Die Toten von Rottweil. Herbert Noack

Die Toten von Rottweil - Herbert Noack


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Färber, während er die beiden heimlich beobachtete, war nicht erfolgreich gewesen. Er ärgerte sich richtig darüber. Zu der toten Person auf dem Hofgerichtsstuhl am frühen Morgen hatte man ihn nicht vorgelassen. Wie dumm auch von ihm, dass er den Presseausweis in der anderen Jacke vergessen hatte. So hatte er erst mal zurück nach Hause gemusst, um den Ausweis zu holen. Eilig war er anschließend wieder zum Hofgerichtsstuhl zurückgekehrt. Doch trotz Presseausweises bekam er auch diesmal nicht die Erlaubnis, den Toten zu sehen oder einen der anwesenden Polizeibeamten zu sprechen. Wütend war er zurück nach Hause gefahren. Dort hatte immerhin seine Freundin mit einem liebevoll zubereiteten Frühstück auf ihn gewartet. Kaum hatte er es sich mit ihr gemütlich gemacht, musste er jedoch schon wieder los zum Turm. Sein Informant hielt ihn auf Trab. Als er endlich dort angekommen war, wurde bereits alles abgesperrt. Aber auch hier war es ihm unmöglich gewesen, in den Turm zu gelangen oder wenigstens etwas näher an das Geschehen. Die Leute, die er vor Ort befragt hatte, wussten genauso viel wie er, nämlich nichts, und stocherten im Dunkeln herum oder verloren sich in völlig absurden Verschwörungstheorien. Wenigstens konnte er einen Beitrag über die Stimmung der Menschen anfertigen, die man vergessen hatte, rechtzeitig über die Schließung des Turms zu informieren. Es kam viel Frust zum Vorschein. Zwar gefiel Färber nicht alles, was er hörte, aber es war ein toller Aufmacher für seine Sendung. Prompt griffen einige Radiohörer zum Telefon und spendeten Beifall.

      Zeller hatte er nur kurz im Foyer des Turms gesehen, genau wie die unbekannte Kollegin an seiner Seite. Später hatte er beobachtet, wie sie den Turm durch den Personaleingang verlassen hatten und in ihren Wagen gestiegen waren. Er war ihnen gleich hinterhergejagt, hatte ihnen jedoch nicht lange folgen können. Mit seinem Fahrrad war er einfach zu langsam gewesen.

      Er wusste aber, wo Zeller stets seinen Kaffee trinken ging. Oder seinen Flachmann auftanken. Es war schon bis zu ihm vorgedrungen, dass der Kommissar gerne einen schnäpselte, auch während des Dienstes. Im »b2« war er ihm schon öfter über den Weg gelaufen. So war ihm die Idee gekommen, dort auf ihn zu warten. Und die war goldrichtig gewesen, seine Journalistennase hatte sich nicht getäuscht. Leider waren die Informationen, die er bisher hatte aufschnappen können, spärlich. Da hatte er mehr erwartet. Wenigstens wusste er jetzt, dass die Frau an Zellers Seite seine Assistentin war. Wie hatte er sie genannt? Elli Jones? Das klang echt spannend. Färber hatte sofort gemerkt, dass sie nicht von hier sein konnte. Wahrscheinlich kam sie frisch aus den Staaten, nach einem Studium beim FBI oder vielleicht sogar bei der CIA. Bestimmt hatte man sie extra geholt, um der Rottweiler Kriminalpolizei unter die Arme zu greifen und die neuesten Ermittlungsmethoden beizubringen. War sie eine Forensikerin wie in dieser amerikanischen Fernsehserie? Oder war sie eine knallharte, in allen möglichen Kampfsportarten geschulte Kriminalerin mit den neuesten Waffen im Handgepäck? Zwar sah sie auf den ersten Blick nicht danach aus, aber er hatte sich schon oft in den Menschen getäuscht. Die Frau war anders als der sogenannte Sherlock Holmes von Rottweil. Sie würde Zeller Beine machen und Bausinger gleich mit. Da war er sich ganz sicher. An die würde er sich ranmachen, egal wie. Vielleicht als Verehrer, als potenzieller Liebhaber. Sie schien nicht verheiratet zu sein. Einen Ring an ihrer Hand hatte er jedenfalls nicht gesehen. Da müsste doch etwas zu machen sein.

      Bei diesem Gedanken fiel ihm seine Freundin ein, mit der er seit ein paar Wochen zusammenwohnte. Hoffentlich würde sie ihm nicht auf die Schliche kommen. Ihre Eifersucht war nicht unerheblich. Egal, hier ging es um mehr. Sie würde es verstehen müssen. Ein investigativer Journalist musste flexibel sein und dabei mitunter gewisse Grenzen überschreiten.

      Als die beiden Kriminaler sich nun voneinander verabschiedeten und Zeller in die eine Richtung und die Assistentin in die andere ging, stand er auf und folgte Jones unauffällig.

      Kapitel 7

      Fast hätte Jones ihn umarmt, als sie sich eben vorm »b2« getrennt hatten. Doch er hatte es rechtzeitig registriert und es verhindern können. So weit kam es noch! Er war immerhin ihr Vorgesetzter, nicht ihr Freund. Auch wenn sie einen zusammen getrunken hatten, änderte sich nichts daran. Das musste sie begreifen lernen.

