Strichcoding. Roswitha Stark
Polster des Lagers, auf dem das Mädchen ruhte.
Wann und wo die Runenzeichen ursprünglich entstanden sind und wann die keltisch-germanischen und nordisch-skandinavischen Völker die Runenzeichen übernahmen, konnte nie wirklich bis ins Letzte wissenschaftlich geklärt werden.
Eine akribisch recherchierte Abhandlung ist Klaus Düwel, Professor für Deutsche Philologie, zu verdanken. Ohne esoterischen oder volkstümlichen Ballast führt er den Nachweis, dass die Runenzeichen als Schriftzeichen sehr wahrscheinlich von einem nordetruskischen Alphabet übernommen wurden und nicht etwa eine Erfindung von Kelten oder Germanen waren, wie es bestimmte Kreise gerne gehabt hätten. Das Vorbild der Runen soll jedenfalls zwischen dem 4. und 1. Jahrhundert v. Chr. aus dem Kreis der zahlreichen Alphabete Norditaliens und des Alpenraums genommen worden sein. Alle diese Alphabete sind, wie auch die lateinische Schrift, ihrerseits Abkömmlinge des westgriechischen Alphabets.
Bei den nordischen Völkern im skandinavischen Raum fanden sich wesentlich mehr Runenzeugnisse als bei den damals schriftunkundigen germanischen Völkern. Anscheinend war es bereits um 200 v. Chr. Usus, die Runenzeichen für magisch-religiöse Praktiken, also unabhängig von einem Alphabet zu nutzen. Die Germanen Mitteleuropas benutzten das Runensystem erst 400 Jahre, nachdem die ersten Runen in Skandinavien aufgetaucht waren. Zur Zeit der Völkerwanderung (200–700 n. Chr.) haben verschiedene Versionen des Runensystems, genannt „Futhark“, bereits eine weite Verbreitung sowohl als Schriftsystem als auch für den kultischen Gebrauch gefunden.
Bemerkenswert ist, dass der Gebrauch der Runen in Mitteleuropa nur von relativ kurzer Dauer war, nämlich ca. 150 Jahre lang. Nach der Mitte des 7. Jahrhunderts finden sich keine Runen mehr. Wohin waren die Runen in der Zwischenzeit verschwunden, und warum sind sie jetzt in der Neuzeit wieder aufgetaucht? Die Verwendung einer Schrift war vor der Christianisierung in den germanischen Kulturen nicht üblich, und wenn, dann nur von einigen wenigen Gelehrten. Im Vergleich zu den hoch entwickelten Schriftensystemen der Römer und Griechen gab es bei Germanen und Kelten kaum eine nennenswerte Kommunikation über die Schrift. Das meiste wurde mündlich überliefert. Deshalb setzte sich später in unserem Kulturkreis die lateinische Schrift als Alltagsschrift durch und nicht die Runenzeichen.
Ihr deuchte da, als ob sie aus dem Schlafe erwache, und sie sagte, sie sei gesund, wenn auch noch schwach.
Egils saga Kap. 73., in der Übersetzung von Felix Niedner, Kap. 72.
Futhark – die 24 Runenzeichen
Die älteste überlieferte Runenreihe, das gemeingermanische „Ältere Futhark“, bestand aus 24 Zeichen, die nach den ersten sechs Buchstaben Futhark genannt wurde. Der dritte Laut in der Reihe wird wie das englische „th“ gesprochen.
Alle jüngeren Runenreihen ab etwa 700 n. Chr. leiten sich vom Älteren Futhark ab. Das sogenannte „Jüngere Futhark“ stellt eine Abwandlung des Älteren Futharks dar. Es verwendet nur 16 Runen. In diesem Buch habe ich mich aber für das ursprünglichere System entschieden, um Ihnen auch mehr ursprüngliche Erden- und Lebensenergie zur Verfügung stellen zu können.
Die 24 Runen des 24er-Futhark wurden in drei Achtergruppen eingeteilt, die als Aettir (Acht, Familien, Geschlechter) folgenden Göttern gewidmet waren:
► „Odins Aett“ für den damaligen Hauptgott Wodan/Odin
► „Hagals Aett“ für den Gott Donar
► „Tyrs Aett“ für den Gott des Krieges und der Gerechtigkeit Tyr.
Das Ältere Futhark lässt sich in drei Gruppen zu je acht Runen unterteilen. Diese Gruppen werden ættir (Plural), von ætt (Singular) „Geschlecht, Familie“ genannt.
