Die Bibliothek des Kurfürsten. Birgit Erwin

Die Bibliothek des Kurfürsten - Birgit Erwin


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um einen Platz im Rat«, warf Hirsch spitz ein. »Doch das ist heute nicht unser Thema.«

      Matthias errötete, teils vor Verlegenheit, teils vor Zorn. »Ich …« Er erinnerte sich an Sophies Ermahnungen und biss sich auf die Lippe. »Wenn es nicht um meine Ernennung geht, warum bin ich dann hier?«

      »Nicht so hitzig, junger Mann.« Harting trat einen Schritt näher. Sein Stock machte hallende Geräusche. »Wir hatten eigentlich gedacht, dass Ihr uns helfen könnt.«

      »Natürlich«, stotterte Matthias. »Wenn ich kann.«

      Philipp Roden, der zweite Vertreter des kurfürstlichen Rates, stellte sich neben seinen Amtsbruder. Er war ein gut aussehender Mann. Der blütenweiße Kragen war verschwenderisch mit Spitze verziert, sein blonder Bart nach der neuesten Mode gestutzt. Matthias hatte gehört, dass er große Auftritte liebte. Er ließ den Arm kreisen, um die ganze Empore mit einer Geste zu umfassen. »Was Ihr hier seht, Meister Abele, ist der Stolz der Pfalz. Die größten Gelehrten und Künstler haben an der Erschaffung dieser Sammlung mitgewirkt. Unsere gnädige Kurfürstin selbst, die Tochter eines Königs, hat nichts Vergleichbares auf ihrer Insel. Denkt Ihr nicht, dass es unsere Pflicht ist, diese Schätze vor den gierigen Händen der Katholikenbrut zu schützen?«

      »Natürlich«, war alles, was Matthias hervorbrachte.

      »Natürlich«, wiederholte Roden zufrieden. »Und dabei sollt Ihr uns helfen.«

      »Ich?«

      »Es ist unsere Aufgabe, diese Stadt zu verteidigen. Und diese Verteidigung verschlingt viel Geld. Unsummen.« Roden gestikulierte heftig. Wie gebannt betrachtete Matthias das Blitzen des schweren Ringes, den er über dem Handschuh am Ringfinger trug. »Ein ehrenwerter Bürger, der von sich sagt, dass er der Stadt dienen möchte, könnte mit einem Darlehen einen wichtigen Beitrag leisten. Selbstverständlich würden wir so einen Dienst nicht vergessen. Es könnte sogar bis zu den Ohren des Kurfürsten dringen, wenn Ihr versteht, Meister Abele.«

      Matthias schluckte. Er sah Hirsch an, der missmutig auf seine Stiefel blickte. »Ihr meint …«

      »Denkt einfach über unsere Bitte nach«, warf Harting ein. Nach Rodens glitzerndem Auftritt wirkte er streng und zurückhaltend. Umso mehr überraschte Matthias die nächste Frage. »Wie geht es eigentlich Eurer Frau?«

      »Sophie? Sie …« Matthias zögerte, und plötzlich kam ihm das ernste Gesicht mit den scharfen Falten, die von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln verliefen, gütig vor. »Sie trauert«, entgegnete er schlicht. »Der Tod unseres Kindes geht ihr sehr nahe.«

      »Gottes Wege sind unerforschlich, aber oft nicht leicht zu tragen«, sagte der alte Mann leise. »Ich kannte ihren Vater gut. Bitte richtet ihr meine Grüße aus.«

      Matthias verneigte sich. Harting hatte sich bereits abgewandt, als er noch einmal Matthias’ Aufmerksamkeit auf sich zog. »Ein Gedanke: Wenn es meinen verehrten Kollegen nicht gelingt, diesen Streichling oder einen adäquaten Ersatz zu finden, warum fragt Ihr nicht Eure Frau. Ich weiß, dass sie ihrem Vater die Bücher geführt hat. Sie hat eine schöne Schrift und für eine Frau eine bemerkenswerte Disziplin. Meint Ihr, sie wäre bereit, uns zu helfen?«

      Matthias runzelte die Stirn. Er war nicht der Einzige, Roden starrte seinen Amtskollegen offen an, Hirsch und die beiden anderen Herren scharrten unruhig mit den Füßen, doch Harting blieb unbeeindruckt. »Lasst Euch nicht aufhalten, Meister Abele. Wie Ihr sagtet, Euer Geschäft braucht Euch. Und uns ist daran gelegen, dass es floriert. Ich wünsche Euch einen guten Tag.«

      Matthias verbeugte sich zum dritten Mal. Blind für seine Mitmenschen und seine Umgebung verließ er die Empore, bis er endlich im Sonnenschein stand und freier atmete.

      Jakob löste sich aus dem Schatten einer Säule. Er musste nur die Hand ausstrecken, um Matthias zu berühren. Beinahe hätte er es getan, doch im letzten Moment schreckte er zurück. Ihm war bewusst, dass sich ein Wiedersehen mit seinem alten Freund nicht ewig würde hinauszögern lassen, aber noch fühlte er sich nicht bereit dazu.