      Ein paar Straßen vom Bioladen entfernt blieb Zeller stehen, nahm sein Smartphone aus der Manteltasche und scrollte durch die Nummern des Adressbuches. Wenn er sich nicht täuschte, hatte er die von Edwin Stranger abgespeichert. Da war sie doch. Sauber unter »R« wie »Rotary« abgelegt. Er musste dringend sein Ablagesystem ändern. Die ewige Sucherei war anstrengend.

      Der Hauptkommissar musste es nicht lange klingeln lassen, der Präsident des Rotary Clubs meldete sich schnell. Er hatte seinen Anruf erwartet und sich vorsorglich die nötigen Zahlen bereits von seinem Sekretär vorlegen lassen. Es waren nur 55 der 60 Mitglieder zu dem Vortrag erschienen. Dazu fünf Gäste. Er würde ihm die Namen mailen. Als Zeller ihn fragte, wie der Abend gewesen sei, meinte er nur lapidar: »Durchwachsen.« Einige Vorschläge und Ideen des Richters seien zwar gut gemeint gewesen, aber nicht durchsetzbar und abwegig. Sogar auf die Frage nach der Wiedereinführung der Todesstrafe habe er kein klares Statement dagegen abgegeben. Zeller solle sich das mal vorstellen. Ein Richter wie Schuhmacher, und dann so etwas. Er habe mehr von ihm erwartet.

      Zeller gab sich damit nicht zufrieden und bohrte weiter. War da nichts anderes? Kein Eklat? Keine Streitereien?

      Stranger zögerte kurz und meinte dann, dass Zeller es ja sowieso erfahren würde. Schließlich sei er bei der Kripo. Ja, es habe erheblichen Zoff gegeben. Ein unbekannter Mann habe Schuhmacher vorgeworfen, sein Richteramt zu missbrauchen. Grundsätzlich verhänge er die Höchststrafe. Außer bei einem einzigen Fall, als er »in dubio pro reo« entschieden habe. Kurz bevor er aus dem Saal geworfen wurde, habe der Mann dann noch gedroht, dass Schuhmacher ihm besser nie bei Nacht begegnen solle. »Den Mann hatte von meinen Leuten keiner eingeladen. Da bin ich mir absolut sicher«, erklärte Stranger.

      Richter Schuhmacher habe verlegen reagiert, als der Unruhestifter endlich weg gewesen sei. Er habe gesagt, dass man es als Richter nicht einfach habe und manchmal sogar um sein Leben fürchten müsse. Prahlerisch habe er hinzugefügt, dass er sich zu wehren verstehe, es wäre nicht das erste Mal in seinem langen Leben als Gesetzeshüter, dass er bedroht würde, und immer habe er auf sämtliche Schutzmaßnahmen verzichtet.

      Zeller dankte dem Rotary-Chef und hoffte, schon bald die Adressen der anwesenden Gäste von ihm zu bekommen. Stranger versprach es und legte auf.

      Zellers heutiger Bedarf an kriminalistischer Arbeit war gedeckt. Er brauchte mehr Zeit, um nachzudenken, ohne jemanden an seiner Seite zu haben. Weder Elli Jones noch einen anderen seiner Kollegen. Auch schaltete er sein Smartphone ab. Er wollte keine Anrufe oder andere Ablenkungen seines Gedankenflusses. Scheinbar missmutig stapfte er mit tief in den Taschen seines Mantels vergrabenen Händen durch die Stadt. Den Kragen hatte er hochgeschlagen, obwohl die Temperaturen an diesem späten Mittag mild waren. Es war September und außer einem immer mal wieder böig auffrischenden Wind war es ein schöner Tag. Der Altweibersommer zeigte schon jetzt, dass er seinem Namen alle Ehre machen würde. Doch im Gegensatz zu den äußeren Umständen fröstelte es Zeller im Inneren. Ihm wurde einfach nicht warm. Die jüngsten Gewalttaten in seiner Stadt nahmen ihn mehr mit, als er es sich eingestehen wollte.

      Plötzlich begann es zu nieseln und auf dem Bürgersteig bildeten sich kleine Pfützen, die ganz langsam vollliefen und sich zu größeren vereinigten. Zeller störte es nicht besonders. So ein Wetter hatte er ganz gern. Da konnte er sich selbst fühlen, wurde eins mit seiner Umwelt und der Natur und es waren nicht so viele Menschen auf den Straßen unterwegs. Noch lieber hatte er es, wenn ein richtig starker Wind um seine Nase pfiff, wenn er körperlich schwer dagegen ankämpfen musste und trotzdem kaum vorwärtskam. So ein Wind wie an der weiten französischen Atlantikküste. Dort war er aber nicht, sondern in Rottweil, rief er sich selbst ins Gedächtnis, mit einem großen Haufen Problemen am Hals. Deshalb würde er sich jetzt irgendwo unten im Stadtgraben auf eine Bank setzen und überlegen.

      Eigentlich war sein erster Gedanke gewesen, ins Polizeirevier zu gehen und nach dem Stand der Ermittlungen zu fragen. Doch dafür war es noch zu früh und er würde kaum Neues erfahren. Was sollte er also dort? Sollten die mal in Ruhe ihre Arbeit erledigen. Dafür brauchten sie ihn nicht. Nachher hieß es wieder, dass er am liebsten alles selber mache und keinem vertraue. Das stimmte nicht und das wussten all diejenigen, mit denen er schon längere Zeit zusammenarbeitete.


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