Sternstunden und Schandflecke der Kirchengeschichte. Josef Imbach

Sternstunden und Schandflecke der Kirchengeschichte - Josef Imbach


Скачать книгу
war Pippin schon einmal, nach seiner Machtergreifung im Jahr 751, mit dem heiligen Öl gesalbt worden, vermutlich durch Erzbischof Bonifatius. Die neuerliche Salbung durch den ›Stellvertreter Gottes auf Erden‹ bildete nicht nur einen Ersatz für das fehlende königliche Geblüt, sondern diente gleichzeitig der Legitimation. Andererseits konnte der Papst mit diesem Weiheakt demonstrieren, wer einzig befugt war, die Königswürde zu verleihen. Im Grunde waren beide, König und Papst, aufeinander angewiesen. Auf Dauer konnte das nicht gut gehen.

      Durch die Pippinische Schenkung entstand für den Papst eine völlig neue Situation – er war jetzt nicht mehr bloß das geistliche Oberhaupt der Christenheit, sondern gleichzeitig auch politischer Machthaber mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Wie der König benötigte er seinerseits eine Legitimation für seine weltliche Herrschaft.

      Heute nehmen die meisten Geschichtsforschenden an, dass das damit verbundene Problem von einem findigen Kopf aus der Umgebung Papst Pauls I. (757–767), dem Bruder und Nachfolger Stephans II., einer Lösung zugeführt wurde. Einem vom päpstlichen Hof gestreuten Gerücht zufolge nämlich hatte irgendein Kopist oder Skribent oder sonst ein Federspitzer in einer Schublade oder hinter einem Wandschrank einen alten Schriftsatz entdeckt, der sich als Abschrift eines noch älteren Dokuments erwies, das, man staune, angeblich aus der Kanzlei Kaiser Konstantins des Großen stammte. Das Dokument schien zu bestätigen – es gibt da nicht etwa verschiedene Lesarten oder Rezensionen, wie die Fachleute das später nennen werden –, dass Kaiser Konstantin seinem Zeitgenossen Papst Silvester I. und dessen Nachfolgern nicht nur die mittelitalienischen Ländereien, sondern auch seine Kaiserkrone geschenkt hatte. Nicht dass die Päpste dieses Dokument nun sämtlichen Sendboten anderer Fürstenhöfe vorgezeigt hätten (so plump verhält sich selbst der unbedarfteste Fälscher nicht), noch wurde der fragliche Wisch in einem offiziellen Text erwähnt. Vielmehr verwahrten die Päpste das Pergament sorgfältig in der Schublade; die Rede davon verbreitete sich ganz von selbst. Mit dem Herzeigen konnte man ruhig zuwarten, bis die Papstanhänger vom Wahrheitsgehalt überzeugt waren; die Gegner ließen sich dann leichter widerlegen. Und wer später immer noch an der Echtheit des ominösen Schriebs zweifelte, war für die Folgen solchen Unglaubens selber verantwortlich (wie ein gewisser Johannes Drändorf, der 1425 in Heidelberg als Ketzer verbrannt wurde, weil er die sogenannte Konstantinische Schenkung als Fälschung bezeichnet hatte).

      Zu Zeiten eines Damasus’ I. war die Inbesitznahme des Apostolischen Stuhls, soziologisch betrachtet, eine reine Macht- und Prestigefrage. Seit der Pippinischen Schenkung aber waren die Päpste Herren über ein Territorium; fortan ging es nicht mehr bloß um die geistliche Leitung und um den Zusammenhalt einer Glaubensgemeinschaft, sondern auch um territoriale Ansprüche. Diese neue Konstellation bot vor allem für die Mitglieder der römischen Aristokratie verlockende Aussichten. Denn wer in der Hauptstadt etwas galt, beteiligte sich seit jeher am Poker um die besten Positionen. Vor allem die Adelsdynastien waren jetzt daran interessiert, ein Mitglied ihres Familienclans auf den Stuhl Petri zu katapultieren.

      Wie es dabei zuging, zeigt ein Vorfall, der sich am 25. April 799 ereignete, als Papst Leo III. während einer Prozession angegriffen und gefangen gesetzt wurde. Die Angreifer rekrutierten sich aus der Familie seines Vorgängers Hadrian, die unter diesem einträgliche Ämter innegehabt hatte. Leo indessen gelang die Flucht. Mithilfe von fränkischen Großen kam er nach Paderborn, wo sich zu diesem Zeitpunkt Karl der Große aufhielt. In der Folge ließ Karl auch Leos Gegner kommen, um sie anzuhören. Da die Sache nicht geklärt werden konnte, wurde Leo nach Rom zurückgeschickt, damit alles vor Ort geklärt werde. Als die weiteren Untersuchungen ebenfalls ergebnislos verliefen, entschloss sich Karl, im Jahr 800 nach Rom zu ziehen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit krönte der Papst den Frankenherrscher am 25. Dezember zum Kaiser und machte ihn damit gleichzeitig zu seinem Verbündeten.

      Über das Prozedere informiert uns der Chronist:

      Als der König am heiligen Weihnachtstage bei der Messe sich vor dem Grab des seligen Apostels Petrus erhob, setzte ihm Papst Leo die Krone aufs Haupt, und das Volk rief aus: Dem erhabenen Karl, dem von Gott [!] gekrönten großen und friedbringenden Kaiser der Römer Leben und Sieg! Und nach diesen Lobrufen wurde er vom Papst nach der Sitte der alten Kaiser durch Kniefall geehrt und fortan Kaiser und Augustus [d. h. der Erhabene] genannt.

