Sternstunden und Schandflecke der Kirchengeschichte. Josef Imbach

Sternstunden und Schandflecke der Kirchengeschichte - Josef Imbach


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deshalb, dass das Volk den allseits Hochgeschätzten zum Bischof berief.

      Sein Bruder hatte ihn schon längst zum Priester geweiht. Bei dessen Hinscheiden stand er bereits seit zehn Jahren als Abt einem Kloster vor. Als solchem lag ihm nicht nur die Glaubensverkündigungam Herzen, sondern (womöglich weit mehr?) die Förderung der Wissenschaften – auch der profanen.

      Als Bischof hatte der Neuerwählte die Möglichkeit, sich für das Bildungswesen noch mehr einzusetzen. Ein besonderes Anliegen waren ihm die Schulung des Klerus, der Bau von Schulen und die Gründung von Bibliotheken. Von seiner eigenen Forschungstätigkeit zeugen eine ganze Anzahl von Schriften, die ihm schon zu Lebzeiten den Ruf eines Bestsellerautors eintrugen.

      Unter anderem verdankt die Nachwelt ihm eine Chronica Majora, eine Größere Chronik, welche den Anspruch erhebt, eine Geschichte der Menschheit darzustellen, angefangen von der Schöpfung bis zum Jahr 615, ferner eine Historia Gothorum, eine Geschichte der Goten und ein Buch mit dem Titel De viris illustribus, Über die bedeutenden Männer, das auf einer gleichnamigen Schrift des Hieronymus beruht und dessen Werk unter besonderer Berücksichtigung spanischer Schriftsteller weiterführt. Und sein Werk mit dem nichtssagenden, ja geradezu banalen Titel Sententiarum Libri Tres (die Drei Bücher der Aussagen), gilt als erstes Handbuch christlicher Lehre und Ethik der römischen Kirche.

      Seine Schriftstellerei betrieb der Bischof von Sevilla keineswegs als Hobby. Vielmehr steckte dahinter ein Programm. Und das lässt sich mit einem einzigen Wort umschreiben: Bildung. Am deutlichsten zeigt dies sein Hauptwerk, mittels dessen er es schaffte, den herausragendsten Geistesgrößen des Mittelalters zugezählt zu werden.

      Das besagte Buch ist ›lediglich‹ ein Nachschlagewerk; gewissermaßen handelt es sich um den ersten ›Brockhaus‹ der abendländischen Geistesgeschichte.

      Der Titel dieses Jahrtausendkompendiums wurde bereits erwähnt: Etymologiarum sive originum libri viginti. Zu Deutsch: Zwanzig Bücher der Etymologien [d. h. über die Bedeutung der Dinge]. Darin versucht der Verfasser das gesamte profane und religiöse Wissen seiner Zeit zu vereinen. Natürlich vermochte er das nicht allein, sondern war von einem ganzen Mitarbeiterstab von Mönchen umgeben. Unter diesen spielte einer von Isidors Schülern, ein gewisser Braulio, eine Schlüsselrolle; er wurde später Erzbischof von Saragossa.

      Im Lauf von drei Jahrzehnten wuchs diese erste Realenzyklopädie der Menschheitsgeschichte auf zwanzig Bände an. Im Gegensatz zu unseren heutigen Lexika ist Isidors Mammutwerk nicht alphabetisch, sondern nach Themen geordnet. Es beinhaltet nicht nur den gesamten antiken Bildungskanon, will sagen eine Darstellung der sieben Freien Künste (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie), sondern auch Fragen der Medizin, der Rechtsprechung, der Architektur, der Theologie und der Anthropologie. Darüber hinaus finden sich Abhandlungen über die Weltgeschichte, über Erdkunde, aber auch über Naturphänomene wie Sonnenfinsternisse oder Erdbeben …

      Natürlich ist das alles nicht in Isidors Klostergarten gewachsen, sondern zum größten Teil den Werken anderer Schriftsteller entnommen, ein Vorgehen, für das wir heute den Begriff Copy-and-paste verwenden. Aber bevor all die unterschiedlichen Wissensgebiete in ein System und auf die Reihe gebracht werden konnten, musste sich einer mit den Quellen befassen und sich darin auskennen.

      Als Isidor 636 verstarb, war sein Werk keineswegs abgeschlossen. Dies auch deshalb, weil der Verfasser im Lauf der Zeit immer wieder zu neuen Erkenntnissen gelangte, die zum Teil erhebliche Korrekturen am bereits Dargelegten erforderten. Oder weil sich aufgrund vorher noch unbekannter Quellen Ergänzungen und Überarbeitungen des bereits Bestehenden aufnötigten. Es war Braulio, der das Jahrtausendwerk schließlich vollendete, nachdem er weitere zwei Jahrzehnte daran gearbeitet hatte. Dank ihm vor allem mauserte sich Isidors Etymologie schließlich zum beliebtesten Handbuch für die Studenten des Mittelalters. Und war so über Jahrhunderte hinweg als Standard-Nachschlagewerk in Gebrauch.