Im ersten Aett, das mit der Fe-Rune beginnt, geht es um die Schöpfung schlechthin, die Entstehung von Neuem, und um alle Energien, die dazu notwendig sind bzw. dabei entstehen. Der erste Aett wurde dem Gott Odin (auch genannt Wodan) gewidmet. Odin soll es auch gewesen sein, der kopfüber an einem Baum hängend das Geschenk der Runen an die Menschen erhalten hatte. Andere Quellen widmen das erste Aett ebenso Freya, der Göttin der Erde.
Der zweite Aett, der mit der Hagal-Rune beginnt, beschreibt die destruktiven Kräfte und Widerstände, die sich der kosmischen Ordnung entgegenstellen und versuchen, diese zu stören, gleichzeitig aber eine oft notwendige Weiterentwicklung und Veränderung bewirken. Der dritte Aett beginnt mit der Rune Tyr und beschreibt die Kräfte und Fähigkeiten, die die Götter den Menschen gaben und die letztere zu ihrer Transformation nutzen können und sollen.
Jede Rune hat ihren spezifischen Lautwert, einen Symbolwert, einen Zahlenwert und einen Namen. Die 1. Rune der Reihe heißt z. B. Fe oder Fehu, das bedeutet „Vieh, beweglicher Besitz“, sie trägt den Lautwert „f“ und als 1. Rune den Zahlenwert 1.
1. Aett
►f – FE (Vieh, beweglicher Besitz, Gold, Geld, geistiger Besitz, Gedanken, Himmel, Wodan)
►u – UR (Urrind, Auerochse, weibliche Kraft, Stärke, Erde, Tür, Durchgang, Inneres, Frigg)
►þ – THURS (Dorn, Schlaf- und Todesdorn, Riese, materielle Kraft, Tod, Trennung, Fesselung)
►a – AS (Asengötter, Mund, Äußerung, Fluss, Mündung, Ahnen, Seelen, Befreiung)
►r – REID (Ritt, Straße, Weg, Reise, Ursprung, Wagen, Bewegung)
►k – KAUN (Krankheit, Geschwür, negatives Karma)
►g – GEBO (Gabe, Opfergabe, Opferfest, Vermehrung, Geschenk, Treffen)
►w – WYNN (Wonne, Wohlbefinden, Wunschlosigkeit, Wunscherfüllung)
2. Aett
►h - HAGAL (Hagel, Zerstörung, Scheitern, jähes Verderben)
►n - NAUD (Not, Knechtschaft, Entbehrung, Notwende, Zwang)
►i - IS (Eis, Erstarrung, Verderben, gefährlicher Weg, Kälte, Winter)
►j - JARA (Jahr, Stunde, gute Ernte, Sommer, Wechsel in die warme Zeit)
►ë - EIHWAZ (Eibe, Eibenbogen, verborgene Gegner, Feinde, Hinterhalt)
►p - PERTRA (Lebenslauf, Tod und Wiedergeburt, Göttin Perchta, Tanz, Spiel, Freude, Neubeginn)
►z - ALGIZ (Elch, Schutzgötter von Haus und Heiligtum, Neuentstehen nach Untergang, Abwehr, Schutz)
►s - SOWILO (Sonne, Sieg, Schutz)
3. Aett
►t - TYR (Götter, Gott Tyr, Kriegsgott, Bewegung, Belebung, Aktivität, Kampf, Streit)
►b - BERKANA (Birke, Fruchtbarkeit, Göttin Freya, Liebe, Frau, Schönheit)
►e - EHWAZ (Pferd, Ross, guter Begleiter, Helfer, Geisthelfer)
►m - MANNAZ (Mond, Mondgott Mannus-Heimdall, Menschen, Männer, Wissen, Wissenschaft)
►l - LAGUZ (Wasser, See, Meer, Lagune, Quelle, Weisheit, Gedeihen, Leben)
►ŋ - INGWAZ (der Gott Ing-Fro oder Freyr, Fruchtbarkeit, Frieden, Freien, Freude, Feuer, Sonnenfeuer)
►o - OTHALA (Erbe, Besitz, Ahnen, Heimat, Zuhause, Erbe, Land, Adelsgut, Edel)
►d - DAGAZ (der Gott Dag-Baldur, Tag, Licht, Segen, Reinheit, Erleuchtung, Sonne)
Runenorakel
Die