Vorbild und Vorurteil. Jeannine Borer
Vorbilder fehlen. Das über die Jahre einzige und wohl bekannteste lesbische Sportvorbild war die Tennisspielerin Martina Navratilova, die noch heute international hohes Ansehen geniesst.
Konstruierte Helden und Heldinnen
Das Heldenhafte im Sport verbindet sich mit Mythen, Traditionen und Werten einer Nation oder Gemeinschaft. Wenn eine sportliche Ausnahmeerscheinung zum Held oder zur Heldin aufsteigen möchte, dann muss er oder sie Werte verkörpern, die gesellschaftlich hohe Anerkennung geniessen. Allerdings werden Frauen und Männer unterschiedlich beurteilt. Deshalb wird auch von einem «gendered heroism» gesprochen.32 Traditionellerweise werden bei Heldinnen Fürsorglichkeit, Güte und Mütterlichkeit betont, Helden hingegen werden an ihrem Mut, ihrem Selbstbewusstsein, an ihrer Stärke und an ihrem Durchsetzungsvermögen gemessen. Wenn nun aber eine Frau im Sport erfolgreich sein möchte, muss sie männliche Attribute an den Tag legen. Eine passive, sanfte und zurückhaltende Sportlerin wird nie einen Exploit schaffen. Dies führt zum vermeintlichen Widerspruch zwischen dem «Frausein» und dem «Sportlerinsein».33 Diese Unvereinbarkeit von Sport und Weiblichkeit bewirkt, dass erfolgreiche Athletinnen besonders weiblich wirken müssen, um trotzdem noch als Heldinnen der Nation gelten zu können. Sportliche Spitzenleistungen alleine reichen nicht aus, um die öffentliche und mediale Aufmerksamkeit als gefeierte Heldin zu erhalten. Der Faktor «Frau im Sport» muss sogar wettgemacht werden durch markantes Make-up, lange Haare und kurze Röcke. Dies gilt vor allem für Athletinnen, welche in «typisch männlichen» Sportarten aktiv sind wie zum Beispiel Eishockey oder Rugby. Zwischen dem Privat- und Berufsleben von Männern im Spitzensport besteht hingegen kein Widerspruch zum gesellschaftlich erwarteten Männlichkeitsbild. Im Gegensatz zu den Athletinnen müssen Spitzensportler ihre Härte, ihre Leistungsfähigkeit und Muskeln nicht kaschieren.34 Erfolgreiche Sportlerinnen, die von gängigen Weiblichkeitsnormen abweichen, geraten in den Verdacht, keine richtigen Frauen oder eben lesbisch zu sein. Der Konstruktionsprozess von sportlichen Helden oder Heldinnen hängt von der Medienberichterstattung sowie dem Publikumszuspruch ab. Dieses Umfeld entscheidet, ob Sportstars zu Helden oder Heldinnen emporstilisiert werden oder nicht.35
Auswahl weiblicher Sportvorbilder
Was für einen Einfluss können Vorbilder haben? Und wie werden Vorbilder ausgewählt? Erreichbarkeit und Relevanz wurden von renommierten Psychologinnen bei der Auswahl von Vorbildern als entscheidende Aspekte identifiziert.36 So ist zum Beispiel für ein Kind in Sambia, wo nie Schnee fällt, eine Schweizer Skifahrerin als Vorbild weder erreichbar noch relevant. Dabei spielt, gestützt auf Albert Bandura, auch die Ähnlichkeit zwischen einem Vorbild und der beobachtenden Person eine Rolle.37 Das heisst, dass in diesem Kontext eine sambische Regionalsportlerin wohl mehr Einfluss auf das Verhalten der Kinder haben könnte als eine helvetische Topathletin. Sportstars und Vorbilder sind also dann besonders einflussreich, wenn ihr Leben Parallelen zur Realität der Beobachtenden aufweist und ihr Erfolg als grundsätzlich erreichbar und relevant eingestuft wird.38 Nebst Alter und Geschlecht wird die Auswahl von Vorbildern auch durch den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Status einer Person bestimmt. Wenn die Unterschiede als zu gross empfunden werden, kann dies sogar kontraproduktiv sein und zu Frustration führen.39 Wenn eben Sichtbarkeit in den Sportmedien heisst, dass eine Person «hetero, weiss und männlich»40 sein muss, kann dies demotivierend sein für eine dunkelhäutige Sportlerin, die auf Frauen steht. Die Philosophin Iris Marion Young hat in ihrem Werk «Throwing like a Girl» hervorgehoben, dass weibliche Teenager soziokulturell angepasste Bewegungsmuster vor allem durch Imitation erwerben.41 Dies steigert die Bedeutung von verfügbaren weiblichen Vorbildern, die den gängigen Normvorstellungen aufgrund ihres Haarschnitts, ihres Körperbaus, ihrer Kleidung und/ oder der sexuellen Orientierung nicht entsprechen, umso mehr. Dadurch wird der Fächer des als normal Empfundenen erweitert und die Akzeptanz gegenüber dem Anderssein erhöht.
