Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels. Silvia Stolzenburg

Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels - Silvia Stolzenburg


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sich unbeobachtet zu treffen. So war jeder Moment mit Paul wertvoll.

      Sie fühlte das Prickeln und Brodeln in ihrer Brust, als Paul erneut ihre Lippen mit den seinen verschloss. Vorsichtig tastete er sich weiter vor, bis sich ihre Zungen in einem wilden Tanz liebkosten. Seine Berührung war so berauschend, dass Gerlin das Gefühl hatte, die Welt würde sich immer schneller um sie drehen. Obwohl sie wusste, dass ihr Verhalten sündig war, konnte sie sich nicht gegen Pauls Anziehungskraft wehren.

      Seine Hände wanderten an ihrem Rücken entlang zu ihrem Gesäß.

      »Nicht!« Sie wich vor ihm zurück und schüttelte den Kopf. »Wenn uns jemand sieht!«

      Paul grinste. »Wer soll uns hier schon sehen? Außer den Spatzen auf den Dächern ist doch niemand in der Nähe.« Er machte Anstalten, sie erneut an sich zu ziehen.

      »Ich … ich kann nicht«, stammelte Gerlin. Er wusste nichts von ihrer Vergangenheit, von dem, wozu man sie monatelang gezwungen hatte. Wenn er es herausfand …

      »Ich dachte, du magst mich«, sagte er mit einem verletzten Unterton.

      »Ich mag dich sogar sehr«, gab Gerlin zurück. »Aber …«

      »Ich bin nicht nur auf ein Abenteuer mit dir aus«, unterbrach Paul sie. »Ich verdiene gutes Geld bei Matthäus. Genug, um eine Familie zu unterhalten.«

      Gerlin sah ihn ungläubig an.

      »Könntest du dir vorstellen …« Er zögerte einen Augenblick. »Würdest du …«

      Gerlin hob die Hand und legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Sag nichts, was du bereuen könntest.«

      »Ich will, dass du meine Frau wirst«, platzte es aus ihm heraus.

      Gerlin glaubte, nicht richtig zu hören. »Du willst, dass wir heiraten?«

      Er nickte. »Ich will dich nicht zu einer unehrlichen Frau machen«, beeilte er sich zu sagen. »Das wäre nicht recht.«

      In Gerlin breitete sich eine bleierne Schwere aus. Sie war es nicht wert, dass er seine Liebe an sie vergeudete. »Ich …«, hob sie an, doch die Worte wollten nicht kommen.

      »Du musst dich nicht sofort entscheiden«, sagte Paul. »Aber denk darüber nach. Bitte.«

      Gerlin senkte den Blick. Du musst es ihm sagen! Der Gedanke ließ sie einen Schritt zurückweichen.

      »Gerlin?« Er sah sie mit einer Mischung aus Bangigkeit und Enttäuschung an. »Gibt es einen anderen?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Nein!«

      »Dann bin ich nicht gut genug?«

      Tränen stiegen in ihr auf. »Du bist mehr als gut genug«, flüsterte sie. »Ich …« Die Worte wollten nicht über ihre Lippen.

      »Gerlin?« Er griff nach ihrer Hand.

      Sie wagte nicht, ihn anzusehen. Zu groß war die Scham, zu gewaltig die Angst, dass er die Schande in ihren Augen lesen könnte.

      Ein Rascheln und das Geräusch von Schritten, die sich näherten, retteten sie. Wäre sie doch bloß nie auf Pauls Werben eingegangen! Wenn sie ihn von Anfang an zurückgewiesen hätte, müsste sie ihn jetzt nicht so verletzen.

      Paul ließ ihre Hand los. Zwei Mägde näherten sich und rissen erstaunt die Augen auf, als sie die beiden sahen.

      Hastig strich Gerlin sich die Röcke glatt, mied Pauls Blick und eilte an den Mägden vorbei zurück in Richtung Hanselhof. Wie hatte sie nur so töricht sein können? Wusste sie es nicht besser? Sie war eine Hure, und nichts, absolut nichts, konnte daran etwas ändern! Welcher anständige Mann würde eine wie sie zur Frau haben wollen? Sie musste ihr Herz verhärten. Paul hatte etwas Besseres verdient als sie. Mit einer heftigen Bewegung wischte sie sich über die Augen und floh in die Siechen­stube.

      Kapitel 10

      Götz starrte Jona fassungslos an. Was zum Henker meinte der Bengel? »Du weißt, was wir getan haben?«, fragte er gefährlich ruhig.

