Partnerschaft und Sexualität. Monika Röder
oder gar keinen Sex haben. Emotionale Intimität, das Gefühl von Verbundenheit und Freundschaft sind für sie die wichtigeren Stützen ihrer Beziehung. Bei einem Großteil der Paare, die in die Paartherapie kommen, ist allerdings mindestens einer unzufrieden mit dem gemeinsamen Sexualleben. Und auch bei einem Teil der Paare, die sich mit dem Statement »Sex muss nicht sein« vorstellt, wird bei näherem Nachfragen deutlich, dass es durchaus ein Bedauern darüber gibt, dass die Sexualität in der Partnerschaft eingeschlafen ist. Allerdings haben die betroffenen Paare bisher keinen Weg aus der Situation herausgefunden und sich daher (fast) damit abgefunden.
Für viele Paare geht mit dem Verlust von Sexualität etwas Zentrales in ihrer Zweisamkeit oder auch Hilfreiches zur Festigung der Beziehung verloren: »Ohne die unterstützende und ermutigende Wirkung dieser Urform der Verschmelzung und Nähe (die mit Berührung, Vergnügen und Entspannung einhergeht), fehlt der positive emotionale Puffer zum Abfangen der Stöße, die in jeder Beziehung vorkommen…« (Greenberg & Goldman, 2010, S. 423). Nach Kernberg hat die sexuelle Leidenschaft das Potenzial, das ganze Leben hindurch Liebesbeziehungen zu energetisieren, zu festigen und zu erneuern (1998).
Aber es gibt auch Paare, die trotz seltener werdendem Sex nicht unzufrieden mit ihrer Sexualität sind (Bucher, Hornung & Buddeberg, 2003). Geborgenheit und Nähe durch Kuscheln und Berühren sind diesen Paaren wichtiger als Geschlechtsverkehr.
Die Bedeutung von Sexualität und die sexuelle Zufriedenheit sind Themen, die in Paarberatungen mit dem jeweiligen Paar bzw. den beiden Einzelpersonen reflektiert werden sollten. Eine grundsätzliche »Pro-Sex«-Position, die in vielen Publikationen zur Sexualität in Paarbeziehungen vertreten wird (Von Sydow & Seiferth, 2015), wird der Vielfalt der Paare nicht gerecht.
Aber was ist eigentlich »sexuelle Zufriedenheit«? Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht. Clement schlägt vor, sexuelle Zufriedenheit als Abwesenheit der Ambivalenz zwischen Selbstbild und gelebter Realität zu definieren (2016). Positiv ausgedrückt geht es also um die Passung von Selbstbild und gelebter Sexualität. Es kann auch stimmig sein, keinen oder seltenen Sex zu haben. Jede Person entscheidet selbst, welche Handlungen zu ihr passen und wie das eigene sexuelle Handeln erlebt wird.
Sexuell zufrieden zu sein führt sowohl zu weniger Stresserleben, Angst und Depression als auch zu höherer Lebenszufriedenheit (Borgmann et al., 2019). Viele Studien bestätigen, dass sexuelle Zufriedenheit und Partnerschaftszufriedenheit stark zusammenhängen (Schönbucher, 2017; Von Sydow & Seiferth, 2015). Wird die sexuelle Beziehung positiv bewertet, ist ihr Einfluss auf die allgemeine Partnerschaftszufriedenheit klein. Wendet sich aber das Blatt und der Sex wird zum Problem, stellt die sexuelle Unzufriedenheit ein großes Problem für die Partnerschaftszufriedenheit dar. Sexuelle Probleme erhalten dabei oftmals ein übergroßes Gewicht und verdrängen positive Gefühle (Mc Carthy & Mc Carthy, 2013).
Konflikte über die Häufigkeit von Sex gehören zu den verbreitetsten Problemen in Partnerschaften. Vor allem Männer wünschen sich mehr Geschlechtsverkehr mit ihren Partnerinnen. Insbesondere Männer über 40 sind mit der Sexualität in ihrer Partnerschaft unzufrieden; für viele Männer ist seltener oder unbefriedigender Sex ein Trennungsgrund (Margelisch & Perrig-Chiello, 2016). Nicht selten entstehen bezüglich der Häufigkeit von Sex stark polarisierte Positionen – einer will immer, der andere nie – die bei manchen Paaren regelrecht zu Flucht und Verfolgungskämpfen führen. Dieser erbitterte Konflikt hat das Potenzial, die gesamte Paarbeziehung zu vergiften (Dym & Glenn, 1997).
Einer der wichtigsten Einflussfaktoren auf das sexuelle Begehren ist die Beziehungsdauer. Zu Beginn einer Beziehung befindet sich das Paar in einer Flow-Phase, in der alles aufregend ist. Das elektrisierende Gefühl jeder Berührung und jedes Gedankens an den anderen ist hormonell gepusht. Damit ist die Beziehungsdauer ein wichtiger Einflussfaktor für die Häufigkeit sexueller Begegnungen. Laut Brähler und Berberich haben Paare bei einer Beziehungsdauer von 3 bis 5 Jahren unabhängig vom Alter gleich häufig Geschlechtsverkehr; und bei einer Beziehungsdauer von 21 bis 30 Jahren haben 45-Jährige nicht häufiger Sex als 60-Jährige (2008).