      Erstaunen mag der Titel. Als Etymologie bezeichnen wir heute jene Wissenschaft, welche sich mit der Herkunft und Geschichte der Wörter und Begriffe befasst. In älteren Epochen verstand man darunter die Suche nach der ursprünglichen, also »wahren« (griechisch: étymos) Bedeutung eines Wortes und damit der dem Wort selber zugrunde liegenden Wahrheit. Isidor verdanken wir also auch die Einsicht, dass man sich zuerst einmal über die Begriffe verständigen muss, wenn man miteinander redet. Weil man nämlich sonst aneinander vorbeiredet.

      Rätselhaft ist, warum ausgerechnet der Bücherfreund und Schriftsteller Isidor seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten im Gespräch als Schutzheiliger fürs Internet ist. Entsprechend seiner Neigung und im Hinblick auf seine Leistung würde er vermutlich lieber die Schutzherrschaft über Wikipedia übernehmen.

       Die Leichensynodeoder Schändung der Totenruhe

      Auf Hochverrat stand im Rom der Kaiserzeit die Todesstrafe. Nach der Hinrichtung wurde den Schuldigen das Begräbnis verweigert. Etwaige zu ihren Ehren errichtete Standbilder mussten zerstört werden. Den Angehörigen war es verboten, um die Verurteilten zu trauern oder Bildnisse von ihnen aufzubewahren. Alle diese Bestimmungen gipfelten in der damnatio memoriae, der vollständigen Auslöschung des Andenkens. Das bedeutet, dass die Namen der Verfemten – es handelte sich ja fast ausschließlich um illustre Persönlichkeiten – von allen öffentlichen Denkmälern entfernt und aus den Staatsakten getilgt wurden.

      Später, als das Christentum dem angeblich zappendusteren Heidentum endgültig den Garaus gemacht und die Kirche die Macht an sich gerissen hatte, gehörte die Rache an den Toten keineswegs der Vergangenheit an. Da die Christgläubigen anfänglich Denkmäler für noch Lebende ablehnten, beinhaltete die von ihnen gepflegte damnatio memoriae naturgemäß die Tilgung des Andenkens. Dabei entwickelten die Kirchenführer zeitweise einen ausgeprägten Sinn für das Schauerliche und Makabere. Das abstoßendste und frevelhafteste Beispiel dafür bildet die berühmte Leichensynode, welche Papst Stephan VI. 897 in Rom inszenierte. Diese hatte jedoch, wie häufig bei scheinbar religiösen Auseinandersetzungen, überhaupt nichts mit dem Glauben, desto mehr aber mit Herrschaftsansprüchen und mit Politik zu tun.

      Gegen Ende des 9. Jahrhunderts stritten der Markgraf Berengar von Friaul und der Herzog Guido II. von Spoleto in wüsten Kämpfen um die Herrschaft in Italien. Guido vermochte sich durchzusetzen. Vom Größenwahn gepackt, zwanger Papst Stephan V. 891, ihn zum Kaiser zu krönen. Das führte zu neuen Unruhen, weil Markgraf Berengar weiterhin nach der Krone strebte. Damals fragten sich viele, ob es überhaupt rechtens sei, dass der Papst italienischen Kleinfürsten die Kaiserwürde verlieh. War dieser Rang denn nicht ausschließlich den Nachkommen Karls des Großen vorbehalten, den Leo III. an Weihnachten des Jahres 800 zum Kaiser gekrönt hatte?

      Stephan V. stirbt schon im September des Krönungsjahres. Zum Nachfolger gewählt wird Formosus, der 75-jährige Kardinalbischof von Porto. Der aber sympathisiert mit Berengar – und ist im Übrigen der Ansicht, dass die Kaiserkrone eher auf den Kopf des deutschen Königs Arnulf passe. Nach Guidos Tod eilt dessen Sohn Lambert nach Rom, begleitet von seinen Truppen, um vom Papst die Krone zu fordern. Formosus fügt sich dem Druck, ruft dann aber, kaum dass der Neuerkürte Rom verlassen hat, den deutschen König Arnulf zu Hilfe, um gegen die »schlechten Christen« von Spoleto vorzugehen und den arroganten Lambert abzusetzen. Arnulf marschiert gen Rom, Lambert flieht. Es ist dies das erste Mal in der abendländischen Geschichte, dass ein deutsches Heer Rom belagert, weil ein deutscher König sich die Kaiserkrone holen will. Formosus, von den Römern des Verrats bezichtigt und unter Hausarrest gestellt, wird von den deutschen Truppen befreit; zum Dank krönt er Arnulf im April 896 zum Kaiser.

      Den neuen Herrscher hält es gerade drei Wochen in Rom, dann schnappt er sich zwei Adelige als Geiseln und bricht nach Spoleto auf, um Lambert zu bekriegen. Doch statt sich auf dem Schlachtfeld zu bewähren, übt sich der zu Ausschweifungen neigende Arnulf lieber in Bettschlachten, holt sich eine venerische Krankheit und zieht nach Regensburgweiter, wo er 899 stirbt.

      Formosus indessen ist durch die Förderung des Deutschen bei den Römern in Misskredit geraten; schon einen Monat nach der Krönung, im Mai 896, lassen seine Kräfte nach; eine kurze Krankheit führt zum schnellen Tod. Sein Nachfolger Bonifaz VI. regiert


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