bleibt, rutscht im Laufe des Abends immer wieder ein wenig tiefer über meinen Rücken, was mich gar nicht stört, je mehr Alkohol ich trinke. Dank Kevins Gesellschaft und seiner offenen Art, amüsiere ich mich prächtig auf der Party. Michaels Bruder entpuppt sich als wirklich toller Gesprächspartner. Super nett, witzig, zudem auch noch sehr attraktiv und das Wichtigste: Er scheint mich echt zu mögen. Kevin ist vier Jahre älter als ich und arbeitet als Kfz-Mechatroniker in der Stadt, unweit meiner Wohnung, wie er mir erzählt. Wir reden über Fußball, über seinen Job und seine Leidenschaft für Autos, sowie über mein Studium. Nach einigen Flaschen Bier wechseln wir zu Wodka und meine Laune bessert sich mit jedem Glas.
***
»Ah … Scheiße …«, stöhne ich gequält, als ich mich aufrichte. Mein Schädel dröhnt und alles dreht sich um mich wie im Schleudergang einer Waschmaschine. Eindeutig zu viel Alkohol. Mir wird von dem Karussell in meinem Kopf schwindelig. Außerdem ist mir kotzübel. Stöhnend sinke ich wieder in die Kissen zurück. Langsam öffne ich ein Auge und sehe an die Zimmerdecke, die so gar nicht aussieht wie die in meinem Schlafzimmer. Mist, wo bin ich hier überhaupt und wie bin ich in dieses Bett gekommen? Dass es nicht meins ist, kann ich spüren, denn die Matratze ist viel weicher und auch die Bettwäsche fühlt sich ganz anders an.
Ächzend drehe ich mich auf die Seite. Meine