Partnerschaft und Sexualität. Monika Röder

Partnerschaft und Sexualität - Monika Röder


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Die vorgestellten Theorien, Studien und Methoden zeigen unsere persönliche Auswahl und basieren auf unseren beruflichen Erfahrungen.

      Aufbau des Buches

      Im ersten Teil des Buches betrachten wir zunächst die Situation von Paaren in unserer Gesellschaft. Wir stellen Erkenntnisse der Paarforschung vor zur Frage, was Paare glücklich und was sie unglücklich macht. Wir beleuchten zentrale sexuelle Themen von Paaren wie Lustlosigkeit oder Außenbeziehungen und fokussieren uns dabei immer mehr von einem weiten gesellschaftlichen Blick über die Betrachtung der Paarbeziehung bis hin zu einem Verständnis internaler Dynamiken im Menschen.

      Im zweiten Teil reflektieren wir die paar- und sexualtherapeutischen Theorien und Behandlungsansätze, die die Basis für unsere Arbeit darstellen, und veranschaulichen die Integration dieser Ansätze in unserem Stabilisierungs-Wachstumsmodell. Dieses Modell orientiert sich an dem neurobiologischen Axiom, dass es zuerst Sicherheit und Stabilisierung braucht, bevor Wachstum und Entfaltung möglich sind.

      Der dritte Teil des Buches beschreibt die Praxis der Arbeit mit Paaren. Wir zeigen, wie man einen sicheren Rahmen schaffen und eine stabile, warme und tragende Beziehung aufbauen kann. Wir beschreiben, wie man die eskalierte Paardynamik zuerst stabilisieren und damit eine Beruhigung der übererregten autonomen Nervensysteme erreichen und anschließend vertieft an den Themen des Paares arbeiten kann. Zentral sind dabei die Selbstregulation der Partner und die partnerschaftliche Regulation. Aber auch die Sexualität, traumatische Erlebnisse und Verletzungen durch eine Außenbeziehung können zum Inhalt der therapeutischen Arbeit werden. Im gesamten Prozess leitet uns der Gedanke, sowohl den Kontakt der Personen zu sich selbst als auch zueinander zu fördern. Es ist uns ein Anliegen, Kolleginnen und Kollegen, die an der Paararbeit interessiert sind, zu ermutigen, ihre bereits erlernten Methoden zu nutzen und mit den hier vorgestellten Möglichkeiten zu ergänzen. So kann sich ein eigener Stil entwickeln, der sich stimmig anfühlt und dadurch authentisch und kongruent ist.

      Teil I: Hintergründe

      Im ersten Teil dieses Buches geht es um die Hintergründe von Partnerschaft und Sexualität: Wir beginnen mit einem Blick auf die Gesellschaft, also auf die Welt, in der Paare leben, und fokussieren uns dann immer mehr: Zuerst schauen wir durch die Brille der Paar- und Sexualforschung auf Partnerschaften und werfen anschließend einen Blick »ins Schlafzimmer«. Schließlich schauen wir »in die Person hinein«, beschäftigen uns mit zentralen Funktionen des Gehirns und Nervensystems und versuchen dabei die Auswirkungen auf das Beziehungsverhalten und die Sexualität besser zu verstehen.

      Dabei begleiten uns folgende Fragen:

      • Wie lieben und worunter leiden Paare?

      • Wodurch wird eine Beziehung schwierig?

      • Welche Partnerschafts- und Sexualprobleme sind »normal«?

      • Und wie erhalten Paare ihre Zufriedenheit in der Partnerschaft und Sexualität?

      

      1 Blick auf die Gesellschaft

      Eine Partnerschaft ist kein abgeschlossenes, autarkes System. Wir Menschen interagieren ständig mit unserer Umwelt und werden umgekehrt von ihr beeinflusst. Das macht auch Partnerschaften zu hochkomplexen Gebilden.

      Im ersten Kapitel beschreiben wir den Kontext, welcher die Paare, die in die Paarberatung kommen, umgibt. Wie wirkt sich der gesellschaftliche Wandel auf Partnerschaften aus? Welches sind die Themen, mit denen wir in Paartherapie und Beratung konfrontiert sind?

      1.1 Bindung und Autonomie – ein Dilemma

      Menschen sind soziale Wesen. Sie streben nach Sicherheit und stabiler zwischenmenschlicher Bindung. Nur so können sie sich entfalten und wachsen. Ohne Spiegelung und Co-Regulation durch einen liebevollen Anderen ist unser menschliches System in stetiger Alarmbereitschaft und kann sich nicht entwickeln (Dana, 2019).

      Entsprechend waren die Strukturen früher Gesellschaftsformen vor allem dem Überleben in einer gefährlichen Welt geschuldet. Es entwickelten sich Sippen, die das Leben des Individuums vor Naturgewalten, Feinden und Tieren schützten. Existenzielle Bedürfnisse nach Nahrung, Wärme und Sicherheit mussten zuerst versorgt werden.

