Sternstunden und Schandflecke der Kirchengeschichte. Josef Imbach

Sternstunden und Schandflecke der Kirchengeschichte - Josef Imbach


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Mutmaßungen schnell heraus, was die beiden erlauchten Vordenker der abendländischen Christenheit bewegt, nämlich dass nicht sein kann, was ihrer Meinung nach nicht sein darf, will sagen, dass die zwei heiligen Apostelfürsten innerhalb der heiligen Kirche in einen unheiligen Streit verwickelt waren und diesen auch noch öffentlich austrugen.

      Leider verhält es sich so, dass wir mit den Begriffen Konflikt oder Streit fast ausschließlich Negatives assoziieren: Hader und Hass, Zänkereien und Zerwürfnisse, Zwietracht und Niedertracht, Arglist und böses Blut und boshafte Gesinnung… Das hat zur Folge, dass man meint, in der Kirche Gottes dürften wohl Kerzen brennen, aber keine Funken sprühen.

      In Wirklichkeit kommt es doch gerade darauf an, dass man Konflikte weder unterdrückt noch bagatellisiert, sondern dass man sie austrägt, und zwar frank und frei, wie das damals in Jerusalem und Antiocheia geschah.

      Bemerkenswert ist, dass die Auseinandersetzung um die Notwendigkeit der Beschneidung bloß auf verbaler Ebene ausgetragen wurde. Das sollte sich aber schon bald ändern, als zu Beginn des 5. Jahrhunderts ein Theologe namens Nestorios im kleinasiatischen Antiocheia ein derartiges Aufsehen erregte, dass sogar der Kaiser, Theodosios II., auf ihn aufmerksam wurde. Dieser ernennt den berühmten Mann im Jahr 428 zum Patriarchen von Konstantinopel. Dort ist gerade ein heftiger Streit im Gang, den ein paar eifrige Marienprediger entfacht haben, weil sie Maria als Gottesgebärerin preisen. Nun gibt es aber unter den Gläubigen welche, denen durchaus nicht einleuchten will, dass Gott eine Mutter haben sollte; sie betrachten Maria lediglich als Menschengebärerin. Nestorios versucht zu vermitteln und schlägt die Bezeichnung Christusgebärerin vor. Weil aber keine der Parteien nachgeben will, hat Nestorios jetzt alle gegen sich. Längst nimmt auch das einfache Volk lebhaften Anteil an diesen Auseinandersetzungen. Auf dem Markt kommt es zu Tumulten, in den Gassen zu Schlägereien, die Gottesdienste werden gestört, organisierte Sprechchöre unterbrechen die Prediger.

      Weil der Streit sich immer mehr ausweitet und schließlich die ganze damalige Christenheit in zwei Lager zu spalten droht, beruft der Kaiser auf das Pfingstfest des Jahres 431 eine allgemeine Kirchenversammlung in die kleinasiatische Stadt Ephesos, welche die Einheit wiederherstellen soll. Dort entscheiden die Konzilsväter, dass der Ehrentitel Gottesgebärerin Maria angemessen ist – und setzen Nestorios als Patriarchen von Konstantinopel ab.

      Wie aus der Entscheidung des Konzils eindeutig hervorgeht, ging es in dieser ganzen Auseinandersetzung nicht um Maria, sondern um die Person Christi: »Wer nicht bekennt, dass Emmanuel wahrhaftig Gott und deshalb die heilige Jungfrau Gottesgebärerin (theotókos) ist (denn sie hat das Wort, das aus Gott ist und Fleisch wurde, dem Fleisch nach geboren), der sei von der Kirche ausgeschlossen.« Obwohl dieses Dogma sich nicht auf die Rolle Marias innerhalb der Heilsgeschichte, sondern auf Christus – genauer: auf die Gottheit Jesu – bezieht, rückt in der Folge die Gottesgebärerin immer mehr in den Mittelpunkt. Was zur Folge hat, dass sie nach dem Konzil von Ephesos der dort verehrten Muttergöttin Artemis den Platz streitig macht und diese schließlich ganz verdrängt – aber das ist wieder eine andere Geschichte.

      Spannungen in Sachen Glaubenslehre und Kirchendisziplin, die immer häufiger zu Spaltungen führen, bleiben auch in der Folge nicht aus.

      Als im 4. Jahrhundert der Grundbesitz der römischen Kirche durch Schenkungen zahlreicher Güter in Süd- und Mittelitalien und auf Sizilien anwächst, sind die Grundlagen für den späteren Kirchenstaat mit dem Papst als oberstem Herrscher gelegt. Damit erscheint das Papsttum vor allem den römischen Baronen besonders attraktiv, die sich fortan um den Stuhl Petri streiten. Im 11. Jahrhundert trennt sich die Ostkirche von Rom. Letztere wiederum spaltet sich zur Zeit Luthers (dessen zu einem guten Teil begründete Anliegen Papst Leo X. als frattate, als Klosterkram, abqualifiziert) in verschiedene Konfessionen auf. Als sich die Römische Kirche zur Zeit der Aufklärung gegen manche fundierte Forderungen sperrt (ein Stichwort unter anderen: Religions- und Gewissensfreiheit), kommt es zu verheerenden Auseinandersetzungen. Papst Pius X. wiederum bringt mit seinem Antimodernistenfeldzug vorab katholische Intellektuelle in massive Gewissenskonflikte, eine Tragödie, die sich unter Pius XII. mit dessen Kampagne gegen die Vertreter der Nouvelle théologie wiederholt, was erneut eine gewaltige Erschütterung auslöst.

