Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels. Silvia Stolzenburg

Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels - Silvia Stolzenburg


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Kruzifix an ihrem Hals.

      Olivera sah sie fragend an. »Das Feuer des Antonius? Wie kommst du darauf?« Bei dieser Krankheit handelte es sich um etwas, das Oliveras Yiayia in Konstantinopel mehrfach versucht hatte zu heilen. Allerdings färbten sich die Glieder der Befallenen bei dieser Krankheit schwarz wie Kohle, da sie von Fäulnis zerfressen wurden. Die meisten starben elendig, einige blieben einem noch elendigeren Leben erhalten, nachdem sie die verfaulten Hände und Füße verloren hatten. Die Krankheit war nach dem Feuer benannt worden, das in den Kranken loderte und viele von ihnen dazu brachte, sich ins Meer zu stürzen.

      »Das Dorf, aus dem ich komme«, sagte die Magd. »Dort gab es so was vor ein paar Jahren. Alle haben es das Anto­niusfeuer genannt.«

      Olivera schüttelte den Kopf. »Du musst dich irren. Das Antoniusfeuer äußert sich anders.«

      »Was ist dieses Antoniusfeuer?«, wollte Martin Groß wissen. »Wie könnt Ihr sicher sein, dass meine Tochter nicht daran leidet? Mit welchen Arzneien wird es behandelt?«

      Olivera nahm die Hände und Füße des kranken Mädchens genauer in Augenschein. »Die Leute in deinem Dorf müssen an einer anderen Krankheit gelitten haben«, beschied sie schließlich. »Dennoch solltet Ihr nach mir schicken, falls sich ihre Extremitäten verfärben«, sagte sie an den Vater gewandt. Dann, nach einem letzten Blick auf das leise stöhnende Mädchen, verließ sie die Kammer und trat wenig später auf die Straße. Wenn sie doch nur wüsste, wie sie dem Kind helfen konnte! Trotz aller Ratlosigkeit beschloss sie, zurück in die Offizin zu gehen und in den gelehrten Büchern nachzuschlagen, die sie von ihrer Großmutter geerbt hatte.

      Kapitel 4

      Vor den Toren von Nürnberg, September 1412

      Jona starrte entgeistert auf die Stelle hinab, an der Cristin wie festgenagelt stand. Sie war totenbleich und ihre Hand zitterte, als sie auf das zeigte, was sie zum Schreien gebracht hatte. Zu ihren Füßen ragte etwas aus der Erde, das selbst bei flüchtigem Hinsehen als ein Arm zu erkennen war – weiß, wachsartig und mit Stofffetzen bedeckt.

      Jona brauchte nur wenige Augenblicke, um zu reagieren. Energisch schob er sie hinter sich und stupste den Arm mit der Schuhspitze an.

      Nichts passierte.

      »Ist das ein toter Mensch?«, fragte Cristin so leise, dass es kaum zu hören war.

      Jona überlegte fieberhaft. Was hatte das zu bedeuten? Wer war der Tote? Und warum war er hier beim Fluss, außerhalb eines Gottesackers verscharrt worden? War er das Opfer von Wegelagerern? Oder handelte es sich gar um den Alten Endris, von dem niemand Genaueres zu wissen schien? Ein anderer, dunklerer Gedanke schlich sich in seinen Kopf, doch er zwang sich, ihn zu unterdrücken. »Das ist nur ein Tierkadaver«, log er, um Cristin zu beruhigen.

      »Bist du sicher? Es sieht aus wie eine Hand.«

      »Ich bin sicher.« Er drehte sich zu ihr um und sah ihr in die Augen, die immer noch vor Furcht geweitet waren. »Geh weiter Pappelrinde sammeln! Ich vergrabe das Tier wieder, damit die Ratten nichts zu fressen haben.« Zu seinem Verdruss zitterte seine Stimme leicht.

      »Aber …«

      »Nun mach schon!« Er fasste sie bei den Schultern und schob sie energisch in Richtung Flussufer. Bei dem, was er vorhatte, konnte er sie nicht gebrauchen.

      »Soll ich nicht lieber …?«

      »Geh!« Er bedachte sie mit einem Blick, der jeglichen weiteren Widerspruch im Keim erstickte.

      Obwohl ihr anzusehen war, dass es ihr widerstrebte, ihm Folge zu leisten, ging sie zurück zum Ufer, wo sie ihren Sack hatte fallen lassen.

