Sitting Bull, sein Leben und Vermächtnis. Ernie LaPointe

Sitting Bull, sein Leben und Vermächtnis - Ernie LaPointe


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      Die Jungen schwärmten in verschiedene Richtungen aus und machten sich auf die Suche nach dem schönsten Vogel in der gesamten Gegend. Auch Jumping Badger war auf der Jagd, aber er verschmähte einen Vogel nach dem anderen. Sie waren ihm nicht schön genug. Schließlich entdeckte er eine Goldamsel, die in einer Baumkrone saß. „Na endlich“, dachte er, „ein wirklich schöner Vogel“. Dann zielte er sorgfältig.

      Ein anderer Junge, der aus einer anderen Richtung kam, sah den Vogel ebenfalls. Während Jumping Badger noch überlegte, wie er am besten treffen konnte, schoss der andere Junge ohne zu zögern einen Pfeil auf die Goldamsel. Doch er verfehlte sein Ziel und sein Pfeil verfing sich in den Zweigen in der Nähe der Baumkrone. Der Junge war enttäuscht, dass er den Vogel nicht getroffen hatte und war sehr traurig, weil er seinen besten Pfeil verloren hatte.

      Jumping Badger, der keine Gelegenheit mehr hatte, auf den Vogel zu schießen, bot sich an, den Pfeil des Jungen vom Baum herunterzuschießen. Er traf tatsächlich und der Pfeil fiel herunter, aber er zerbrach, als er auf den Boden aufprallte. Der zuvor noch traurige Junge wurde sofort wütend.

      Er beschuldigte Jumping Badger, seinen guten Pfeil zerbrochen zu haben und war bereit, sich mit ihm zu prügeln.

      Jumping Badger dachte über die neue Situation nach und bot dem Jungen seinen eigenen, guten Pfeil an. Obwohl er viel Zeit damit verbracht hatte, ihn auszubalancieren und einzupassen, war er bereit, ihn herzugeben, um einen sinnlosen Kampf zu vermeiden.

      An diesem Tag schoss keiner der Jungen einen schönen Vogel, aber als sie zum Lager zurückkehrten, sprachen alle über den Zwischenfall zwischen Jumping Badger und dem anderen Jungen, und sie berichteten, wie der Kampf vermieden worden war. Der Pfeilmacher war beeindruckt, wie Jumping Badger erfolgreich einen Kampf vermieden und den Frieden bewahrt hatte. Als Anerkennung für dieses umsichtige Verhalten schenkte er Jumping Badger den guten Bogen und den Köcher mit den Pfeilen.

      Noch immer nannten ihn die Leute Hunkesni, trotzdem gewann der Junge immer mehr ihren Respekt. Wie alle Lakota Jungen erlernte er die Kunst zu reiten, und er übte so lange, bis er auch ein ebenso guter Bogenschütze war. Er lernte erfolgreich, wie man das Wild aufspürte und sich anpirschte. Durch Übung, Spiel und Wettbewerb erwarb der Junge das notwendige Wissen und die Fertigkeiten, um ein guter Lakota zu werden.

      Als Jumping Badger zehn Jahre alt war, entschied Four Horns, dass es an der Zeit sei, seinen Neffen in der Kunst des Spurenlesens und des Anpirschens zu prüfen. Das Lager war näher zu einer großen Büffelherde gezogen. Während die anderen Jäger sich darauf vorbereiteten, die große Herde zu jagen, nahm Four Horn seinen Neffen und trug ihm auf, die kleinere Herde weiter im Westen aufzuspüren. Seine Fähigkeiten im Aufspüren und Anschleichen waren für einen Jungen seines Alters ausgezeichnet und sein Onkel freute sich, als Jumping Badger die kleinere Herde fand. Obwohl die Büffelherde nur aus 100 bis 150 Köpfen bestand, war es gefährlich, die Tiere zu jagen. Wildgewordene Büffel können leicht ein Pferd überrennen und den Reiter in den Boden stampfen. Weil es seine erste Jagd war, wies Four Horns seinen Neffen an, sehr vorsichtig zu sein und sich nicht in die Mitte der Herde abdrängen zu lassen.

      Anstatt auf seinen Onkel zu hören, preschte Jumping Badger mit einem angelegten Pfeil geradewegs in die Mitte der Herde. Er war hinter einem kräftigen Büffelstier her. Sein Schuss war sicher und streckte den Bullen nieder. Der Rest der Herde erschrak und rannte davon. Zum Glück wurde Jumping Badger auf ihrer panikartigen Flucht nicht von ihnen überrannt.

      Four Horns war zwar wütend, aber auch sehr stolz auf seinen Neffen. Er fragte Jumping Badger, warum er diesen besonders großen Bullen ausgewählt habe, wo er doch auch eine Büffelkuh näher am Rand der Herde hätte erlegen können. Der Junge antwortete, dass er die Kuh gesehen hätte, aber er hätte auch das Kalb gesehen, und wenn er die Kuh getötet hätte, dann wäre auch ihr Junges verendet.

      Four Horns war erstaunt über das Mitgefühl seines jungen Neffen. Er befahl Jumping Badger, ein Stück der Leber des Büffels zu essen. Die Leber, welche die Gifte aus dem Körper herausfiltert, ist das am meisten verunreinigte Teil des Tieres. Die Leber zu essen war eine Art, um dem Geist des Büffels zu danken, dass er sein Leben gegeben hatte, damit das Volk leben konnte. Dann wies Four Horns den Jungen an, seine Mutter und seine Verwandten zu holen, damit sie halfen, das Fleisch haltbar zu machen.