      Aufgrund einer Notiz von Karls Hofchronisten Einhard neigen die Geschichtsforschenden heute zu der Annahme, dass Karl der Große überrascht war, dass ihm der Papst die Kaiserkrone aufsetzte. Das würde bedeuten, dass Leo durch den Krönungsakt unterstreichen wollte, dass die geistliche Autorität über jeder weltlichen Macht steht, und dass alle irdische Herrschaft der Legitimation durch den obersten Sachwalter Gottes auf Erden bedarf. Ob der Papst diese Botschaft vermitteln wollte, muss offenbleiben. Fest steht hingegen, dass Leo III. als erster Papst das Recht der Kaiserkrönung für sich in Anspruch nahm.

      Sein Beispiel machte Schule. 813, ein Jahr vor seinem Tod, krönte Karl der Große seinen Sohn Ludwig I. zum Mitkaiser. Dieser übernahm nach dem Tod des Vaters die Nachfolge. 816 reiste Papst Stephan IV. nach Reims, um Ludwig seinerseits zum Kaiser zu krönen. Da die Frankenkaiser über keinerlei geschichtliche Legitimation verfügten (Pippin III. war ursprünglich nur Hausmeier unter dem letzten merowingischen König Childerich III.), waren sie durch die päpstliche Krönung wenigstens theologisch legitimiert. Ludwigs Sohn Lothar wiederum wurde 823 von Papst Paschalis I. in Rom gekrönt. Die folgenden Kaiserkrönungen fanden in der Peterskirche statt – aber erst nachdem die fränkischen Könige den Papst jeweils demütig darum gebeten hatten.

       Die Stunde der Aussteigeroder Gottsuche unter der Wüstensonne

      Gegen Ende des 3. Jahrhunderts kam es in der Christenheit zu einer Gegenbewegung. Damals wurden in Spanien und Gallien, in Italien auch und selbst im entfernten Byzanz immer mehr Jesusgläubige der dekadenten Zivilisation mit ihrem überzüchteten Lebensstil überdrüssig und zogen sich in die Wüste zurück, um zu Gott und zu sich selbst zu finden. Stille, Gebet, Handarbeit und Fasten, insbesondere aber die frei gewählte Einsamkeit schienen ihnen der geeignete Weg zur Erreichung dieses Ziels.

      Als einer der ersten Hauptvertreter dieser neuen Geistesrichtung gilt der Einsiedler Antonios. Der wird um 251 im mittelägyptischen Kome (heute Qiman-al-Arûs) als Sohn wohlhabender christlicher Fellachen geboren. Als er ungefähr zwanzig Jahre alt ist, sterben seine Eltern. Entsprechend dem römischen Recht liegt es jetzt an Antonios, für seine jüngere Schwester zu sorgen. In dieser Zeit hört er in einer Predigt einen Ausspruch Jesu: »Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach« (Matthäus 19,21). Dieses eine Wort verdirbt ihm die ganze Freude an seinem elterlichen Erbe. Antonios redet mit seiner Schwester – oder vielmehr er überredet sie, in eines der damals bestehenden Häuser für ›gottgeweihte Jungfrauen‹ einzutreten, womit eine Gemeinschaft junger Frauen gemeint ist, welche zusammenleben, sei es, um Gott besser zu dienen, sei es, um sich zu emanzipieren und dem drohenden ehelichen Joch zu entgehen; für manche von ihnen mochte beides zutreffen. Seine Güter verschenkt Antonios an die Nachbarn. Dann setzt er sich ab in die Wüste, wo er in einer ausgeraubten Grabkammer haust. Ein Freund versorgt ihn gelegentlich mit getrocknetem Fladenbrot, das sich bekanntlich über Monate hin hält. So lange aber kann der Zulieferer seinen Mund nicht halten. Bald spricht sich im Dorf herum, wo Antonios steckt.

      Gottsucher denken an Gott und befassen sich nicht mit Psychologie. Dass Antonios von Letzterer nichts versteht, wird ihm zum Verhängnis. Er bedenkt nicht, dass man sich nur zu verstecken braucht, damit alle einen suchen. Und dass viele einen Versteckten, sobald man ihn gefunden hat, aufsuchen. Angesichts des Andrangs der Menge zieht Antonios weiter weg, in die Nähe von Pispir, wo er sich in einem verlassenen Kastell verbirgt. Neugierige brauchen lediglich den von seinen Freunden hinterlassenen Fladenbrotspuren zu folgen, um ihn aufzuspüren. Wer ein Erbe ausschlägt, um sich als Hungerkünstler zu versuchen, ist allemal eine gesellschaftliche Attraktion. Insbesondere wenn sich auch noch das Gerücht verbreitet, er kämpfe mit Dämonen und habe Visionen. Und der Teufel mache sich in Gestalt hübscher Knaben und schönbusiger Frauen an ihn heran, um ihn zur Unzucht zu verleiten. Weiteren Gerüchten zufolge vermag der seltsame Gottsucher sogar Kranke zu heilen. Und, was schon ans Unerhörte grenzt: Gott, heißt es, habe


Скачать книгу