      In den vergangenen Jahrhunderten ging es dann aber für viele Menschen nicht mehr hauptsächlich um das blanke Überleben in einer feindlichen Welt. Sie hatten sichere Behausungen, sorgten durch Anbau und Handel für eine die Grundbedürfnisse abdeckende, zuverlässige Ernährung und konnten sich somit höherrangigen Bedürfnissen zuwenden: Zunehmend zeigten sich soziale Anliegen nach Zugehörigkeit, Bindung und Bestätigung. Innerhalb gesellschaftlicher Schichten entstanden institutionalisierte Formen von Beziehungen wie etwa arrangierte Ehen, um den Besitz zu sichern und zu mehren.

      In unserer hochentwickelten westlichen Welt sind diese Anliegen ebenfalls weitestgehend gesichert; es treten noch höherrangige Ziele auf den Plan: Der zivilisierte Mensch strebt nach individueller Bedürfnisbefriedigung und Selbstverwirklichung.

      Konnten Partnerschaften des 18. und 19. Jahrhunderts sich noch an relativ verlässlichen Regeln orientieren, entstand in der Moderne ein neuartiger Heiratsmarkt: Ehen wurden kündbar und Partnerwahlkriterien subjektiv. Geliebt wurde nicht mehr nur in den eigenen Reihen, sondern quer durch die Gesellschaft. Kriterien wie physische Attraktivität, Persönlichkeit oder erotische Anziehung eines Menschen wurden zu maßgebenden Orientierungsgrößen für die Partnerwahl. Sie bestimmen heute den partnerschaftlichen »Tauschwert«. Gemäß der Soziologin Eva Illouz lieben wir heute nach den Regeln des Konsums (2012).

      Was bedeutet das für die Stabilität von Bindungen? Während im Jahr 1992 sieben von 1000 bestehenden Ehen geschieden wurden, endeten 2019 elf von 1000 Ehen vor dem Scheidungsrichter (Statistisches Bundesamt, 2020). Auffällig ist dabei, dass sich Paare später als in früheren Jahren scheiden lassen: Im Jahr 1992 war die Dauer der geschiedenen Ehen im Durchschnitt elf Jahre und sechs Monate. Im Jahr 2011 endeten die Ehen dagegen durchschnittlich nach 14 Jahren und sechs Monaten. Die Anzahl der Paare, die sich nach einer langen Ehedauer scheiden lassen, ist also angestiegen. »Die erste große Trennungswelle in deutschen Großstädten kommt nach vier Ehejahren, die zweite nach fünfundzwanzig und die dritte nach der goldenen Hochzeit« (Schönberger, 2016, S. 36).

      Doch das ist es nicht, was viele Menschen wollen – weder alt noch jung: Jugendstudien haben wiederholt gezeigt, dass Familie, Partnerschaft und soziale Beziehungen die wichtigsten Wertorientierungen junger Menschen sind. Die »bürgerliche Normalbiografie« ist das neue Leitmotiv (Albert et al., 2019; Calmbach et al., 2020). Auch eine Berner Studie belegt, dass offene oder polyamore Liebesbeziehungen gegenüber 81 % monogamen Beziehungen eher ein Schattendasein führen (Borgmann, Gloor & Spahni, 2019).

      Die Bindungstheorie, welche Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie und Bindungsforschung zusammenfasst, belegt, dass Menschen ein angeborenes Bedürfnis haben, enge, gefühlsintensive Beziehungen aufzubauen. Den meisten Menschen gelingt das auch; sie können als sicher gebunden bezeichnet werden. In der Berner Studie weisen 65 % der Frauen und 70 % der Männer eine sichere Bindung auf. Diese Menschen sind mit ihrer Beziehung und auch mit ihrer Sexualität zufriedener als unsicher gebundene Menschen (ebd.).

      Bei den unsicher gebundenen Personen zeigte sich in der Studie wie auch in anderen Forschungsarbeiten ein Geschlechterunterschied. Frauen weisen im Durchschnitt eine höhere Bindungsangst auf als Männer: Sie fürchten sich davor, abgelehnt zu werden und sind sehr auf die Bestätigung durch andere sowie die Verfügbarkeit und Erreichbarkeit des Partners angewiesen. Unsicher gebundene Männer hingegen zeigen eher Bindungsvermeidung: Sie haben ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Eigenständigkeit und vermeiden Abhängigkeit und eine zu starke Intimität. Es fällt ihnen schwer sich zu öffnen (Borgmann et al., 2019).

      Das Bedürfnis nach Bindung und der gleichzeitige Wunsch nach Autonomie führt bei vielen Menschen zu einer Bedürfniskollision: Sie sehnen sich einerseits nach Stabilität, Sicherheit und Treue und suchen andererseits individuelle Bedürfnisbefriedigung und Selbstverwirklichung. Die Lösung


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