Rückkehr zu Gott. Jörg Gabriel
Dominikanern unterstellt wurden, Montargis und St. Agnes, unterschiedliche Merkmale beinhalteten und sich dadurch von anderen Bullen abhoben, bat der Orden Anfang 1246 um Klärung, welche Verpflichtungen eigentlich bestünden.450 Denn Montargis und St. Agnes waren dem Orden inkorporiert, d.h. sie waren Teil des Ordens, und unterstanden deshalb in der Verwaltung von Besitz und Eigentum dem General bzw. Provinzial. Die anderen Klöster aber sollten dem Dominikanerorden nur „kommittiert“ werden, d.h. die Klöster sollten nur „in spiritualibus, durch Visitation und Seelsorge“451 betreut werden, nicht aber „in temporalibus, in der Verwaltung von Besitz und Einkommen.“452
Die Antwort des Papstes auf die Anfrage zeigt die schwankende Haltung der Kurie gegenüber den Frauenklöstern. In der Bulle vom 4. April 1246 legte der Papst fest,
„es sollten dem Orden durch die päpstliche ‚Kommission‘ von Frauenklöstern in Zukunft keine anderen Verpflichtungen erwachsen als eben jene Pflichten der Visitation, Seelsorge und Organisation, die in den päpstlichen ‚Kommissions‘-Bullen aufgezählt sind ..., nicht aber die Pflicht zur Verwaltung des Besitzes der Frauenklöster durch Ordensbrüder, die darüber hinaus in den ‚Inkorporations‘-Bullen für Montargis und S. Agnes festgesetzt wird.“453
Das bedeutet, der Orden musste sich zwar um die Seelsorge in den Klöstern kümmern, er konnte sich jedoch weigern, ein Kloster in den Ordensverband aufzunehmen. Durch die Bulle glaubte die Ordensleitung sich bestärkt, die Inkorporation der beiden Klöster Montargis und St. Agnes rückgängig machen zu können und in eine Kommission zu führen. Dem Einspruch dieser Klöster wurde vom Papst stattgegeben. Auch die beiden anderen Klöster, die schon früher zum Orden gehörten, ließen sich die Inkorporation durch eine Bulle bestätigen.454 Die andere Aufforderung des Papstes, in den Frauenklöstern die Ordenskonstitutionen einzuführen und eine gemeinsame geistliche Lebensgrundlage zu schaffen, befolgte der Orden unter dem Generalat Johannes von Wildeshausen (1241 – 1252) nicht. Außerdem waren die Konstitutionen von St. Sisto oder St. Markus nicht so einfach übertragbar, da in ihnen festgesetzt war, dass mindestens 6 Brüder dort einen Konvent bilden sollten. Diese Bestimmung war aber von der Bulle von 1246 abgeschafft.
Der Orden unternahm schließlich auf dem Generalkapitel von Bologna (Mai 1252) nochmals den Versuch, sich von allen Verpflichtungen gegenüber den Frauenklöstern zu befreien.455 Es war das letzte Generalkapitel unter dem Ordensgeneral Johannes von Wildeshausen. Zunächst versprach Innozenz IV. in der Bulle vom 15. Juli 1252, dem Orden in den nächsten zwanzig Jahren keine weiteren Frauenklöster zu unterstellen. Damit gab sich der Orden nicht zufrieden: Die durch frühere päpstliche Maßnahmen geschaffenen Zustände sollten rückgängig gemacht werden. In der Bulle vom 26. September gab der Papst nach:
„Er habe sich davon überzeugen lassen, dass der Orden in der Durchführung seiner wesentlichsten Aufgabe: der Predigt, vor allem gegen die Ketzer, behindert und beeinträchtigt werde durch die Verpflichtungen, die ihm Innozenz selbst in Berücksichtigung der dringenden Wünsche der Frauenklöster auferlegt habe. Da die große Aufgabe des Ordens den Vorrang habe und die Bedürfnisse der Frauenklöster auch auf anderem Wege erfüllt werden könnten, so entbindet der Papst den Orden von allen Verpflichtungen gegen die ihm inkorporierten oder kommittierten Frauenklöster mit Ausnahmen von S. Sisto in Rom und Prouille.“456
Damit verloren die Frauenklöster alles, wofür sie gekämpft hatten. Zwar wurden ihnen nicht alle Rechte genommen, die ihnen durch die Inkorporation teilhaftig geworden waren, doch auf die Seelsorge durch die Dominikaner hatten sie fortan keinen Anspruch mehr. Diese Sachlage war für die Frauenklöster inakzeptabel. Sie bestürmten den Papst und die Kurie leidenschaftlich.457 Mit dem Tod des Generaloberen Johannes von Wildeshausen verloren die Gegner der Cura-Pflicht dann jedoch eine bedeutende Stütze. Bis zum nächsten Generalkapitel (1254) gab es nun keine offizielle Ordensleitung. Dagegen kehrte Kardinal Hugo von St. Cher, selbst Dominikaner, als Legat aus Deutschland zurück. Hugo, der zwei Jahre in Deutschland verbrachte, kannte die Situation