Der Schoppenfetzer und das Maulaff-Mysterium. Günter Huth

Der Schoppenfetzer und das Maulaff-Mysterium - Günter Huth


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plötzlich ganz schlecht. Es war richtig, dass das Anwesen schräg gegenüber seinem Wohnhaus zum Verkauf stand. Es stimmte auch, dass ihn der Eigentümer beauftragt hatte, den Verkauf vorzunehmen. Allerdings hatte er noch mit niemandem einen Kaufvertrag abgeschlossen. Er musste an die Worte seines Besuchers denken. Jetzt gab es keinerlei Zweifel mehr an der Ernsthaftigkeit seiner Ausführungen.

      „Ach Miez“ – er nannte seine Frau, die eigentlich Marianne hieß, immer bei ihrem Kosenamen – „ich wollte dir nur sagen, dass ich schon jetzt nach Hause komme.“

      „Fein, dann kannst du Herrn Rossatello gleich kennenlernen.“

      Filißter legte den Hörer auf, sprang hoch und ließ alles stehen und liegen. Sehr zum Erstaunen seiner Sekretärin rauschte er im Eiltempo aus seinem Büro. Sie konnte sich gar nicht erinnern, ihren Chef jemals so in Eile gesehen zu haben.

      Fili Filißter warf sich in seinen Pkw, der in der Tiefgarage des Bürogebäudes stand. Das Haus gehörte auch ihm. Zwölf Minuten später steuerte er den Wagen auf sein Grundstück im Steinbachtal, ließ den Mercedes vor der Garage stehen und hastete durch eine schmiedeeiserne Seitentür in den großen Garten, um seinen Bungalow über die Terrasse zu betreten. Im Unterbewusstsein nahm er den Geruch des frisch gemähten Rasens wahr.

      „Miez!“, rief er, da sie nicht im Wohnzimmer war. Keine Antwort. Völlig panisch rannte er jetzt in jeden Raum des Bungalows auf der Suche nach seiner Frau. Sie war nirgendwo zu finden. Es gab keine Nachricht, keinen Hinweis. Verzweifelt ließ er sich auf einen Küchenstuhl fallen. Plötzlich vernahm er Essensgeruch. Fili Filißter hob den Kopf und sah zum Herd. Im Backofen brannte Licht. Durch die Scheibe der Bratröhre konnte er eine Auflaufform erkennen. Jetzt war er absolut sicher, dass etwas geschehen war. Seine Frau hätte niemals ein im Ofen befindliches Gericht allein gelassen. Langsam drehte er den Ofen aus.

      In diesem Augenblick läutete das Telefon. Der Immobilienmakler sprang auf und hastete ins Arbeitszimmer, griff sich den Hörer und bellte ein „Ja!“ in den Hörer.

      „Hallo, Herr Filißter“, drang Lupos Stimme an sein Ohr, „Ihre Frau war so freundlich, der Einladung meines Kollegen zu einem Aufenthalt außer Haus zu folgen. Machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Sie unserer Bitte Folge leisten, werden Sie sie unversehrt zurückerhalten. So lange ist sie unser Gast. Sie wissen ja, was Sie zu tun haben. Ich werde Sie in zwei Stunden wieder anrufen.“ Es trat eine kurze Pause ein, dann fuhr er fort: „Ihre Frau lässt Ihnen noch etwas ausrichten. Sie sollen sich das vegetarische Gericht, das sich in Ihrem Backofen befindet, gut schmecken lassen. Miez, wie Sie sie nennen, hat es mit viel Liebe für Sie zubereitet.“ – Pause – „Wir hören voneinander.“ – Pause – „Da wäre doch noch eine Kleinigkeit. Die Polizei dürfte unser kleines Arrangement sicher nicht interessieren. Die Schlüssel zur Weinstube haben wir an uns genommen. Sie wissen ja warum.“ Das Gespräch wurde unterbrochen.

      Filißter erhob sich und eilte in den Flur. Einen Moment starrte er wie hypnotisiert auf das Schlüsselbrett an der Wand. Tatsächlich fehlte der Bund mit den Zweitschlüsseln zum Maulaffenbäck. Die Hilflosigkeit, die er empfand, war schrecklich. Er konnte einfach nicht verstehen, wieso dieser Italiener so harte Mittel einsetzte, um sein Ziel zu erreichen. Warum war ihm das so wichtig? Voller Angst erhob er sich, verließ das Haus und setzte sich in sein Auto. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Wünschen des Entführers seiner Frau nachzukommen.

      *

      Nepomuk Schlossisweg, der Pächter des Maulaffenbäck, stand in der Küche der Weinstube und diskutierte mit dem Koch über die Spezialität der Woche. Im wöchentlichen Wechsel bot die Küche der Weinstube den Gästen eine fränkische Spezialität an. Dieses Schmankerl wurde, seit man dieses Angebot kreiert hatte, bestens angenommen. Nächste Woche sollten Fränkische Schnickerli mit Kartoffelbrei auf der Speisenkarte stehen – ein Gericht, das traditionsgemäß aus Rinderpansen hergestellt wurde. Früher ein „Armeleuteessen“, jetzt eine Delikatesse.