      Wer in der Kirchengeschichte einigermaßen bewandert ist, erinnert sich, dass im Anschluss an jedes ökumenische Konzil eine Minderheit die getroffenen Entscheidungen nicht akzeptierte, was jeweils zu weiteren Abspaltungen führte.

      Das alles zeigt: Die ganze Kirchengeschichte ist nicht nur eine Glaubens-, sondern auch eine permanente Krisengeschichte.

      Glaubensgeschichten verlaufen längst nicht immer gradlinig, weder im persönlichen noch im kirchlichen Leben. Was weiter nicht verwundert, weil angesichts veränderter Situationen und der daraus resultierenden neuen Fragestellungen mancherlei Unsicherheiten und damit verbundene Querelen nie auszuschließen sind.

      Solange die neue, sich auf Jesus berufende Glaubensgemeinschaft eine Minderheit darstellte, war sie wiederholt Verfolgungen ausgesetzt. Kaum aber hatten sich die ehemals Verfolgten gesellschaftlich integriert und politisch etabliert, wurden sie ihrerseits zu Verfolgern. Bereits gegen Ende des vierten Jahrhunderts beschränkten sich die Nachfolger der Apostel nicht mehr auf die Verbreitung der Frohen Botschaft, sondern beteiligten sich eifrig am Poker um die Macht, wobei ihnen oft jedes Mittel recht war, um ihre Ziele zu erreichen. Gelegentlich erlagen Kirchenleute der Versuchung, ihre Vorstellungen (die sie in der Regel mit dem Willen Gottes identifizierten) mit klirrenden Waffen statt mit klaren Worten durchzusetzen. Dabei scheuten sie sich nicht, selbst die schlimmsten Gewalttaten als gottgewollt hinzustellen.

      Dem Johannesevangelium zufolge fordert Jesus die Seinen auf, einander zu lieben: »Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt« (13,35). Sobald es aber vorzugsweise oder gar ausschließlich um die Macht ging, war dieses Kriterium Makulatur.

      Das Christentum kann auf eine zweitausendjährige Krisen- und Glaubensgeschichte zurückblicken. Die eine bedingt die andere. Bedauerlich ist, dass Krisen oft eher vom Machtstreben als vom Willen zur Rechtgläubigkeit ausgelöst wurden. Und dass man der Rechtgläubigkeit nicht selten mit Mitteln und Methoden zum Durchbruch verhelfen wollte, welche dem von Jesus verkündeten Glauben entgegenstanden.

      Überdies müsste die Kirche (und nicht nur sie!) eine Streitkultur pflegen, die diesen Namen verdient – der Akzent liegt auf Kultur.

      Dass es die nicht (oder nicht hinreichend) gibt, hängt auch damit zusammen, dass wir mit dem Begriff Konflikt immer gleich Hader und Hass, Zwietracht und Niedertracht, fehlgeleitete Ansichten und böswillige Absichten assoziieren; offenbar hat die Christenheit seit Hieronymus und die Menschheit seit Augustinus in dieser Hinsicht wenig dazugelernt.

      Auseinandersetzungen sind unerlässlich, wenn es darum geht, die evangelische Botschaft unter sich wandelnden sozialen Bedingungen und wechselnden kulturellen Umständen zu verkünden und zu aktualisieren. Wenn man jedoch jede ungewohnte Ansicht gleich als Attentat auf das Glaubensgut interpretiert, entartet der notwendige Streit zur gehässigen Streiterei. Wahrheitsfindung kommt zustande nur auf dem Weg der Toleranz, des Dialogs, der Versöhnlichkeit und – dies vor allem – bei gegenseitigem Respekt. Wo lediglich die Bestätigung seitens Gleichgesinnter gefragt ist, geht es entgegen allem äußeren Anschein weder um den Glauben, noch um die Kirche und schon gar nicht ums Christentum – also nicht mehr um die Sache, sondern um die eigene Person und Position.

      Diskussionen um theologische oder kirchendisziplinarische Fragen laufen so letztlich auf Machtfragen hinaus. Das führt dazu, dass einzelne Gläubige nur deshalb bestimmte Lehrmeinungen verteidigen, weil sie es unter ihrer Würde finden, sich von anderen informieren zu lassen; dass Christusjüngerinnen und Jesusnachfolger anderen lieber den Kopf als die Füße waschen; dass kirchliche Amtsträger es vorziehen, ein Exempel zu statuieren, statt ein Beispiel zu geben.

      An sich ist Streit durchaus nichts Verwerfliches. Auseinandersetzungen, auch und gerade um religiöse Fragen, sind ein Zeichen von Anteilnahme am kirchlichen Leben. Besser eine streitende als eine schlafende Kirche! Damit aber eine Debatte nicht in kleinliches Gezänk ausartet, brauchen wir eine Streitkultur. Und die setzt die Bereitschaft voraus, die eigenen Ansichten, und seien


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