Vorbild und Vorurteil. Jeannine Borer

Vorbild und Vorurteil - Jeannine Borer


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im Männerfussball an veralteten Mustern und starren Idealen festgehalten wird, ist der Frauenfussball vorwärtsgewandt. Sexismus und Homophobie scheinen innerhalb des Frauenfussballs abwesend. Das Vorurteil, dass die Mehrheit der Fussballerinnen lesbisch sei, hat sich zu einer Stärke entwickelt: Die Toleranz und Offenheit gegenüber unterschiedlichen Sexualitäten führen zu Gemeinschaft, Kraft und Zusammenhalt innerhalb unseres Sports. Mit der wachsenden Popularität kann der Frauenfussball zu einem Motor für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft werden. Erfolgreiche, sichtbare, lesbische Sportlerinnen aus allen Sportarten spielen hier eine entscheidende Rolle – sie sind Pionierinnen und können gesellschaftlich etwas bewegen. Sie brechen mit starren Rollenbildern für Frauen und Männer, lassen uns die Heteronormativität hinterfragen und sind neben Vorbildern auch Quelle der Inspiration.

      Sarah Akanji (*1993) spielte in der höchsten Schweizer Fussballliga und ist Spielerin und Mitbegründerin des ersten Frauenteams des FC Winterthur. Sie politisiert seit 2019 im Zürcher Kantonsrat.

      Mehr Vorbilder, weniger Vorurteile

      Die Autorinnen

      Sind alle Fussballerinnen lesbisch? Nein, natürlich nicht. Es ist nur eines von tausend Vorurteilen. Aber was ist schlimm oder besonders daran, wenn eine Fussballerin Frauen liebt? Lesbische Spitzenathletinnen gibt es in allen Sportarten; auch dort, wo sie niemand vermutet. Doch ganz so selbstverständlich, wie man meinen könnte, ist diese Tatsache nach wie vor nicht. Dazu kommt, dass der jeweilige Umgang mit Homosexualität je nach Sport, aber auch Alter und Elternhaus der Frauen unterschiedlich ist. Das hat uns interessiert. Zu fünft haben wir uns auf Spurensuche begeben.

      Unser erstes gemeinsames Treffen als Autorinnenquintett fand Anfang 2017 im Bahnhofbuffet Olten statt. Einige kannten sich bereits, andere lernten sich erst dort kennen. Doch die Idee, gemeinsam ein Buch über lesbische Vorbilder im Spitzensport zu schreiben, verband uns rasch. Aus einem Flämmchen wurde ein Feuer. Aus unserer Leidenschaft ein Projekt. Und wir wuchsen schnell zu einem Team zusammen.

      Zu Beginn mussten wir die Sportlerinnen erst finden. Unsere grossen Netzwerke waren dabei sehr hilfreich. Aber nicht selten kam es zu diffizilen Anfragen per Mail oder Telefon, bei denen wir mit viel Fingerspitzengefühl erfragen mussten, ob das Gegenüber überhaupt der Zielgruppe angehört. Durch die Suche sind wir auf viele weitere spannende Athletinnen gestossen, sodass wir mehrere Bücher mit ihren Geschichten hätten füllen können.

      Wir sind eine Gruppe von Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen, jede mit ergänzenden und unterschiedlichen Fähigkeiten. Gemeinsam arbeiteten wir an der Entstehung dieses Buches und waren oft übermütig, manchmal stark gefordert, meistens effizient und zwischendurch übermüdet. Wenn eine nicht mehr konnte, halfen die anderen aus. Jede konnte ihre individuellen Stärken einbringen und hat somit zu einer konstruktiven Arbeitsatmosphäre beigetragen. In unseren Sitzungen diskutierten wir intensiv über Inhalte. Gleichzeitig lachten wir viel und lernten uns auch persönlich immer besser kennen. Es entstanden Freundschaften.

      Wir alle haben einen sportlichen Hintergrund. Uns allen haben weibliche Vorbilder im Sport gefehlt – auch lesbische Vorbilder. Mit diesem Porträtbuch soll es für kommende Generationen anders sein. Doch nicht nur junge Sportlerinnen sprechen wir mit diesem Projekt an, sondern alle, die sich für mehr als nur Normbiografien interessieren. Nur wenn lesbische Frauen im Sport wahrgenommen werden, können sie zu Vorbildern werden. Wenn dieses Buch nur schon einer Person Mut macht oder jemanden sensibilisiert, dann haben wir unser Ziel erreicht.

      Noch immer gibt es viele Sportlerinnen, die sich nicht outen. Aus Angst vor negativen Reaktionen innerhalb der Familie oder des Sportklubs, aber auch, um Sponsoren nicht zu verlieren. Andere gehen mit ihrer Homosexualität offen um. Wir möchten mit diesem Buch aufzeigen, wie vielfältig die Biografien lesbischer Athletinnen sind. Jede Frau hat ihre eigene Geschichte, mit ihren schönen und schwierigen Momenten. Unser grosser Dank gilt jenen mutigen Sportlerinnen, die uns ihr Vertrauen geschenkt und uns in sehr persönlichen Interviews aus ihrem Leben erzählt haben, uns einen nahen und intimen Einblick gewährt haben. Hie und da flossen Tränen, weil das Erlebte auch Jahre später noch schmerzhaft sein kann. Das uns entgegengebrachte Vertrauen hat uns berührt und beeindruckt.