      Schnell ritt Jumping Badger zum Tipi seiner Mutter und bat sie, ihre scharfen Messer mitzubringen und alle Verwandten, damit sie das Fleisch haltbar machen konnten. Als sie ihre Geräte zum Häuten und Zerlegen zusammentrug, gab Jumping Badger seiner Mutter einen weiteren Grund, stolz auf ihn zu sein. Er zog sie nach draußen und zeigte unmerklich auf ein Tipi in der Nähe, in dem eine Witwe mit ihren beiden Kindern lebte. Er bat seine Mutter, ein paar gute Stücke des Fleisches herauszuschneiden und sie der Witwe zu geben. Weil sie niemanden hatte, der für sie und ihre Kinder sorgte, war dies seine Art für ihr Wohlergehen zu sorgen. Jumping Badger war gerade mal zehn Jahre alt, als er sein Mitgefühl und seine Großzügigkeit zeigte.

      Er verdient sich seinen Namen

      Jumping Badgers Vater, Returns Again, war ein äußerst spiritueller Mensch und besaß die Fähigkeit, mit den Vierbeinern zu kommunizieren. Eines Tages, etwa zu der Zeit, als Jumping Badger seinen ersten Büffel erlegte, ging Returns Again zusammen mit einer Gruppe von Kundschaftern auf die Suche nach Büffeln. Die Gruppe hatte ein Nachtlager aufgeschlagen, als plötzlich ein großer weißer Büffel am Rande des Lagerfeuers erschien. Die Gruppe der Scouts war erschrocken und sie ergriffen die Flucht – mit Ausnahme von Returns Again. Der Büffelstier bäumte sich auf und brüllte, als er sich mit seinen Vorderhufen stampfend fallen ließ. Er tat das vier Mal und dann drehte er sich um und verschwand in der Nacht.

      Dann kamen die anderen Scouts zum Feuer zurück und fragten sich, aus welchem Grund sich der Büffel so seltsam benommen hatte. Returns Again sagte, der Stier sei gekommen, um ihm ein Geschenk zu machen. Das Geschenk waren vier Namen, die der Büffel gebrüllt hatte. Der erste Name war Tatanka Iyotake, der zweite Psica Tatanka, der dritte Tatanka Wanjila und der vierte war Tatanka Wi Uha Najin. Die Namen bedeuteten „Büffelstier, der im Begriff ist sich hinzusetzen“ (Sitting Bull), Jumping Bull (Springender Büffel), One Bull (Ein Bulle) und White Bull (eigentlich: Bulle steht mit einer Kuh). Returns Again sagte seinen Freunden, dass dies ein besonderer Segen und ein Geschenk vom Büffelvolk wäre, und so behielt er den ersten Namen für sich. Er sagte: „Von diesem Tag an wird man mich Tatanka Iyotake nennen.“

      Jumping Badger hatte viele Dinge durch Geschichten gelernt, aber auch dadurch, dass er sich ein Beispiel an seinem Onkel Four Horns nahm. Er lernte die Schöpfungsgeschichte und wie das Volk der Lakota das Geschenk der Heiligen Pfeife erhielt und die Zeremonien, die damit verbunden waren.

      Four Horns erklärte Jumping Badger, er müsse mutig und mitfühlend sein und stets Standhaftigkeit zeigen, und er solle immer versuchen, Weisheit von Wakan Tanka, dem Großen Geheimnis zu erhalten. Ein wahrer Krieger weiß mehr als nur, wie man seine Familie ernährt oder einen Feind tötet. In der Tat, es wurde als viel mutiger angesehen, den Feind nicht zu töten, sondern einen Coup zu zählen, indem er den Körper des feindlichen Kriegers mit einem besonderen Coup Stick berührte, ohne ihn zu verletzen. Ein Krieger, dem ein „unblutiger Coup“ gelang, wurde sehr geachtet. Der Feind jedoch, an dem ein Coup gezählt wurde, war zutiefst beschämt.

      Als Jumping Badger vierzehn Jahre alt war, schloss er sich zusammen mit seinem Onkel Four Horns und seinem Vater Tatanka Iyotake einem Raubzug an. Eine Gruppe von Crow, die viele schöne Pferde besaß, lagerte in einem Tal. Die Versuchung war für die Lakota unwiderstehlich. Sie schlichen sich so nah wie möglich heran und fielen dann in das Lager der völlig überraschten Crow ein.

      Jumping Badger war einer der ersten, der die erschrockenen Crow-Krieger erreichte. Mit dem Coup Stick, den er von Four Horns bekommen hatte, zählte er einen Coup an einem der Crowkrieger. Die anderen Lakota-Krieger wurden alle Zeuge dieses erfolgreichen Coups. Jumping Badgers Vater war so stolz auf seinen Sohn, dass er auf ihn zuging und ihn umarmte. Dann sagte er: „Von heute an bist du ein Krieger. Du bist jetzt ein Mann!“

      Der Raubzug war sehr erfolgreich. Es wurden viele schöne Pferde erbeutet, aber an diesem Tag begann die Siegesfeier erst, nachdem die Krieger ins Dorf zurückgekehrt waren.


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