Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels. Silvia Stolzenburg

Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels - Silvia Stolzenburg


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andere Gedanken in seinen Kopf zurück. Nachdem er ihr geholfen hatte, das Feuerholz in die Küche zu schleppen, warf er aus der Ferne einen Blick in den Schuppen, in dem Cristin damit beschäftigt war, Schafgarbe auszulegen. Einen Augenblick lang verharrte er unschlüssig auf der Stelle, ehe er tief Luft holte und beschloss, sich Gewissheit zu verschaffen. Wenn er sich irrte, waren all die Vermutungen, war der Verdacht, der an ihm fraß, haltlos. Falls er jedoch recht hatte … Was dann? Er steckte die Hand in die Tasche und umklammerte den Stofffetzen, den er im Haus des Alten Endris entdeckt hatte. Es gab keine andere Möglichkeit. Er musste einfach in Erfahrung bringen, was dort vorgefallen war!

      Selbst wenn ihm nicht wohl war bei der Vorstellung, sich durch Oliveras persönliche Dinge zu wühlen, blieb ihm keine andere Wahl. Ohne Gewissheit würde er keine Ruhe finden. Nachdem er sich im Hof umgesehen hatte, ging er zurück ins Haus und erklomm die Treppe ins Obergeschoss. Dort hielt er inne, lauschte kurz und huschte dann weiter zu der Tür, hinter der sich die Kammer befand, in der Olivera ihre Kleidertruhen aufbewahrte. Zu seiner Erleichterung war der Raum nicht abgeschlossen, weshalb es ihm ohne Schwierigkeiten gelang hineinzuschlüpfen. Mit hämmerndem Herzen lehnte er sich gegen die Tür und wartete, bis sich sein Puls etwas beruhigt hatte. Dann sah er sich in der kleinen Kammer um.

      Durch ein Fensterchen am anderen Ende fiel etwas Licht auf den Dielenboden, der nach frischem Wachs roch. Links von ihm standen große Holztruhen mit schweren Deckeln, rechts befanden sich einige Körbe mit Tuch. Da er nicht wusste, wo er anfangen sollte, entschied er sich für die Truhe, die ihm am nächsten war, hob den Deckel an und blickte hinein.

      »Männersachen«, murmelte er enttäuscht.

      In der zweiten Truhe hatte er mehr Glück. Darin lagen, fein säuberlich zusammengelegt, Kleider in leuchtenden Farben, lange Gewänder und die dunklen Mäntel und Überwürfe, die Olivera im Herbst und Winter trug. Hastig zog Jona das Stück Stoff aus der Tasche und fing an, die Stapel zu durchwühlen. Mit jedem Kleid, das nicht zu dem Fetzen passte, wollte sich Erleichterung in ihm breitmachen, doch am Boden der Truhe wurde er schließlich fündig.

      »Heiliger Johannes!«

      Seine Hand zitterte, als er das Kleidungsstück hervorzog, um es mit dem Stofffetzen in seiner Hand zu vergleichen.

      Das Muster war ein und dasselbe.

      Obwohl er an einen Zufall glauben wollte, breitete er das Kleid aus und fand die Stelle, an der es beschädigt war. Es gab keinen Zweifel mehr: Olivera war auf dem Hof des Alten Endris gewesen. Irgendetwas musste dort vorgefallen sein, das zum Tod der vier Männer geführt hatte. Jona wurde flau im Magen, als er sich der Tragweite seiner Entdeckung bewusst wurde. Allem Anschein nach hatten Götz und Olivera etwas mit den Toten zu tun oder deckten jemanden – ihren Bruder Markos, der wie vom Erdboden verschluckt war.

      Lange Zeit blickte er auf das Kleid hinab, ehe die Erstarrung von ihm abfiel. Er legte es wieder zusammen und verstaute es in der Kiste. Niemand durfte bemerken, dass er in der Kammer gewesen war. Was er mit seinem Wissen anfangen sollte, wusste er nicht. Er konnte Götz und Olivera nicht zur Rede stellen. Was sollte er auch sagen? Was, wenn er sich irrte und es für alles eine Erklärung gab? Er steckte den Stofffetzen ein und verwünschte sich für seine Neugier. Warum musste er seine Nase immer in Angelegenheiten stecken, die ihn nichts angingen? Hatte er nicht schon oft genug bewiesen, wie töricht er war?

      Mit einem Seufzen ging er zur Tür, verließ die Kammer und wandte sich dem Korridor zu. Zu spät bemerkte er Mathes, der am anderen Ende des Ganges aus der Stube kam.

      Die Augen des Knechtes weiteten sich. Dann trat eine steile Falte auf seine Stirn. »Was hast du hier oben zu suchen?«, knurrte er und kam mit geballten Fäusten auf ihn zu.

      Jona wich einen Schritt zurück, obwohl er Mathes inzwischen um einen halben Kopf überragte.