      Matthias ein Stadtrat! Jakob lächelte und zuckte zusammen, als der Schorf an seiner Lippe spannte. Er fragte sich, was Maxilius damit bezweckt hatte, ihn ohne Bewachung in der Garnison zurückzulassen. Er musste gewusst haben, dass er einen Weg finden würde zu entwischen – und dass er ihn nutzen würde. Vielleicht lauerte Karius ihm bereits auf, um zu Ende zu bringen, was dieser Jiří verhindert hatte. Oder der Stadtkommandant wollte, dass er seinen Schatten abschüttelte. Jakob schob die fruchtlosen Gedanken von sich und legte den Kopf in den Nacken. Die Heiliggeistkirche mochte inzwischen ein ketzerisches Bauwerk sein, dennoch war sie wunderschön. Eine Weile verlor er sich in dem prachtvollen Anblick, ehe er den Weg einschlug, auf dem Matthias ihm eben entgegengekommen war. Er setzte den Fuß auf die unterste Treppenstufe, als er Männerstimmen hörte. Jakob wich erneut zurück. Es waren die Heidelberger Räte, und er legte nicht den geringsten Wert darauf, von ihnen gesehen zu werden. Selbst wenn sie sich nicht an seine Züge erinnerten, seine Blessuren waren wahrhaft einmalig. Mit gesenktem Kopf belauschte er das hitzig geführte Gespräch.

      »Ihr denkt doch nicht wirklich daran, einer Frau diese wichtige Aufgabe anzuvertrauen? Was versteht ein Weib von der Arbeit eines Schreibers? Darüber hinaus geht es um Staatsgeschäfte. Und überhaupt, irgendein Schreiber nützt uns nichts!«

      »Das ist mir bewusst, werter Philipp.«

      »Dann verstehe ich nicht, wie Ihr dieses Weibsbild …«

      »Ihr werdet von Sophie Hagen mit mehr Respekt reden, Hirsch! Egal, welchen Ärger Ihr mit ihrem Mann haben mögt …«

      Die Worte verklangen. Jakob widerstand der Versuchung, den Räten zu folgen. Langsamer erklomm er die ausladende Wendeltreppe und angesichts der Bücher verblasste Sophies Bild vor seinem inneren Auge. Wie im Traum nahm er die schiere Menge kostbarer Manuskripte in sich auf. Es mussten Tausende sein, eine Welt an Wissen und Kunst, die sich vor seinen Augen eröffnete. Wahllos blieb er vor einem der Regale stehen und las andächtig die Titel auf den Buchrücken. Er streckte den Finger aus und berührte Leder und Gold.

      »Kann ich Euch helfen?«

      Schuldbewusst ließ Jakob die Hand sinken und drehte sich um.

      Der Mann ihm gegenüber schrak zurück. Er trug eine schwarze Robe mit weißer Halskrause, darüber schwebte ein knochiges Gesicht mit schmalen Augen. »Was wollt Ihr?«, fragte er eine Spur schärfer.

      Jakob hob den Blick über den Kopf des Mannes und sah sich um. »Diese Bibliothek ist unbeschreiblich.«

      »Das ist sie, aber Ihr seht nicht aus wie ein Mann, der die Bücher liebt.«

      Verlegen zog Jakob die Hutkrempe tiefer. »Auch ein Bücherliebhaber kann in Situationen geraten, in denen Worte nicht helfen«, verteidigte er sich. »Ihr seid der Bibliothekar? Ich beneide Euch!«

      Ein widerwilliges Lächeln kräuselte die Lippen des Mannes. »Aemilius Schostacius. Oder einfach Emil Schostak. Mit wem habe ich das Vergnügen?«

      Jakob rang mit sich. »Jakob Liebig«, stellte er sich schließlich vor. Aufmerksam beobachtete er die Reaktion seines Gegenübers.

      Der Bibliothekar legte den Finger an die Nase. »Liebig. Mir ist, als sollte ich den Namen kennen. Liebig …«

      Jakob seufzte und starrte auf einen Lichtstreifen, in dem feine Staubpartikel tanzten. »Ich bin der Katholik.«

      »Der Katholik, aha.« Schostak schmunzelte. »Ich weiß ja nicht viel von der Welt, aber ich dachte immer, es gäbe mehr als einen Katholiken auf Gottes schöner Erde. Nun, da habe ich mich wohl getäuscht.«

      Jakob fühlte, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg. »Ich …«

      Schostak wedelte mit einer knochigen Hand. »Es wird mir schon einfallen. Und wenn nicht, dann ist es nicht wichtig. Ihr seid also ein katholischer Bücherfreund. Ich bin der Bibliothekar. Gott zum Gruß.«

      »Darf ich mir ein Buch ausleihen?«, fragte Jakob und versuchte, sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen.

      Der Bibliothekar schüttelte


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