Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels. Silvia Stolzenburg

Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels - Silvia Stolzenburg


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genauso erhitzt wie er. »Ich habe Durst.«

      »Dann lass uns nach Hause gehen.« Jona schulterte zwei der Säcke und überließ Cristin den kleinsten. Dann machte er sich auf den Weg zu dem windschiefen Hoftor und trottete in Richtung Stadt.

      »Was für ein Tier war es?«, fragte Cristin, als sie kaum eine halbe Meile hinter sich gebracht hatten.

      »Tier?« Jona war so in Gedanken versunken, dass er die eigene Lüge vergessen hatte.

      »Das ich gefunden habe!« Cristin sah ihn misstrauisch an. »Was ist los mit dir? Du bist schon die ganze Zeit so komisch.«

      »Ich bin nicht komisch!«

      »Doch!«

      »Es war ein Pferd«, log Jona.

      »Wer begräbt denn ein Pferd? Das schlachtet man doch.«

      Jona zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«

      »Es sah gar nicht aus wie ein Pferd«, bohrte Cristin weiter.

      »Himmelherrgott!«, brauste Jona auf. »Glaubst du, ich binde dir einen Bären auf?«

      Sie sah mit vorgeschobener Unterlippe zu ihm hoch, während ihre Augen anfingen zu schwimmen.

      Jona stöhnte innerlich. »Fang doch nicht gleich an zu heulen«, sagte er etwas netter. »Ich wollte dich nicht anblaffen. Tut mir leid.«

      »Ehrlich?«

      Er nickte. »Und jetzt komm. Olivera wartet sicher auf die Pflanzen.«

      Etwas beschwichtigt folgte Cristin ihm zum Hallertürlein, das sie ohne Schwierigkeiten passierten. Von dort gingen sie am Flussufer entlang bis kurz vor das Heilig-Geist-Spital, wo sie sich nach Norden wandten, um über den Marktplatz zur Burgstraße zu gelangen. Als sie das Rathaus passierten, kam Jona ein Einfall. Er bedeutete Cristin, den Sack abzustellen, wurde seine Last ebenfalls los und suchte in der Tasche nach dem Siegelring.

      »Was hast du vor?«, fragte sie, als er Anstalten machte, ihr den Rücken zu kehren.

      »Ich bin gleich wieder da.« Bevor sie protestieren konnte, ließ er sie stehen und lief zu dem tagsüber offen stehenden Tor des Rathauses, das in die große Eingangshalle führte. Auch wenn er schlimme Erinnerungen mit dem Gebäude verband, vor allem mit dem darunter liegenden Lochgefängnis, betrat er die Halle und sah sich um. Es dauerte nicht lange, bis er fand, wonach er Ausschau gehalten hatte. An den Wänden bei der breiten Treppe, die ins Obergeschoss zu den Ratssälen führte, hingen die Wappen der Nürnberger Patrizierfamilien. Trotz des gedämpften Lichts entdeckte Jona den Schild, der dasselbe Motiv trug wie der Ring in seiner Tasche. Familie Paumgartner. Er hatte es befürchtet, nun war es Gewissheit.

      Der Mann, der Oliveras Sohn entführt hatte, war nicht über alle Berge. Er lag auf dem Hof des Alten Endris mit drei weiteren Männern in einem flachen Grab. Und irgendjemand hatte ihm vor dem Verscharren die Kehle durchgeschnitten.

      Als drei Wachen aus dem Obergeschoss auftauchten, machte Jona hastig kehrt und eilte zurück nach draußen.

      Cristin sah ihn mit empört in die Hüften gestemmten Fäusten an. »Was war denn jetzt schon wieder los?«

      »Nichts«, erwiderte er kurz angebunden, hob die Säcke auf und setzte den Weg zum Haus in der Burgstraße fort. Dort angekommen, zwang er sich zu einer ausdruckslosen Miene, ehe er den Verkaufsraum betrat und auf die Offizin zusteuerte. Er hatte keine Ahnung, wie er mit dem, was vorgefallen war, umgehen sollte. Er konnte Götz und Olivera nicht einfach zur Rede stellen und sie mit seinem Verdacht konfrontieren. War es überhaupt möglich, dass sie etwas mit dem Tod der Männer zu tun hatten? Oder waren die Kerle in andere Verbrechen verwickelt gewesen, die sie das Leben gekostet hatten? Er versuchte, nicht an den halb verbrannten Zettel und den Stofffetzen in seiner Tasche zu denken, die anderes vermuten ließen.

      »Olivera ist nicht da«, stellte Cristin fest, als sie die Salbenküche betraten.

