Die Bibliothek des Kurfürsten. Birgit Erwin

Die Bibliothek des Kurfürsten - Birgit Erwin


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zur Ruhe. »Verzeiht, Frau Meisterin, ich bin zu spät. Es gab viel Arbeit.«

      »Und ich höre, dass du sie nicht so schnell und pünktlich erledigst, wie du solltest«, bemerkte Sophie. Sie winkte dem Lehrling, näherzutreten.

      Ludwig Mohr folgte der Aufforderung schüchtern. Seine Kleidung war mehlbestäubt und erinnerte sie an Matthias, ebenso wie sein ungebärdiges blondes Haar. Vielleicht, so dachte Sophie, hatte sie deswegen eine Schwäche für den unscheinbaren Jungen. Oder es war der träumerische Glanz in seinen Augen, der sie so gar nicht an ihren Mann erinnerte. Das Schweigen zog sich in die Länge, Ludwig scharrte verzweifelt mit den Füßen.

      »Setz dich«, sagte sie.

      Er betrachtete den zierlichen Stuhl beinahe mit Entsetzen, ehe er sich vorsichtig auf die Kante hockte. »Frau Meisterin«, begann er unglücklich, »ich weiß, dass ich in letzter Zeit einige Fehler gemacht habe. Da waren die Brote, die ich habe anbrennen …«

      »Verbrennen«, berichtigte Sophie streng.

      »… verbrennen lassen. Und der Zucker.«

      »Und warum passiert dir das? Du bist seit vier Jahren bei meinem Mann in der Lehre. Du willst doch nicht ewig Lehrling bleiben.«

      »Nein, Frau Meisterin. Ich gebe mir ja Mühe!«

      »Und genau danach sieht es nicht aus. Du bist bleich wie der Tod, hast Ringe unter den Augen.«

      Seine Hand fuhr über sein Gesicht, seine Finger hinterließen Mehlspuren auf den Wangen.

      »Ja, Augenringe«, bekräftigte Sophie und unterdrückte heroisch ein Lächeln. »Ich weiß, was du treibst, Junge.«

      Er wurde erst blass, dann feuerrot. »Frau Meisterin, ich …«

      »Und solange du kein Auskommen hast, ist es Sünde, dich mit einem Mädchen herumzutreiben. Du weißt das, nicht wahr?«

      Er nickte. Als er seine Finger ineinanderschlang, fiel ihr wieder auf, wie schön seine Hände waren.

      »Da ist noch etwas«, sagte sie milder.

      Er senkte ergeben den Kopf.

      Sie tippte mit dem Finger auf die Flugschrift. »Ich habe gehört, dass dir das aus der Tasche gefallen ist. Ist das wahr?«

      »Ja, Frau Meisterin«, murmelte er.

      »Weißt du, was das ist?«

      »Eine Flugschrift.«

      »Schund ist das.« Er öffnete den Mund, aber Sophie hob gebieterisch die Hand. »Schund«, wiederholte sie. »Es gibt genug Hass auf der Welt, auch hier in Heidelberg, als dass die Menschen so etwas lesen müssen. Katholiken sind keine Ungeheuer, nicht alle jedenfalls, und es gibt Sünder auch unter Protestanten. Wie kommst du an solche Blätter?«

      »Die lagen in Vaters Schenke. Ich habe eins eingesteckt.«

      »Und warum?«

      »Weil …« Er schwieg mutlos.

      »Weil?«

      »Denkt Ihr wirklich, dass das Schund ist, Frau Meisterin?«, fragte er in einem Tonfall, der sie aufhorchen ließ.

      »Ja, das denke ich. Und du?«

      »Ich kenne ja keine Katholiken, aber … bedrucktes Papier ist doch … schön.« Er starrte auf seine Hände. Seine Wangen waren hochrot.

      Sophie musterte ihn erstaunt. Sie wollte etwas sagen, als Martha anklopfte und nach alter Gewohnheit sofort die Tür aufriss. »Der Herr wird sicher bald heimkommen.«

      »Danke, Martha. Gut, Ludwig, dann geh und mach dich für das Abendessen fertig. Und was deine Arbeit angeht: Verrichte sie sorgfältig und pflichtbewusst. Ich möchte nicht hören, dass du dich in Schwierigkeiten bringst. Gibst du mir dein Wort darauf?«

      »Ja, Frau Meisterin. Und danke.« Er klopfte verlegen auf das Sitzpolster, das weiße Flecken abbekommen hatte, und polterte hinaus.

      Martha sah ihm kopfschüttelnd nach. »Aus dem wird nie ein guter Bäcker.«

      »Martha, das ist nicht freundlich.«

      »Aber die Wahrheit. Herrin, Euer Mann weiß noch nichts von …« Sie deutete mit ihrem schwieligen Daumen zur Wand.