      »Was tust du hier?«, wiederholte der Knecht die Frage. Sein Blick wanderte zu der Tür der Kammer, aus der Jona gekommen war, und seine Miene wurde noch argwöhnischer. »Wolltest du lange Finger machen?«

      Jona suchte verzweifelt nach einer Lüge, aber ihm fiel keine ein.

      »Antworte, du kleine Kröte!« Mathes packte ihn beim Schlafittchen und holte aus, um ihm eine Ohrfeige zu versetzen.

      Doch die Zeit, in der Jona sich vor ihm gefürchtet hatte, war vorbei. Er wich dem Schlag aus, befreite sich aus Mathes’ Griff und hob abwehrend die Hände. »Lass das!«, sagte er so ruhig wie möglich.

      Mathes’ Gesicht färbte sich rot vor Wut. Er holte erneut aus, dieses Mal mit der Faust.

      Auch dieser Schlag ging ins Leere.

      »Hör auf damit!« Jona parierte einen weiteren Hieb, indem er Mathes’ Arm zur Seite schlug. »Du verprügelst mich nicht mehr!«

      »Das werden wir ja sehen!« Schäumend vor Wut löste Mathes seinen Gürtel, legte ihn zusammen und ließ ihn durch die Luft sausen.

      Jona fing ihn mühelos ab. Mit einer blitzschnellen Bewegung verdrehte er das Leder und entwand Mathes den Gürtel.

      »Du verdammter kleiner Mistkerl!«, tobte der Knecht und fing an, blindlings auf Jona einzuschlagen.

      Da ihm nichts anderes übrig blieb, setzte Jona sich zur Wehr. Zwar musste er ein paar Schläge einstecken, doch schließlich gelang es ihm, Mathes zu überwältigen und mit einem Hieb ans Kinn zu Boden zu strecken. Ehe der Knecht sich aufrappeln konnte, war er bei ihm, kniete sich auf seine Brust und hob drohend die Faust. »Ich habe gesagt, du sollst aufhören«, knurrte er. »Wenn du noch einmal versuchst, mich zu verprügeln, schlage ich dir den Schädel ein. Das schwöre ich bei Gott!«

      Mathes erbleichte. Sein Atem kam abgehackt und stoßweise, aus seiner Nase floss Blut.

      Auch Jona hatte einige Blessuren davongetragen, eine aufgeplatzte Lippe und ein blaues Auge, doch nichts im Vergleich zu dem, was Mathes ihm früher zugefügt hatte.

      »Du dreckiger kleiner Dieb!«, zischte Mathes.

      »Ich bin kein Dieb! Ich weiß nicht, wie oft ich dir das noch sagen muss!« Jona verstärkte den Druck seines Knies, als Mathes versuchte, sich aufzubäumen, um ihn abzuschütteln.

      »Was ist denn hier los?«

      Jona erstarrte.

      Mathes’ Blick wanderte zum Treppenabsatz, auf dem Götz stand und mit grimmiger Miene auf das blickte, was sich seinen Augen bot.

      »Was, bei allen Heiligen, soll das? Lass ihn sofort los, Jona!«

      Widerwillig nahm Jona das Knie von Mathes’ Brust und ballte die Fäuste, um sich zu wehren, sollte der Knecht ihn erneut angreifen.

      Mathes rappelte sich mit einer Verwünschung auf.

      »Der kleine Mistkerl wollte euch bestehlen«, behauptete er. »Ich habe ihn erwischt, wie er aus der Kleiderkammer kam.«

      Götz’ Gesicht verdunkelte sich. »Stimmt das?«, wandte er sich an Jona.

      Einen Augenblick überlegte Jona, alles abzustreiten. Aber was würde das bringen? Götz würde ihm ohnehin nicht glauben, vor allem nicht, wenn er den Stofffetzen in seiner Tasche fand. Deshalb wischte er sich mit dem Handrücken das Blut vom Mund und sagte: »Ich weiß, was ihr getan habt.«

      Kapitel 9

      »Nicht! Paul, lass das!« Gerlin löste sich mit einem Lachen von dem jungen Mann, der sie hinter eines der Wirtschaftsgebäude im Spital gezogen hatte, um sie zu küssen. Er war schlank, quirlig und so blond, dass sein Haar fast weiß wirkte. Seit einem halben Jahr war er der Gehilfe des Medicus Matthäus, kümmerte sich um Harngläser, Ohrenschalen und die Instrumente des Arztes und sorgte dafür, dass die Kranken sich an die Vorschriften der Schonkost hielten, die Matthäus ihnen verordnete.

      »Wieso?« Seine grauen Augen blitzten schelmisch. »Gefällt es dir nicht?«

      Gerlin spürte, wie sie bis an den Haaransatz errötete. Nach ihrer Befreiung aus dem Hurenhaus hatte sie sich geschworen, nie wieder zuzulassen, dass die Hände eines Mannes sie berührten.


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