Lebensläufe Zeitläufte. Karlheinz Gerlach

Lebensläufe Zeitläufte - Karlheinz Gerlach


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1739-1806 13 180 Freimaurer an bzw. auf einschließlich der 761 dienenden Brüder. Der Organisationsgrad der sozietäts- bzw. logenfähigen Männer war hoch. Er läßt sich indes nur für Berlin annähernd verläßlich berechnen. Die 1801/1805 in Berlin organisierten 927 Freimaurer (von ihnen 701 Berliner) machten 0,55 Prozent der 170 000 Einwohner aus, jedoch 13,4 Prozent der etwa 7000 logenfähigen Männer ― sicher der damals höchste Prozentsatz in Preußen. Zum Vergleich zu heute: Die Maßzahl der gewerkschaftlich Organisierten betrug 2010 in Deutschland 17,4 Prozent. Ähnliche Berechnungen lassen sich für einzelne Berliner Behörden, Militäreinheiten oder Gewerbezweige anstellen. Dafür drei Beispiele: Freimaurer waren am Kammergericht, einer freimaurerischen Hochburg, 1783/84 drei der neun Räte des Oberappellationsgerichts und fünf der 22 Räte des Instruktionssenats einschließlich seines Präsidenten, um die Jahrhundertwende neun von 24 privilegierten Buchhändlern (37,5 Prozent), 1740-1806 12,2 Prozent des Offizierskorps des in Potsdam und Spandau garnisonierenden Infanterieregiments Nr. 35 einschließlich des Regimentschefs Prinz Heinrich von Preußen.

      Die in das biografische Lexikon aufgenommenen 1039 Freimaurer ― Angenommene, in die Logen Aufgenommene, dienende Brüder ― einschließlich zweier Ausländer, des Landesgroßmeisters Ernst II. Ludwig Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg und des Heermeisters Karl Gotthelf v. Hund, machen 7,9 Prozent aller preußischen Freimaurer aus. Auswärtige Freimaurer, etwa Wolfgang Amadeus Mozart, sowie Profane, etwa die Dichterin Anna Louisa Karsch, die Karschin, werden dann biografisch genannt, wenn sie für die jeweilige Biografie von Belang waren; das gilt auch für nahe Verwandte, Väter, Mütter, Ehefrauen usw. 608 Freimaurer werden in einem Hauptartikel, weitere 431 in einem Unterartikel abgehandelt. Die aufgenommenen Freimaurer repräsentieren nur diese Auswahl, nicht die Gesamtheit der preußischen Freimaurer mit einer weit größeren sozialen Breite.

      Die Freimaurerei faszinierte. Sie war ein großes Thema in Literatur, Publizistik und Musik. Wesen, Erscheinung, Symbolik, Brauchtum reizten die Neugier, indes erschloß sich das Geheimnis der Freimaurerei dem Aufgenommenen erst Stufe für Stufe, jedoch nicht jedem, weil er nicht über den Lehrlings- oder Gesellengrad hinaus gelangte oder die Loge ruhte oder erlosch. Der in den Quellen am ehesten genannte Grund, Freimaurer zu werden, war der Wunsch, Mitglied einer Gesellschaft zu werden, die im Glanze königlicher Protektion strahlte und in der er angesehene Männer mit Einfluß kennenlernte. Der Student hoffte in ihr berufliche Förderer zu finden, und fand sie dort auch, der besorgte Vater Aufsicht und Sicherheit für seinen studierenden Sohn zu erhalten, der Emigrant, in der neuen Heimat gesellschaftlich schneller Fuß zu fassen. Der 33-jährige Apotheker Martin Heinrich Klaproth begründete seinen ernsthaften Wunsch zur Aufnahme damit, daß er „von den Vorzügen einer Verbindung mit einer solchen hochachtungswürdigen Gesellschaft nun vollkommen überzeugt“ sei, da er sehe, daß die Glieder dieses Ordens, so viel er davon kenne, „durchgehends wackre Männer sind, die gesunde Denkungsart mit dem besten zur Ausübung wahrer Freundschaft gestimmten Herzen verbinden, so kann es nicht fehlen, daß ich nicht nach dem Glücke, an einer solchen wünschenswerten Gesellschaft teilnehmen zu können, streben sollte. Ich weiß nicht, was für Eigenschaften der Orden von seinen Kandidaten fordert: Lässet selbiger nur Männer von Genie zu, so bescheide ich mich gern, daß ich solches Glücks schwerlich fähig sei; siehet der Orden aber mehr auf Vorzüge des Herzens und auf guten Willen, dann schmeichle ich mir, vielleicht ein nicht ganz unwürdiges Mitglied werden zu können.“

      War der Vater Freimaurer, wurde es meist auch der Sohn. Manch eine Familie wies mehrere Freimaurer auf. Die Mitgliedschaft war kein Geheimnis. Verbindungen führten in den Verwandten- und Bekanntenkreis. Eine Logenmitgliedschaft gründete Freundschaften, vielleicht auch Ehen, was aber die Logenquellen kaum nachweisen. Die Heirat war selten eine Liebes-, meist eine Geschäftsangelegenheit. Das Familieninteresse, Vermögen, gesellschaftliches Ansehen, Geschäftsbeziehungen, stand obenan. In der Regel heiratete man unter seinesgleichen, beispielhaft die Apotheker.