dort sehr genau. Und er war der religiösen Frauenbewegung zugetan. Zugleich war er aber auch ein Förderer dominikanischer Interessen in Deutschland. Er war für die Kurie deshalb der richtige Mann, um das Verhältnis zwischen Orden und Frauenklöstern neu zu ordnen. Kardinal Hugo erreichte zunächst eine Art „Stillhalteabkommen“, d.h. die Seelsorge sollte in allen Frauenklöstern zunächst in der bisherigen Weise weiter erfolgen. Auf dem zukünftigen Generalkapitel in Budapest (1254) sollten dann weitere Vereinbarungen verhandelt werden.458 Die Verhandlungen zogen sich bis zum Generalkapitel von 1256 (Paris) hin. Aber immerhin führten die bisherigen Verhandlungen zu dem Ergebnis, dass der Orden die Seelsorge in den Frauenklöstern weiterhin zu übernehmen bereit war, die vor 1254, ehe also Kardinal Hugo mit der Neuordnung beauftragt wurde, durch einen Generalmagister oder ein Generalkapitel in den Orden aufgenommen worden waren. Was der Kardinal jedoch nicht ahnte: Die Zahl solcher Frauenklöster war sehr viel geringer als angenommen, vor allem in Deutschland. Der Beschluss von 1256 bildete also keine rechtskräftige Grundlage für die Wiederaufnahme deutscher Frauenklöster in den Orden.459 Auf dem Generalkapitel von 1257 (Florenz) forderte der Kardinal daher, eine endgültige und feste Entscheidung zugunsten der Frauenklöster, auch derer, die nicht durch den Generalmagister oder durch ein Generalkapitel in den Orden aufgenommen waren. Drei aufeinanderfolgende Generalkapitel haben diesem Beschluss zugestimmt:
„Seit 1259 war es also endgültig entschieden, dass alle früher dem Orden unterstellten Frauenklöster wieder Anspruch auf seine Seelsorge hatten.“460
Darüber hinaus wurde beschlossen, „dass künftig Frauenklöster nur nach Zustimmung von 3 Generalkapiteln dem Orden unterstellt werden können.“461 Damit hatten die Frauenklöster ihren Anspruch auf dominikanische Leitung und Seelsorge durchgesetzt. 1267 wurde dieser Beschluss von Papst Clemens IV. (1265 – 1268) sanktioniert, indem er die Bulle von 1252, in welcher dem Orden die Cura-Pflichten erlassen worden waren, außer Kraft setzte.462
Jetzt musste sich der Orden noch zwei wichtigen Aufgaben widmen: Er musste – erstens – eine einheitliche Konstitution für alle Frauenklöster schaffen, wie bereits die Bullen von 1245 gefordert hatten; es musste – zweitens – bestimmt werden, welche der Frauenklöster überhaupt rechtmäßig Anspruch auf die Zugehörigkeit zum Orden hatten.463 Eine andere wichtige Sorge war die wirtschaftliche Sicherung der Klöster: Die Frauenklöster sollten wirtschaftlich auf eigenen Füssen stehen können. Ausreichende Mittel für den Unterhalt mussten vorhanden sein. Ein Kloster aber, das nicht über eine sichere wirtschaftliche Grundlage verfügte, durfte nicht in den Ordensverband aufgenommen werden. Außerdem durfte die einem Kloster zugewiesene Höchstzahl der Schwestern nicht überschritten werden.464
Der Anschluss an den Dominikanerorden brachte für die deutschen Frauenklöster zwar die wirtschaftliche Sicherheit, doch die ursprüngliche Armutsbewegung
„ging unter der organisatorischen Sicherung des Ordens in Gemeinschaftsform über, die den Einzelnen ein sicheres Auskommen gewährleistete und das religiöse Leben ordnete und disziplinierte. Ein großer Teil der Frauenbewegung in Deutschland hat dadurch ein neues und endgültiges Gepräge erhalten.“465
III. Ein fruchtbarer Dialog
Dieses feste Gepräge war zugleich die Voraussetzung für die Entfaltung der „deutschen Mystik“.466 Denn in Taulers – und ebenso in Meister Eckharts oder Heinrich Seuses – Einstellung zum geistlichen Leben in der Welt spiegelt sich ein lebendiger und fruchtbarer Dialog zwischen den Laienbewegungen, Frauen und Männer, und den für ein tieferes religiöses Leben empfänglichen und aufgeschlossenen kirchlichen Kreisen wieder, die aber auch die Unterweisung durch glaubwürdige Kleriker suchten.467
Voraussetzung für diesen Dialog von Frauen und Männern, von monastischer, scholastischer und einer auf Erfahrung beruhenden (mystischen) Theologie war die Tatsache, dass die Frauen nicht die lateinische Theologensprache beherrschten.468 Dem Drang nach religiöser Unterweisung konnte nur angemessen begegnet werden, wenn die Prediger – wie Johannes Tauler – in der Volkssprache den Glauben verkündeten und lehrten.469