Ebenso ist der sexuelle Genuss anfangs höher. In neueren Partnerschaften genießen Männer und Frauen laut Befragungen den Sex gleichermaßen (Hatfield et al.,1988). Auch dieses Phänomen ist unabhängig vom Alter der Partner.
In längeren Beziehungen nimmt dagegen sowohl der Genuss als auch die Lust auf Sex ab (Schmidt, 1998). In den Partnerschaften reduziert sich also die Häufigkeit in den ersten sechs Jahren. Danach pendeln sich die sexuellen Begegnungen auf einem bestimmten Niveau ein (Schmidt, Matthiesen & Meyerhof, 2004).
In Studien zeigt sich eine breite Streuung der Häufigkeit sexueller Begegnungen. In der Berner Studie gab ein knappes Drittel der Männer und Frauen mit durchschnittlich 7-jähriger Beziehungsdauer an, drei- bis viermal monatlich Geschlechtsverkehr zu haben. Ein weiteres Drittel verkehrte mehrmals pro Woche miteinander. 8 % schlafen seltener als einmal im Monat zusammen und 3 % nahezu täglich (Borgmann et al., 2019). Hier muss allerdings ebenfalls die oben angesprochene größere sexuelle Aufgeschlossenheit von Studienteilnehmern berücksichtigt werden.
Interessante Erkenntnisse kommen aus einer Studie von Velten, Brailovskaia und Markgraf, die im Gegensatz zu den anderen Studien feststellten, dass weder das Alter der Partner noch die Länge der Beziehung bestimmende Faktoren für die sexuelle Zufriedenheit waren (2018). Sie erkannten vielmehr einen Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen auf die sexuelle Funktion (z. B. Orgasmusfähigkeit). In der Studie zeigte sich, dass gewissenhafte Menschen im Gegensatz zu spontanen über eine bessere sexuelle Funktion verfügten.
3.2 Selbstbefriedigung, Fantasien und Pornografiekonsum
Selbstbefriedigung ist für die meisten Menschen ein wichtiger Teil der Sexualität und wird unabhängig von Geschlecht, Beziehungsstatus, sexueller Orientierung und Alter praktiziert. 94 % der Frauen und 98 % der Männer geben an, sich innerhalb der letzten 12 Monate selbst befriedigt zu haben. Auch bei 32 % der in Partnerschaft Lebenden ist Selbstbefriedigung genauso wichtig wie sexuelle Aktivitäten mit dem Partner; bei 12 % ist sie sogar wichtiger oder viel wichtiger. Ein Orgasmus – also eine körperliche wie auch emotionale Entladung – wird allerdings von beinahe Dreiviertel der Befragten beim Geschlechtsverkehr erlebt. Bei der Selbstbefriedigung steht die körperliche Entladung im Vordergrund (Borgmann et al., 2019).
Joyal, Cossette und Lapierre von der Université du Québec, Montréal befragten Frauen und Männer im Durchschnittsalter von 30 Jahren zu ihren sexuellen Fantasien (2015): Für knapp 85 % der Frauen und 78 % der Männer ist Sex in einer besonders romantischen Atmosphäre eine beliebte Fantasie. Über Seitensprünge fantasieren gut 83 % der Männer in Beziehungen und 66 % der Frauen. Sex mit zwei Frauen stellen sich knapp 85 % der Männer vor, und 31 % der Frauen denken über Sex mit zwei Männern nach.
Ein großer Anteil der Frauen (knapp 65 %) hat laut der Untersuchung Unterwerfungsfantasien. Unter den Männern stellen sich 53 % vor, sexuell dominiert zu werden. Die Fantasie, geschlagen zu werden, haben ebenfalls mehr Frauen – 36 % im Vergleich zu knapp 29 % der Männer. Die Vorstellung, einen anderen Menschen zu dominieren, gefällt im Schnitt 47 % der Frauen und 60 % der Männer. Menschen, die Unterdrückungsfantasien haben, wünschen oft gleichzeitig, jemanden zu dominieren.
Frauen unterscheiden aber deutlich zwischen Fantasien und dem, was sie wirklich erleben wollen. So gaben viele Frauen mit Unterwerfungsfantasien an, dass diese Ideen nie Realität werden sollen. Die Mehrheit der Männer dagegen würde ihre Fantasien gern ausleben. Insgesamt haben Männer deutlich mehr Fantasien als Frauen und beschreiben diese besonders lebhaft (ebd.).
Sehr viele Männer und auch immer mehr Frauen nutzen Pornografie und Cybersex für ihre sexuelle Erregung und Befriedigung. Als Cybersex werden verschiedene Formen der virtuellen Erotik, der sexuellen Interaktion beispielsweise über Chats und Datingplattformen und auch die Pornografie bezeichnet, die mit Unterstützung des Internets ausgelebt werden.
In der Berner Studie gaben über die Hälfte der Frauen an, im vergangenen Jahr Pornos geschaut zu haben. Allerdings hat ein Viertel aller Frauen damit wieder aufgehört, da die Lust darauf abnahm, ihnen das Angebot nicht entsprach oder sogar Ekel ausgelöst hat. Einigen stand die unterwerfende Darstellung