      Jona wartete, bis sie so weit fortgegangen war, dass sie ihn nicht mehr beobachten konnte, dann kniete er sich hastig hin und fing an, die Erde mit den Händen zur Seite zu schaufeln. Je weiter er grub, desto mehr wurde von dem Leichnam sichtbar, und schließlich kam der Kopf zum Vorschein. Leere Augenhöhlen glotzten ihn an. Schaudernd betrachtete er den Toten, von dessen Kleidern genug übrig war, um zu erkennen, dass es sich nicht um einen Bauern handelte. »Wer bist du?«, murmelte er. Obwohl sich alles in ihm dagegen sträubte, den Leichnam zu berühren, zupfte er am halb zerfallenen Stoff des Ärmels, unter dem etwas hervorblitzte. Ein Siegelring. »Herr, vergib mir«, flüsterte er, bekreuzigte sich und biss die Zähne zusammen, um den aufsteigenden Ekel zu unterdrücken. Dann zog er an dem Ring, bis er ihn befreit hatte. Schaudernd hielt er ihn ins Licht, wischte den Schmutz ab und runzelte die Stirn. Das Wappen, das noch deutlich auszumachen war, kam ihm bekannt vor. Es war viergeteilt, bestand aus je zwei blau-gelben Feldern mit einem Löwen und zwei schwarz-weißen Feldern mit einem Vogel. Er war sicher, es im Rathaus gesehen zu haben, dort, wo die Wappen der Patrizierfamilien hingen.

      Sein Unbehagen wuchs. Was sollte er tun? Der dunkle Verdacht verstärkte sich, weshalb er beschloss, den Leichnam wieder mit Erde zu bedecken und in Ruhe zu überlegen, was das Klügste war. Ehe er anfing, die Erde zurück auf das Grab zu schaufeln, fiel sein Blick auf die Kehle des Toten. Obwohl er schon eine Weile hier liegen musste, war zu deutlich, dass man sie durchgeschnitten hatte. Fröstelnd zog Jona die Schultern hoch. Er wollte den Leichnam gerade wieder verscharren, als er durch Zufall etwas entdeckte, das ihn zögern ließ. War das ein Schwertknauf, der in einiger Entfernung aus dem Boden ragte?

      »Jona!«

      Er zuckte zusammen.

      »Was machst du denn so lange?« Cristin näherte sich vom Ufer und er beeilte sich aufzustehen und dem Grab den Rücken zu kehren. Auf keinen Fall durfte sie sehen, was er gefunden hatte. »Ich komme sofort!«, rief er.

      »Wieso dauert das so lange? Ich kann nicht noch mehr Rinde sammeln!« Ihre Stimme klang vorwurfsvoll.

      »Ich helfe dir gleich. Mach einfach weiter und geh Schafgarbe suchen!« Er bedeutete ihr mit einem Wink, wieder an die Arbeit zu gehen, und hoffte, dass sie ihn nicht mit Fragen löchern würde. Dann ging er zurück zu dem Grab und stieß mit dem Fuß gegen den vermeintlichen Schwertknauf.

      Das Erdreich hob sich und brachte ein Stück Leder ans Tageslicht.

      »Was zum Henker …?« Erneut kniete Jona sich auf den Boden und fing an, mit den Händen zu graben. Innerhalb kurzer Zeit hatte er ein Schwert, Stiefel und einen weiteren Leichnam von Erde befreit. »Gütiger Jesus!« Er grub weiter und stieß auf noch zwei Tote. Das Grab war flach und schien hastig ausgehoben worden zu sein. Wer auch immer die Männer hier begraben hatte, war davon ausgegangen, dass sie nie gefunden würden.

      Jona spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Obwohl er fürchtete, was ein Teil von ihm längst wusste, zog er das Stück Stoff aus der Tasche, das er im Haus gefunden hatte. Im Sonnenlicht war eindeutig ein Muster zu erkennen, das seine Hand zum Zittern brachte. War das, was er zu wissen glaubte, überhaupt möglich? Die anderen Männer im Grab schienen ebenfalls gewaltsam zu Tode gekommen zu sein. Hatte Gott ihn zu dieser Stelle geführt? Oder war es das Werk des Teufels, der Zweifel in seiner Seele säen wollte? Er stöhnte. Ihm blieb keine Wahl. Hastig schaufelte er das Grab wieder zu, steckte den Ring ein und klopfte sich den Schmutz von der Hose. Niemand durfte jemals erfahren, was er gefunden hatte.

      Mit wild durcheinanderwirbelnden Gedanken machte er sich auf zur Wiese hinter dem Haus, auf der er Cristin fand.

      »Das hat aber lange gedauert!«, beschwerte sie sich. »War es wirklich ein Tier?«

      Jona nickte. Er traute seiner Stimme nicht und fürchtete, sich mit seiner Aufgewühltheit zu verraten. Hastig wandte er sich von ihr ab, bückte sich und fing an, Blumen auszurupfen.

      Kapitel 5

      Die nächsten beiden Stunden verbrachten Jona und Cristin mehr oder weniger schweigend. Wo er konnte, wich er ihr aus. In seinem Kopf herrschte ein wildes Durcheinander, das er nicht zu ordnen vermochte. Vielleicht täuschte er sich. Solange er nicht wusste, wem der Siegelring gehörte, gab es immer noch die Möglichkeit, dass sein Verdacht nichts weiter war als ein Hirngespinst. Warum hatte er seiner Neugier nachgegeben? So oft, wie er deswegen schon in Schwierigkeiten geraten war, sollte er es inzwischen eigentlich besser wissen. Er fuhr


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