      Jona brachte Abstand zwischen sich und Mathes, der inzwischen wieder auf die Beine gekommen war.

      Der Knecht zog wütend ein Tuch aus der Tasche und drückte es auf seine blutende Nase. »Das zahle ich dir heim!«, knurrte er.

      »Hier wird gar nichts heimgezahlt!« Götz verschränkte die Arme vor der Brust. »Was hattest du hier oben zu suchen?« Er sah Jona scharf an.

      »Ich war heute beim Hof des Alten Endris«, erwiderte der Junge.

      Götz stockte der Atem. »Wieso …«

      »Ich habe damals den Zettel gesehen, den ihr in den Kamin geworfen habt«, erklärte Jona. »Darauf war zwar nicht mehr viel zu erkennen, aber irgendwann habe ich eins und eins zusammengezählt.«

      Götz erstarrte. Wie war es möglich, dass ihnen jemand auf die Schliche gekommen war? Hatten sie nicht alles getan, um jene unglückselige Nacht zu begraben wie die Leichen von Paumgartner und seinen Gehilfen? Seit dem Vorfall hatten Olivera und er kaum darüber gesprochen. Zwar hatte sie kurz nach Markos’ Verschwinden eine Weile befürchtet, er könnte wieder auftauchen, doch diese Furcht hatte sich im Lauf der Zeit gelegt. Ihr verdammter Bruder war über alle Berge und würde es mit Sicherheit nie wieder wagen, in ihre Nähe zu kommen. Falls doch, würde Götz ihn eigenhändig umbringen!

      Jona zog etwas aus der Tasche und hielt es ihm hin: einen Ring und ein schmutziges Stück Stoff.

      »Was soll das sein? Woher hast du das?«

      »Das habe ich im Haus des Alten Endris gefunden.« Jona hielt den Stofffetzen hoch. »Und den Ring habe ich in dem Grab gefunden. Er gehört Paumgartner.«

      Mathes sog hörbar die Luft ein. Er warf Götz einen fragenden Blick zu, während seine Hand zu dem Messer an seinem Gürtel wanderte, den er wieder angezogen hatte.

      Götz schüttelte den Kopf.

      »Der Stoff gehört zu einem von Oliveras Kleidern«, fuhr Jona fort. »Ihr wart dort. Was ist passiert?«

      »Das geht dich einen Scheißdreck an, du kleine Made!« Mathes machte Anstalten, sich erneut auf Jona zu stürzen.

      »Lass ihn in Ruhe!«, befahl Götz. Es hatte keinen Zweck zu leugnen, dass sie auf dem Hof des Alten Endris gewesen waren. Er kannte Jona inzwischen gut genug, um zu wissen, dass der Bengel nicht locker lassen würde. Wäre er nicht gewesen, würde sein Sohn Lukas nicht mehr leben. Auch Olivera verdankte Jona ihr Leben, folglich gab es nur einen Ausweg. Er musste ihm die Wahrheit sagen. »Komm mit in die Stube«, seufzte er.

      »Was?«, erboste sich Mathes. »Du willst ihm doch hoffentlich nicht …«

      »Er weiß es ohnehin schon«, fiel Götz ihm ins Wort. An Jona gewandt sagte er: »Wir haben Paumgartner nicht getötet. Das war Markos.« Er kehrte den beiden Streithähnen den Rücken und ging in die Stube. Sie folgten ihm. Dort ließ er sich auf einen Stuhl fallen und erzählte Jona alles, was in der Nacht geschehen war.

      »Er hat euch in den Keller eingesperrt?« Jona sah ihn fassungslos an. »Aber er muss doch gewusst haben, dass er damit Lukas zum Tod verurteilt!«

      »Das war ihm gleichgültig«, seufzte Götz. »Er hatte es einzig und allein auf den Stein der Weisen abgesehen.« Er spürte die altbekannte Wut in sich aufsteigen.

      »Ich habe das Grab wieder zugeschaufelt«, sagte Jona. »Aber wenn ich es entdeckt habe, findet es früher oder später ein anderer. Ich habe gehört, dort soll eine neue Straße gebaut werden.«

      Götz stöhnte. »Dann müssen wir die Leichen dort wegschaffen.«

      Mathes ließ das blutige Tuch sinken. »Wie stellst du dir das vor? Willst du einfach hinfahren, sie ausbuddeln und … was? In den Fluss werfen?«

      »Ohne den Ring wird niemand wissen, dass es sich bei einem der Toten um Paumgartner handelt«, sagte Jona. Er legte das Schmuckstück auf den Tisch.

      Götz


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