      Der Wirt zog sich sein Trachtenjackett an, das er in der Küche abgelegt hatte. Seit er Gastronom dieses traditionsreichen Weinlokals war, zeigte er sich dort gern bodenständig und konservativ. Passend zu den Dirndln seiner Bedienungen. Seine Gäste mochten es stimmig.

      Als alles besprochen war, läutete sein Handy. Am Telefon war seine Frau Annalena. Sie hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. „Nepomuk, komm bitte so schnell wie möglich nach Hause. Herr Filißter ist hier und möchte dich umgehend sprechen. Es sei sehr dringend!“ Das Drängen in ihrer Stimme war unüberhörbar.

      „Ich komme“, gab Schlossisweg zurück. Er war alarmiert. Wenn seine Frau ihn beim vollen Vornamen nannte, hing Ärger in der Luft. Für gewöhnlich sprach sie ihn mit Neppi, seinem Spitznamen, an. Da er seinen Lieferwagen in der Maulhardgasse direkt vor dem Maulaffenbäck geparkt hatte, war er eine Minute später auf dem Weg.

      Schlossisweg traf Filißter in der Küche an. Seine Rechte um ein Wasserglas gelegt, saß er am Küchentisch. Seine Miene war sehr angespannt. Frau Schlossisweg saß ihm gegenüber und sah ihrem Mann mit ernstem Gesicht entgegen. Als er sie fragend ansah, zuckte sie nur leicht mit den Schultern. Sie wusste offenbar auch noch nicht, worum es ging. Die Spannung im Raum war fast körperlich zu spüren. Schlossisweg gab Filißter mit knappem Gruß die Hand, dann kam er ohne Umschweife zur Sache. „Fili, was ist passiert?“ Filißter und Schlossisweg kannten sich schon seit langem auf privater Ebene und duzten sich.

      Der Immobilienmakler räusperte sich, dann nahm er einen Schluck Wasser. „Neppi, es tut mir sehr leid, dir das sagen zu müssen, aber du musst ab morgen den ‚Maulaffenbäck‘ bis auf Weiteres schließen! Es sind, wie du weißt, im Gewölbekeller einige dringende Sanierungsarbeiten zu erledigen, für die ich jetzt überraschend einen preisgünstigen Handwerker bekommen konnte.“

      Diese Ansage schlug beim Wirtsehepaar wie eine Bombe ein. Sie sahen sich völlig entgeistert an. War das ein makabrer Scherz? Nach ihrer Kenntnis war der Immobilienmakler nicht gerade für seine humorige Ader bekannt, wenn es ums Geschäft ging. Nach einer kurzen Pause, in der Filißter keine Anstalten machte, seine Aussage als Witz zu entlarven, fand Neppi Schlossisweg die Sprache wieder.

      „Das ist nicht dein Ernst!“, stieß er ungläubig hervor.

      Filißter nickte. „Doch.“

      „Wie kommst du denn auf eine derart abartige Idee?“, rief Schlossisweg in höchster Erregung. „Das ist, jetzt in der Hauptsaison, völlige Idiotie!“

      Filißter legte ebenfalls übergangslos den Schalter um. Seine Hand klatschte verärgert auf die Tischplatte.

      „Ich habe keine Veranlassung, das mit dir zu diskutieren! Dir ist bekannt, dass im Gewölbekeller an einer Stelle Einsturzgefahr besteht, die sofort beseitigt werden muss. Schließlich habe ich als Eigentümer auch eine Verkehrssicherungspflicht dir gegenüber. Wenn dir oder einem deiner Mitarbeiter ein Steinbrocken auf den Kopf fällt, bin ich dran!“

      „Davon weiß ich gar nichts“, brauste der Wirt auf. „Da unten ist doch alles in Ordnung!“

      „Ist es eben nicht“, gab Filißter zurück. „Ich war am Wochenende, als ihr geschlossen hattet, mit einem Statiker unten und habe die schadhafte Stelle begutachten lassen. Da muss sofort gehandelt werden!“

      „… und wer ersetzt mir den Ausfall?“

      „Verdammt noch mal, schau in deinen Pachtvertrag. Für derartige Gefahrenfälle gibt es in Paragraf 123 eine Klausel. Bei Gefahr in Verzug hat der Pächter die erforderlichen Handlungen, die zur Beseitigung der Gefahr erforderlich sind, ohne Schadensersatzansprüche vorzunehmen beziehungsweise zu dulden!“

      Das Ehepaar Schlossisweg starrte den Immobilienmakler an, als hätten sie einen Verrückten vor sich. Schließlich löste sich Schlossisweg aus seinem Schock, beugte sich nach vorn, schlug mit der Faust auf den Tisch und brüllte: „Du kannst mich mal! Ich werde auf keinen Fall schließen! Verklag mich, wenn du willst! Und jetzt komm in die Gänge und verlasse auf der Stelle mein Haus!“

      Filißter blieb erstaunlicherweise völlig ruhig und sah ihn einen Moment nur durchdringend an, dann erhob er sich.


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