      »Dann stell den Sack mit der Pappelrinde dorthin.« Jona zeigte auf eine Ecke, in der sich bereits Weidenkörbe und Tongefäße stapelten.

      Cristin befolgte die Anweisung.

      Da er nicht wusste, wie er sich sonst ablenken sollte, beschloss er, die Schafgarbe auf eines der großen Gestelle im Schuppen zu legen, die eigens zum Trocknen von Kräutern errichtet worden waren. Wenn er sich nicht mit irgendetwas beschäftigte, würde er sich nur weiter mit dem martern, was er entdeckt hatte. Mit Cristin auf den Fersen überquerte er den Hof, zog das schwere Tor auf und betrat den Schuppen. Das Gebäude war groß und trocken und roch nach Heilpflanzen und den Strohballen, die verhindern sollten, dass es zu feucht wurde. Tief in Gedanken versunken schnürte er einen der Säcke auf und holte ein Büschel Pflanzen hervor.

      Cristin tat es ihm gleich.

      Während er die Pflanzen sorgfältig auf dem Gestell verteilte, grübelte er weiter darüber nach, was er tun sollte. Vermutlich ist es das Beste, alles zu vergessen, riet ihm eine innere Stimme. Doch das war leichter gesagt als getan. Schlafende Hunde soll man nicht wecken, dachte er, allerdings ließ ihn die Ungeheuerlichkeit dessen, was er in dem Grab entdeckt hatte, nicht los. Vier tote Männer. Ohne Zweifel entweder im Kampf getötet oder ermordet. Machte er sich nicht mitschuldig, wenn er seine Entdeckung geheim hielt? Und was war mit Cristin? Hatte sie ihm die Lüge abgekauft? Oder ahnte sie, dass er geschwindelt hatte? Wenn sie ausplauderte, was passiert war, würden Olivera und Götz über kurz oder lang dahinterkommen, dass er auf die Leichen gestoßen war. Nachdem er den Sack geleert hatte, wandte er sich Cristin zu und fasste sie nachdenklich ins Auge.

      »Was?«, fragte sie und errötete.

      »Ich glaube, es wäre besser, wenn du niemandem sagst, wo wir die Pflanzen gepflückt haben«, sagte er.

      Sie runzelte die Stirn. »Wieso nicht?«

      »Weil wir uns eigentlich nicht so weit von der Stadt entfernen sollten.«

      »Glaubst du, du bekommst Ärger?«

      Jona nickte.

      »Dann sage ich, wir waren beim Wöhrder Türlein.«

      »Du brauchst meinetwegen nicht lügen, es reicht, wenn wir gar nicht erwähnen, wo wir waren.«

      Cristin nickte.

      »Versprich es!«

      Sie spuckte in die Hand und hielt sie ihm hin. »Versprochen!«

      Jona schlug ein.

      Ehe er noch etwas sagen konnte, ertönte vom Hof her eine Stimme, die ihn aufhorchen ließ.

      »Jona!«

      Ein Prickeln kroch über seine Haut.

      »Jona! Wo bist du?«

      »Ist das Froni?« Cristins Miene verdunkelte sich.

      Jona ließ ihre Hand los, wischte sie sich an der Hose ab und ging so gelassen wie möglich zum Tor. Froni, die neue Küchenmagd, stand im Hof und sah sich suchend um. Sie war ein Jahr jünger als er, zierlich, blond und hatte eine freche Stupsnase. Ihre Locken kräuselten sich unter der kleinen Haube hervor, die keck auf ihrem Hinterkopf saß.

      »Da bist du ja«, rief sie, als sie ihn entdeckte. Sie schien außer Atem zu sein. Ihre Ärmel waren hochgekrempelt, das Gesicht rot vor Anstrengung. Vor ihr auf dem Boden stand ein Korb, halb voll mit Feuerholz.

      »Brauchst du Hilfe?«, fragte Jona.

      Cristins missfälliges Hüsteln hörte er kaum.

      Froni nickte. »Ich weiß nicht, wie ich so viel Holz schleppen soll«, sagte sie verzweifelt. »Aber Irmla wird schimpfen, wenn ich es nicht rechtzeitig schaffe.«

      Jona spürte, wie sich sein Gesicht zu einem einfältigen Lächeln verzog. Ganz gleich, was er anstellte, in Fronis Gegenwart fiel das Gefühl der Überlegenheit, das er in Cristins Nähe verspürte, von ihm ab wie ein mottenzerfressenes Gewand. Mit mehr Kraft als nötig hob er den Korb vom Boden und fragte: »Wie viel brauchst du?« Vergessen war alles, was ihn noch vor wenigen


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