      Die hier genannten Freimaurer erreichten durchschnittlich ein Alter von 62,1 Jahren, ihre Ehefrauen von 59,6 Jahren. Es entsprach vermutlich etwa dem damaligen Durchschnittsalter für beide Geschlechter von 55-60 Jahren (Kai Lehmann), lag aber erheblich unter dem heutigen (2017/2019 in Deutschland bei Männern 76,6 und bei Frauen 83,4 Jahre). Die Kindersterblichkeit war sehr hoch. Viele Kinder aller Bevölkerungsschichten, ob in der Familie des Königs oder in der armer Menschen, starben in ihren ersten Lebensjahren. Viele junge Mütter starben im Kindbett, auch viele Ehefrauen von Freimaurern. Welches Leid für Frauen, Väter, Kinder! Das Tagebuch des → Grafen Ernst Ahasverus Heinrich v. Lehndorff, eines langjährigen Freundes Prinz Heinrichs, gibt ein erschütterndes Zeugnis. Viele Freimaurer heirateten daher, weil sie eine Mutter für die Kinder und eine Frau für den Haushalt brauchten, ein zweites oder drittes Mal. Vielleicht rührt daher die böse Schwiegermutter der Märchen her?

      Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Freimaurerlogen waren im spätfeudal- absolutistischen Preußen ein bedeutender gesellschaftlicher Faktor als soziale und kulturelle, indes nicht als politische Institution. Sie waren keine Aufklärungsgesellschaften an sich, aber ein Kind der Aufklärung. Das Wesen der Freimaurerei war nicht irgendeine politische oder philosophische Richtung, sondern die innere Bildung des Einzelnen zu bürgerlich-aufgeklärter Moral, den bürgerlichen Tugenden. Die Mitglieder trieben außerhalb der Loge aktiv den Aufstieg Preußens und den politischen, wirtschaftlichen, sozialen, wissenschaftlichen, kulturellen Fortschritt voran, wenige stemmtem sich als Reaktionäre gegen den gesellschaftlichen Fortschritt. Sie agierten politisch für und wider die Monarchie, für und wider die Aufklärung. Eine Geschichte Preußens im 18. Jahrhundert ohne die Geschichte der Freimaurerei scheint undenkbar.

      Die Hauptartikel sind nach dem Beispiel der Neuen Deutschen Biographie zweigegliedert in Genealogie und Leben.

      Die Genealogie ermöglicht es, die an sich isolierte Biografie in den Zusammenhang von Familie, Loge, Gesellschaft und Zeitgeschichte zu stellen. Sie bietet die Lebensdaten des Freimaurers mit Lebensdaten und Beruf (Stand), die Namen der Eltern und Ehepartner, ab und an der Kinder, Großeltern, Schwäger, Onkel, Neffen.

      Der Teil Leben, der Lebenslauf des Freimaurers, schildert in gebotener Kürze die familiäre, berufliche und maurerische Laufbahn (Aufnahme, Beförderungen, Funktionen, Logenreden, Ereignisse) sowie besondere Lebensumstände, Erlebnisse, Leistungen, Publikationen. Die Biografien suchen somit die private, öffentliche und gesellschaftliche Sphäre des Freimaurers, damit die Ganzheit seines Lebens, zu zeigen.

      Gleiches gilt von den Unterartikeln, wenn auch kürzer und in Stichpunkten.

      Die Biografien bauen auf den biografischen Daten der dreiteiligen, im Studienverlag in Innsbruck erschienenen Logengeschichten des Verfassers auf: Die Freimaurer im Alten Preußen. Die Logen in Berlin (2014), Die Logen zwischen mittlerer Oder und Niederrhein (2007) und Die Logen in Pommern, Preußen und Schlesien (2009) sowie den überarbeiteten digitalen Neuauflagen der beiden letzten Teile. Hier findet man auch die archivalischen Quellen und die Literatur.

Biografien A - Z

      A

      Adelung, Johann Christoph (8.8.1732 Spantekow/Vorpommern-10.9.1806 Dresden, Grab Innerer Neustädter Friedhof), luth., V Johann Paul Adelung (1703-1759), Pfarrer in Spantekow und Boldekow, M Regina Sophia geb. Löper (1702-1782, V Joachim Löper [1668-1741], Pfarrer in Daberkow/Vorpommern [bis zur Mitte des 18. Jh. Besitz der Familie v. Blücher], M Sophia Juliana geb. Rethe (1681-1738, V Pfarrer), ledig.

      Johann Christoph Adelung studierte nach dem Besuch des pietistischen Gymnasiums Kloster Berge bei Magdeburg 1752-1758 in Halle Theologie. Wo und wann er Freimaurer wurde, ist nicht ermittelt. Möglich scheint, daß ihn frühere Mitglieder der 1743 gegründeten Hallenser Loge Aux trois Clefs d'Or (s. Artikel Brukenthal, Samuel Freiherr v.) aufgenommen haben, obwohl diese 1749 ihre Arbeiten eingestellt hatte und 1753-1755 völlig untätig war. Er war am 11.12.1756 in Halle im Meistergrad einer der Gründer


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