      Dieses Buch ist eine Herzensangelegenheit, geschrieben und erarbeitet mit viel Leidenschaft und Freude. Dies wünschen wir nun auch Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser – viel Freude bei der Lektüre.

      Auf dass wir alle mehr Vorbilder haben – und weniger Vorurteile!

      Über lesbische Heldinnen im Spitzensport

      Marianne Meier

      Tränen, Umarmungen und Küsse nach errungenen Siegen oder bitteren Niederlagen – Emotionen sind das Highlight einer jeden Sportberichterstattung. Solche öffentlichen Gefühlsbekundungen im Ziel oder auf der Tribüne sind häufig heterosexuellen Sportstars vorbehalten. Sport wird oftmals als Spiegel der Gesellschaft bezeichnet. Durch seine Popularität und die mediale Öffentlichkeit vermag er Trends zu setzen, aber auch Diskriminierungen wie Sexismus, Rassismus oder Homophobie zu thematisieren.

      Diese Einführung ordnet frauenliebende Frauen und Spitzensport im wissenschaftlich-historischen Kontext ein. Nebst internationalen Richtlinien gegen Homophobie im Sport geht es auch um die Sichtbarkeit lesbischer Frauen im Spitzensport und deren Entwicklung in den letzten Jahren, mit speziellem Fokus auf die Schweiz. Zudem werden Voraussetzungen aufgezeigt, die sportliche Grössen zu Vorbildern werden lassen, und Funktionen dargelegt, die diese Personen einnehmen können.

      Weshalb braucht es dieses Buch?

      Die Sporthochschule Köln hat im Mai 2019 Resultate der Outsport-Studie veröffentlicht. Dabei wurden 5524 Menschen in 31 europäischen Ländern befragt. Es ging darum, herauszufinden, welche Massnahmen gegen Homophobie und Transphobie im Sport zu ergreifen sind. Die Studie kam zum Ergebnis, dass vor allem Sportstars, die offen zu ihrer Sexualität und/oder Geschlechtsidentität stehen, eine wichtige Rolle als Vorbild spielen können.1 Auch einige Autorinnen dieses Buches hätten sich in ihrer Jugend lesbische Sportvorbilder gewünscht, nur schon weibliche waren selten. Dabei ist es müssig zu spekulieren, ob es frauenliebende Athletinnen damals wirklich gab. Auf jeden Fall waren sie nicht sichtbar und sind es bis heute nur begrenzt. Entsprechend den gängigen Klischees sind die heute bekannten homosexuellen Topathletinnen in Sportarten wie etwa Fussball aktiv, die in unseren Breitengraden als «typisch männlich» bezeichnet werden. Dieses Buch zeigt auf, dass frauenliebende Protagonistinnen in allen Sportarten zu finden sind, und möchte diesen ein Gesicht und eine Stimme geben. Gerade im Sport dominieren immer noch starre Vorstellungen, wie man und frau zu sein hat. Insbesondere der Spitzensport wird von wirtschaftlichen Interessen sowie einem patriarchalen Weltbild beherrscht. Dagegen schreiben wir fünf Autorinnen an. Obwohl die Ablehnung von Lebensentwürfen, die nicht der althergebrachten Norm entsprechen, im Jahr 2020 in der Schweiz eigentlich kein Thema mehr sein sollte, ist dieses Anderssein nach wie vor mit Unbehagen, Befremden und Unwissen behaftet. Dieses Buch zeigt die Hintergründe und die Komplexität des Lesbischseins im Sportbusiness auf und stellt gleichzeitig die erfrischende Vielfalt einem breiteren Publikum vor. Die ehemalige stellvertretende Generaldirektorin der SRG, Ladina Heimgartner, bringt die Notwendigkeit dieser Publikation auf den Punkt: «Es braucht Bücher wie dieses, damit es Bücher wie dieses in Zukunft einmal nicht mehr braucht.»

      Wer sind die Akteurinnen dieses Buches?

      Dieses Buch befasst sich mit frauenliebenden Spitzensportlerinnen in der Deutschschweiz. Bewusst wurde darauf geachtet, dass möglichst verschiedene Sportarten und Altersgruppen vertreten sind. Als Methode haben sich die Autorinnen für die Oral History entschieden, um den eigenen Erzählungen und Sichtweisen der porträtierten Frauen in offen geführten Interviews möglichst viel Raum zu geben.2 Als Spitzensportlerin wurde eingestuft, wer jemals in der höchsten schweizerischen Liga einer Sportart aktiv oder Mitglied eines Nationalkaders war oder ist. Der Profistatus war dabei kein Kriterium. Insbesondere im helvetischen Frauensport gibt es sowieso nur wenige Athletinnen, die vom Sport leben können. Gerade in Randsportarten wie Orientierungslauf oder Kanu bedeuten sportliche


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