Heterosexualität als Mass aller Dinge im Sport
Heteronormativität geht davon aus, dass Heterosexualität normal und natürlich ist. Die meisten Sportarten werden mit heteronormativen Werten und patriarchalen Männlichkeitsidealen assoziiert.42 Dies stuft alle anderen sexuellen Neigungen automatisch als abnormal und unnatürlich und somit minderwertig herab. Dabei werden nicht nur sexuelle Lebensweisen abgewertet, sondern direkt jene Personen, die von der Norm abweichen. Dadurch wird die Wahrung der unantastbaren Würde des Menschen verletzt. Das ist auch der Nährboden für Homophobie, was als irrationale Angst und Aversion gegenüber Homosexualität und Homosexuellen definiert wird. Insbesondere in «typisch männlichen» Sportarten bestehen Vorurteile, dass homosexuelles Verhalten bei Frauen durch Körperkontakt gefördert würde. Zudem werden pathologisierende Mythen über das Lesbischsein als «ansteckendes Übel» benutzt, um homophobe Sanktionen gegen frauenliebende Sportlerinnen zu ergreifen und die Jugend vor schlechten Vorbildern zu schützen.43 Im Fall Wettswil-Bonstetten wurde auch befürchtet, dass homosexuelle Spielerinnen eine Magnetwirkung auf weitere «Andersgepolte» haben könnten und der Klub von Lesben überrannt würde.44 Viele Vorurteile basieren auf dem im Namen der Sittlichkeit konstruierten Schreckbild lesbischer Frauen, die sich triebgesteuert auf Mädchen stürzen, um diese hemmungslos zu verführen.45 Vor allem in Bezug auf Vorbildfunktionen ist dieses hartnäckige Klischee des Jägerinnen-Beute-Schemas äusserst schädlich für homosexuelle Topathletinnen und Trainerinnen.46
Zusammenfassend kann Homophobie gegenüber Sportlerinnen, gemäss der Sportwissenschaftlerin Pat Griffin, in sechs Kategorien eingeteilt werden: Stillschweigen, Abstreiten, Entschuldigen, Fördern eines hetero-sexy Images, Angriffe auf Lesben sowie die Bevorzugung von Männern in Schlüsselpositionen.47 Zum Abstreiten zählt beispielsweise auch das proaktive Tarnen homosexueller Lebensweisen durch Klubs oder Verbände. In Deutschland ist bei schwulen Sportlern sogar das Führen von heterosexuellen Scheinehen belegt, um Zweifel auszuräumen.48 Solche Doppelleben zugunsten einer erfolgreichen Sportkarriere sind mit psychischem Stress und Leid verbunden. Je nach soziokulturellem Kontext wird auch physische Gewalt gegen lesbische Athletinnen eingesetzt. Der Mord an der südafrikanischen Fussballerin Eudy Simelane sorgte 2008 für internationale Entrüstung. Die lesbische Nationalspielerin wurde Opfer eines sogenannten «corrective rape». Simelane wurde vergewaltigt, um an ihre «wahren Pflichten als Frau» erinnert zu werden, und danach erstochen.49 Auch in anderen Ländern wie beispielsweise Russland bedeutet ein Coming-out nicht nur das Karriereende, sondern auch eine Bedrohung für Leib und Leben.
Jede Form der Diskriminierung und Gewalt ist inakzeptabel und tangiert die unantastbare Menschenwürde. Der Sport könnte dabei als Exempel für Respekt und Fair Play voranschreiten und durch seine Popularität und die Emotionen, die er auslöst, die vorhandene Vielfalt präsentieren und salonfähig machen. Dazu braucht es ein Um- und Durchsetzen der vorhandenen Sportverbandsrichtlinien auf allen Ebenen und eine Entpathologisierung von Menschen, die nicht exakt der Norm entsprechen. Vielfältige Sportvorbilder haben das Potenzial, die Gesellschaft zu beeinflussen und neue Impulse zu setzen. Auf dass die Porträts der mutigen Sportlerinnen in diesem Buch unzählige Menschen erreichen mögen.
Anmerkungen
1 Menzel et al. 2019.
2 Leavy 2011; Abrams 2010.
3 Watson, 25.11.2018: https://www.watson.ch/schweiz/fussball/426797271-das-sexismus-dinner-des-fc-basel-sorgt-weltweit-fuer-schlagzeilen (Zugriff am 26.09.2019). Wohlgemerkt spielen die FCB-Frauen – genau wie die Männer – auch in der obersten Schweizer Fussball-Liga. Internationale Medien wie CNN, BBC und der Stern berichteten über diesen Vorfall.
4 Neue Zürcher Zeitung, 13.08.2016: https://www.nzz.ch/olympia2016/indigene-bogenschuetzen-athletenaus-dem-regenwald-ld.110753 (Zugriff am 02.10.2019).
5 Queer, 11.08.2016: https://www.queer.de/detail.php?article_id=26806 (Zugriff am 02.10.2019).
6 Anderson