Rückkehr zu Gott. Jörg Gabriel

Rückkehr zu Gott - Jörg Gabriel


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      „Es kann kein Zufall sein, dass die religiöse Armutsbewegung sich am kräftigsten und eigenartigsten in jenen Gebieten entfaltet hat, in denen im 12. Jahrhundert auch der Handel und die Industrie die bedeutendsten Fortschritte gemacht haben: in der Lombardei, in Südfrankreich und in Belgien. Überall in diesen Ländern hat sich die Idee der freiwilligen christlichen Armut zugespitzt zu der Losung, auf die Nutznießung ‚unrecht erworbenen Gutes‘ zu verzichten und stattdessen von der Arbeit seiner Hände oder aber von Almosen zu leben.“384

      Man würde die religiöse Frauenbewegung jedoch falsch einschätzen, sähe man in ihr ausschließlich eine gezielt agierende Protestbewegung:

      „Die Idee der freiwilligen Armut hat, auch außerhalb der Klöster, zu wirken begonnen und weite Kreise erfasst, als von solchen wirtschaftlich-sozialen Ursachen noch gar nicht die Rede sein konnte, und sie hat ihre Polemik zuerst nicht gegen wirtschaftliche, sondern gegen kirchliche Erscheinungen gerichtet: der innere Widerspruch zwischen Lebensweise des Klerus und den Forderungen der Evangelien ist der erste Anstoß ihrer Entfaltung.“385

      Auch wenn die Motivation dieser Frauen nicht leicht auszumachen ist386, das Grundanliegen war und blieb ein religiöses Leben: Es kann – mit Dinzelbacher gesprochen – „kein Zweifel bestehen, dass persönliches Heilsstreben ein, wenn nicht überhaupt der ausschlaggebende Beweggrund für die meisten jener Frauen war.“387

       I. Die Beginen

      Im 13. Jahrhundert waren die Frauenklöster der Zisterzienser wie die der Dominikaner und Franziskaner nicht in der Lage, alle Frauen aufzunehmen, die nach einem religiösen Leben strebten. Darüber hinaus war die Voraussetzung für die Anerkennung bzw. Inkorporation in einen bestehenden Orden die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauengemeinschaften. Aus diesem Grund nahmen die Frauenklöster – die ohnehin überfüllt waren – ausdrücklich einflussreiche und vermögende Frauen auf. Für sehr viele Frauen, die aus weniger begüterten Verhältnissen kamen, blieb dann der Weg in ein solches Kloster verschlossen.388 Darum bildeten sich neue Gemeinschaftsformen, in denen Frauen ein religiöses Leben führten, ohne zu einem klösterlichen Verband zu gehören. Diese frommen Frauen wurden seit den vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts Beginen genannt.389 Trotz des Konzilsbeschlusses von 1215, es dürften keine neue Ordensformen gebildet werden, neue Gemeinschaften müssten sich vielmehr den bestehenden Ordensgemeinschaften anschließen390, gestattete Papst Honorius III. 1216 ausdrücklich diese neuen Lebensformen.

      „Das Beginentum ist also nicht eine absichtlich und planvoll geschaffene Sonderform des religiösen Lebens, sondern das Ergebnis der religiösen Frauenbewegung, soweit sie nicht Aufnahme fand in den neuen Orden.“391

      Obwohl die Beginen von einzelnen Förderern unterstützt wurden – wie z.B. Jakob von Vitry, Robert von Grosseteste, Robert von Sorbonne; Jakob Pantaleon hat sogar eine Regel für eine Beginengemeinschaft verfasst – existierte weder eine einheitliche Organisation mit einer gemeinsamen Regel, noch erhielten sie die Anerkennung als selbstständige Ordensform. So bildete das Beginenwesen eine

      „seltsame Zwitterform zwischen den kirchlichen Ordnungen dieser Zeit, nicht eigentlich zu dem Mönchsstand der Religiosi gehörend, da es kein approbierter Orden war, aber auch nicht zum Laienstand der Saeculares, da die Beginen das saeculum verließen, Keuschheit gelobten und in Gemeinschaften eine vita religiosa führten.“392

      Doch gerade diese Zwitterform zwischen den kirchlichen Ordnungen ist dem Beginentum zum Verhängnis geworden.393 Seit Beginn des 13. Jahrhunderts vermehren sich die kritischen Stimmen zum Beginentum, wobei die Stimmen, die von Gegnern der Beginen kommen, sehr kritisch gelesen werden müssen.394 Glaubwürdiger ist dagegen die Kritik Mechthilds von Magdeburg (1208/10 – 1282/94) am Lebensstil von Beginen. Mechthild lebte selbst als Begine und trat gegen Ende ihres Lebens in das Kloster zu Helfta ein. Ihre Kritik richtet sich gegen die Eigenwilligkeit im geistlichen Leben. Deshalb unterscheidet sie in ihrem Buch „Das Fließende Licht der Gottheit“395 zwischen einer „wahren geistlichen Schwester und ... einer weltlichen Begine“396:

       „Die geistliche Schwester spricht aus dem Licht des Heiligen Geistes ohne Herzeleid, aber die weltliche Begine spricht aus ihrem Fleisch mit Luzifers Geist mit gräulichem Aufwand.“397

      So berichtet Mechthild über eine verstorbene Begine, die sich aus Liebe zu Gott zu Tode kasteit hat. Als Mechthild für sie betete, sah sie „ihren Geist wie eine klare Sonne“398, aber gleichzeitig war er von einer „großen Finsternis umfangen“399:

       „Sobald sie in einer Erhebung war, lagerte sich immer finstere Nacht davor. Das war der Eigenwille ohne Rat, der diesen vollkommenen Menschen so sehr (von Gott) zurückhielt ... . Da antwortete sie: ‚Ich wollte auf Erden keines Menschen Rat nach christlicher Ordnung folgen‘.“400

      Mechthild ist von großer Sorge erfüllt über das geistige Leben ihrer Beginen-Schwestern:

       „O ihr überaus törichten Beginen, was seid ihr so vermessen, dass ihr vor unserem allmächtigen Richter nicht zittert, wenn ihr Gottes Leib so oft in blinder Gewohnheit empfangt! Obwohl ich die Geringste unter euch bin, muss ich mich nicht schämen, erröten und beben.“401

      Mechthild legte großen Wert darauf, sich als Begine einer geistlichen Führung zu unterstellen.402 Die Einbindung in die christliche Ordnung der Kirche war für sie ganz selbstverständlich und sollte geistige Verirrungen verhindern. Geistige Verirrungen blieben, wie auch bei anderen religiösen Gruppen, nicht aus. Vor allem aber wurden Beginen, wenn sie nicht in Beginenhöfen lebten und stattdessen beispielsweise bettelnd umherzogen, häufig der Ketzerei beschuldigt, z.B. der der Freigeisterei. Dies wurde auch dem geregelten Beginenwesen zum Verhängnis.403

      Drei Gutachten aus dem Jahre 1273 über das religiöse Leben in Europa – erstellt für das Konzil von Lyon (1274) – befassen sich ebenfalls mit dem Beginenwesen und kommen zu einem übereinstimmenden Urteil. Der Dominikaner Humbert von Romans beschreibt die Situation der Kirche in Südfrankreich:

      „Nach einer Klage über die maßlose Zunahme von Bettelmönchen, religiosi pauperi, die aller Welt zur Last fallen, vielfach nicht als Mönche, sondern als Landstreicher bezeichnet werden und das Ansehen des Mönchsstandes gefährden, wendet er sich gegen die mulieres religiosae pauperes, die in Dörfern und Städten herumziehen, um ihren Lebensunterhalt zu suchen. Um diese bedenkliche und anstößige Erscheinung zu beseitigen, soll die Kirche nach seinem Rat nur solche religiöse Frauen- gemeinschaften anerkennen, die bei strenger Klausur, ohne auf Almosen angewiesen zu sein, ihre Bedürfnisse aus eigenen Mitteln bestreiten können.“404

      Auch Bischof Bruno von Olmütz, der über die religiösen Zustände im ostdeutschen Sprachgebiet ein Gutachten erstellt hat, erwähnt religiöse Erscheinungen, deren Zugehörigkeit zum Beginentum unverkennbar sei405:

      „Er klagt über Leute, Männer sowohl als vor allem junge Frauen und Witwen, die sich, ohne einem päpstlich approbierten Orden anzugehören, als Religiosi aufführen, kleiden und bezeichnen. Sie schließen sich keinem gültigen Orden an, um niemanden gehorchen zu müssen und um, wie sie meinen, in solcher Freiheit Gott besser dienen zu können. Sie glauben sich aber andererseits auch dem Gehorsam gegen den Pfarrklerus enthoben, bei dem sie weder beichten noch von ihm die Sakramente empfangen wollen, als seien sie in seiner Hand unrein. Sie laufen überdies müßig und geschwätzig in den Städten herum und gefährden dadurch oft genug ihren Ruf und ihre Tugend.“406

      Der Franziskaner Gilbert von Tournai schließlich befasst sich mit der Situation in Nordfrankreich und Belgien.407 Er weist in seinem Gutachten ausdrücklich auf die Gefahren unter den Frauen hin, „die man Beginen nennt“408. Er warnt vor häretischer Gefährdung des Beginentums: Sie beschäftigen sich mit theologischen Fragen und verwenden dazu in ihren Konventikeln religiöse Schriften


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