      Augenblicklich fühlte Sophie die Schwere wieder auf sich lasten, die während ihres Gespräches mit Ludwig von ihr abgefallen war. »Was hältst du hiervon?«, fragte sie und reichte ihrer Magd die Flugschrift.

      Martha betrachtete sie flüchtig. »Ja, die verteilen sie seit ein paar Wochen in der ganzen Stadt. Wenn ich dieser Spanier wäre, würde mir das zu schaffen machen.«

      »Katholiken sind keine Ungeheuer!«, erklärte Sophie heftig. »Oder ist es auch Sünde, das zu denken?«

      Martha zerriss das Blatt. Als nur noch kleine Fetzen übrig waren, stopfte sie sie in ihre Rocktasche. »Sünde und schlechtes Gewissen sind zweierlei«, bemerkte sie. »Und vielleicht sollten wir Menschen uns nicht so wichtig nehmen und denken, dass der liebe Herrgott alles nur unseretwegen tut.«

      »Aber die Sünde der Väter rächt sich an ihren Kindern, das steht in der Bibel!«, rief Sophie und ihre Stimme brach.

      »Und manchmal bekommen Kinder einfach Fieber, Herrin«, sagte Martha barsch. »Ich muss mich um das Essen kümmern.«

      »Gib den Lehrlingen jetzt ihr Abendbrot. Ich esse später mit Matthias.«

      »Soll ich dann für zwei oder für drei decken?«

      »Das lasse ich dich wissen!«, fauchte Sophie und wischte sich die Tränen ab.

      »Also für drei«, entschied Martha ungerührt.

      Im Garnisonshof drillte der junge Hauptmann Laurenz im letzten Abendlicht erbarmungslos einen Trupp frisch angeworbener Männer. Zum ersten Mal, seit Maxilius Sophie verlassen hatte, konnte er durchatmen, ohne dass hilfloser Zorn ihm die Luft abschnürte. Hätte Gott das kleine Mädchen nicht einfach am Leben lassen können? Andere Gedanken verbot er sich, während er grimmig den neuen Rekruten zuschaute. Es war die übliche Mischung aus verhungerten Bauernburschen und beutegierigen Abenteurern, die die Werber regelmäßig anschleppten, aber der junge Offizier, der seinen ehemaligen Posten übernommen hatte, schien die Kerle im Griff zu haben. Eine Weile starrte er blicklos in die Richtung des Drills. Seine Gedanken kehrten zu den Schanzarbeiten zurück. Sie liefen so gut, wie zu hoffen war. Das eigentliche Problem war dieser verflixte Katholik. Maxilius hatte keine Ahnung, woher er von dem verschwundenen Schreiber wusste, aber dass er von ihm wusste, zwang Maxilius zu einer Entscheidung. Entweder stellte er Jakob Liebig endgültig kalt oder er bezog ihn in seine Ermittlungen ein. Er fuhr sich unter dem Hut durch die Haare. Selten hatten sein Kopf und sein Bauchgefühl so im Widerstreit gelegen. Er verschob die Entscheidung auf später und ließ sich von der Wache Bericht erstatten. Spielvogel war wie befohlen mit Geleitschutz für Lena und Anni abgerückt.

      »Und der Bote des Spaniers war wieder da, Herr Major«, schloss der Mann widerstrebend. »Er ist jetzt weg, aber er bittet Euch inständig um eine Unterredung mit seinem Herrn. Der fürchtet um sein Leben, sagt er!«

      Maxilius’ Temperament züngelte schon wieder auf. Wieso hatte der Narr mit der wichtigsten Nachricht bis zuletzt gewartet? Die Antwort lag auf der Hand: Angst vor einem Wutanfall des Vorgesetzten. Herrgott, der Kerl war in der Armee und nicht bei seiner Mutter.

      Ohne sich umzuwenden, brüllte Maxilius: »Hauptmann!«

      Sofort eilte Laurenz an seine Seite. »Herr Major?«

      »Ihr begleitet mich mit vier Mann! Sie sollen Fackeln mitnehmen. Wir werden jetzt dem letzten Spanier von Heidelberg einen Besuch abstatten«, verkündete Maxilius grimmig. »Vorwärts!«

      Im Gleichschritt gingen die vier Männer den Offizieren voraus und leuchteten ihnen den Weg. Hier und da blieben Menschen stehen, um dem militärischen Trupp nachzugaffen, und Maxilius konnte sich die Gerüchte gut vorstellen, die binnen einer Stunde den braven Bürgern das Abendbrot würzen


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